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Beim Verhungern immer gut auf die Gesundheit achten!

Von Florian Markl und Thomas von der Osten-Sacken

Seit Wochen sind die von Rebellen gehaltenen Teile Aleppos de facto eingeschlossen, systematisch bombardieren die russische und syrische Luftwaffe die einzige Straße, die noch aus der Stadt herausführt. Die Castello Road ist zur Todesfalle geworden, Versorgung kommt kaum mehr durch. Aber offenbar soll Aleppo nicht nur ausgehungert werden – Assad und seine Alliierten in Moskau und Teheran planen, die Stadt, die von großer symbolischer Bedeutung für die Opposition ist, militärisch zu erobern.

So war jüngst auf Now Lebanon zu lesen:

„Iran’s defense minister has vowed that the Syrian army and allied fighting forces would seize Aleppo amid reports Tehran was bolstering its forces in the flashpoint region.

‚The Syrian army and the Popular Resistance and its allies will liberate the entirety of the Aleppo region from the hands of terrorists groups and the infidels,‘ Hossein Dehghan said in a conference held Monday on Tehran’s strategy in Syria.“

In Aleppo leben bis heute noch geschätzte 150 000 Menschen unter teils unbeschreiblichen Bedingungen. Während die gefürchteten Fassbomben ganze Stadtviertel in Ruinenlandschaften verwandeln, sind fast alle Krankenhäuser zerstört und die Nahrungsmittel knapp. An Flucht ist heute kaum mehr zu denken; wer es aus der belagerten Stadt raus schafft, landet in einem Flüchtlingslager an der inzwischen hermetisch abgeriegelten türkischen Grenze.

Auch wenn längst bekannt ist, dass es sich dabei um nichts als Propaganda handelt, behauptet die russische Regierung weiterhin, in Syrien nur Terroristen des Islamischen Staates (IS) und der al-Qaida zu bekämpfen. Wenn die russische Luftwaffe nun also zur Unterstützung iranisch geführter Bodentruppen das Dauerbombardement Aleppos erneut intensivieren wird, dann selbstverständlich nur als Beitrag zum Kampf gegen den Terror.


Getötete Zivilisten? „Selbst schuld!“

Die russische Regierung folgte bislang einer einfachen Logik: Da sie nur Terroristen bombardiere, müsse jeder, der von ihrer Luftwaffe getroffen werde, eben auch ein Terrorist sein. Dieser Versuch einer Legitimierung des eigenen Vorgehens wurde jetzt geringfügig adaptiert: Wer sich jetzt noch in Aleppo aufhalte, sei „selbst schuld“, erklärte Russlands Außenminister Sergej Lawrow, als er ankündigte, die russische Luftwaffe werde die syrische Armee bei der Rückeroberung von Aleppo „aktiv aus der Luft unterstützen“. Jedem sollte klar sein, was das bedeutet: Die russische Luftwaffe wird ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung Wohngebiete in Aleppo bombardieren; die zu erwartenden getöteten Zivilisten seien eben „selbst schuld“.

Man stelle sich den weltweiten Aufschrei vor, würde Israel bei der nächsten militärischen Auseinandersetzung mit der Hamas erklären, wer sich jetzt noch in Gaza aufhalte sei „selbst schuld“. Russland braucht sich dagegen vor lautstark vorgetragener Kritik nicht zu fürchten – das internationale moralische Gewissen echauffiert sich schließlich nur, wenn der jüdische Staat auf die Anklagebank gezerrt werden kann.

Russland dagegen hat maximal zu befürchten, dass es in Berlin und Brüssel angesichts der Eskalation in Aleppo heißen wird, gerade jetzt es sei wichtiger denn je, die ‚Friedensverhandlungen‘ nicht scheitern zu lassen und den Dialog aller Beteiligten zu intensivieren. Die Obama-Administration scheint in Nordsyrien inzwischen sogar eng mit den Russen zu kooperieren und wird die Rückeroberung Aleppos bestenfalls mit ‚Sorge‘ verfolgen.

Und solange die Türkei sich an den Flüchtlingsdeal hält, brauchen die Europäer auch nicht zu befürchten, dass, wer dem anstehenden Massaker in Aleppo entkommen kann, es bis nach Europa schaffen wird. Für die Überlebenden sind bestenfalls ein paar von der islamistischen IHH betriebene Lager an der türkisch-syrischen Grenze vorgesehen – bis Russland sich vielleicht eines Tages entscheidet, auch diese Lager zu bombardieren, weil sich in ihnen ja islamistische Terroristen aufhalten würden.


Beim Verhungern gut auf die Gesundheit aufpassen

Und die Bewohner Aleppos? Was können sie sonst tun, da sie ja nicht in Gaza leben? Einen Appell an die UN richten? Der wird ungehört verklingen – aber etwas weniger rauchen könnten sie, wie ihnen die Weltgesundheitsorganisation WHO kürzlich voller Sorge ans Herz legte:

„‚Notwithstanding the current crisis in the country,‘ reads a June 1 press release from the World Health Organization, the U.N. agency is stressing ‚the urgency for controlling tobacco and shisha consumption among the population – especially among youths, women and teenage school children.“

Demo in IdlibBesonders auf nüchternen Magen schadet Rauchen der Gesundheit, möchte man hinzufügen. Denn dieselben Vereinten Nationen, die seit über fünf Jahren nicht in der Lage sind, auch nur irgendetwas zum Schutze von Zivilisten in Syrien zu unternehmen, gaben jüngst bekannt, dass der von der Opposition seit jeher geforderte Plan, belagerte Städte mit Nahrungsmitteln aus der Luft zu versorgen, nun doch nicht umgesetzt wird.

Inzwischen hat es sich auch in Syrien herumgesprochen, dass Hilfe von außen nicht kommen wird. Bei einer Demonstration in Idlib hielten einige oppositionelle Syrer deshalb jüngst leere Schilder in die Luft. Es gebe, so die Demonstranten, nichts mehr zu sagen.

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