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Befreite Geiseln: Mental immer noch im Tunnel

Ehemalige Hamas-Geisel Emily Damari kommt im Sheba Tel Hashomer Medical Center in Ramat Gan an
Ehemalige Hamas-Geisel Emily Damari kommt im Sheba Tel Hashomer Medical Center in Ramat Gan an (Quelle: JNS)

Während sich medizinische Teams monatelang auf die Rückkehr der Geiseln vorbereitet haben, können diese nun mit ihrer komplexen und langwierigen Genesung beginnen.

Maytal Yasur Beit-Or

Emily Damari (28), Doron Steinbrecher (31) und Romi Gonen (24) haben nach 471 Tagen in der Gefangenschaft der Hamas im Sheba Medical Center ihre Reise zurück ins Leben angetreten. Die medizinischen Teams, die sich monatelang auf die Rückkehr der Geiseln vorbereitet haben, räumten am Sonntag dem Zusammentreffen mit den Familien der drei Frauen Vorrang ein und legten gleichzeitig den Grundstein für den komplexen medizinischen und psychologischen Rehabilitationsprozess.

Nach der Einlieferung der Geiseln verkündete die Direktorin des Krankenhauses in Ramat Gan, Yael Frankel Nir, sie sei » tief bewegt, berichten zu können, dass wir die drei Geiseln aufgenommen haben. Ihr medizinischer Zustand erlaubt es, uns auf die Familienzusammenführung zu konzentrieren. In den kommenden Tagen werden wir mit den Untersuchungen fortfahren. Wir hatten das Privileg, sie kennenzulernen, und wir werden diesen Weg fortsetzen, bis die letzte Geisel zurückkehrt.«

Der stellvertretende Generaldirektor des Gesundheitsministeriums, Sefi Mendlovich, erklärte: »Heute heißen wir Emily, Doron und Romi nach 471 Tagen in der Gefangenschaft der Hamas willkommen. Das ist schier unvorstellbar. Wir als medizinische Behörde innerhalb des Gesundheitssystems sind voll und ganz darauf vorbereitet, uns um alle medizinischen Probleme zu kümmern.«

Priorität Ernährung

Das größte medizinische Problem ist derzeit das Refeeding-Syndrom. Nach fünfzehn Monaten Unterernährung besteht im Fall einer plötzlichen Wiederaufnahme von Nahrung die Gefahr, dass der Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt des Körpers gefährlich gestört wird. Bei früheren Geiselfreilassungen wurde ein Gewichtsverlust von zehn bis siebzehn Prozent der Körpermasse festgestellt, was acht bis sechzehn Kilogramm entspricht.

Angesichts der langen Zeit ihrer Gefangenschaft rechnet das medizinische Team bei den drei Frauen mit noch komplexeren Herausforderungen, weswegen sie sich einer umfassenden Untersuchung unterziehen müssen. Das festgelegte medizinische Protokoll umfasst Tests wie das Screening auf Infektionskrankheiten, eine Ernährungsbewertung einschließlich Vitamin-, Kalium-, Zink- und Vitamin-B-12-Spiegel, eventuelle Schwangerschaftstests, Blutgerinnungstests wegen der langen Immobilität der Geiseln sowie detaillierte Untersuchungen der neurologischen, respiratorischen und kardialen Funktionen.

Systematische Bereitschaft und Betreuung

Sechs Krankenhäuser im ganzen Land sind auf die Aufnahme von Geiseln vorbereitet – vier in Zentralisrael und zwei Erstuntersuchungszentren in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen. Die Richtlinien des Gesundheitsministeriums empfehlen einen mindestens viertägigen Krankenhausaufenthalt, um die erforderlichen Tests und eine schrittweise Anpassung zu ermöglichen.

Für die Untersuchungen wurde ein multidisziplinäres Expertenteam zusammengestellt, wobei Spezialisten aus verschiedenen Fachgebieten eingesetzt werden: Augenärzte, die das Sehvermögen nach längerer Dunkelheit beurteilen, Gynäkologen, die umfassende Untersuchungen durchführen, Geriatriker für die Beurteilung der Auswirkungen längerer Immobilität, Zahnärzte, die sich mit durch die Gefangenschaft bedingten Zahnproblemen befassen, und Psychologen, die sofortige und langfristige psychologische Unterstützung leisten.

»Wir sind sowohl mit emotionalen als auch medizinischen Herausforderungen konfrontiert«, betonte Frankel-Nir. »Das von uns entwickelte Betreuungssystem basiert auf Erfahrungen und Erkenntnissen aus früheren Ereignissen.« Das Team für psychische Gesundheit konzentriert sich auch darauf, den Rückkehrern und ihren Familien Privatsphäre und Ruhe zu gewährleisten und sicherzustellen, dass sie nicht durch Stress von außen oder zu viele Besucher überfordert werden.

Das Betreuungssystem geht über die Entlassung aus dem Krankenhaus hinaus und wird in den Gemeinden fortgesetzt, in welche die ehemaligen Geiseln entlassen werden. »Wir haben ein umfassendes Programm für die fortlaufende Betreuung entwickelt«, erklärte Mendlovich. »Unser Ziel ist es, einen reibungslosen Übergang vom Krankenhausaufenthalt in den Alltag zu ermöglichen und dabei eine gründliche medizinische und psychologische Überwachung aufrechtzuerhalten.«

Noch immer im Tunnel

Hagai Levine, Leiter des Gesundheitsdienstes des Forums für Familien von Geiseln und Vermissten, sagte am Montagmorgen gegenüber Israel Hayom, die Genesung der Rückkehrer beginne im Moment ihrer Freilassung, dies aber ein lebenslanger Prozess sein werde: »Ein Teil von ihnen ist mental immer noch in diesem Tunnel. Sie haben so lange Zeit mit ihren Mitgefangenen verbracht, dass sie sich schuldig fühlen, wenn sie etwas Angenehmes tun. Dieses Schuldgefühl gegenüber denjenigen, die noch in Gefangenschaft sind, hemmt ihre Genesung.«

Dies gelte auch für die Familien der Rückkehrer, die weiterhin in den Kampf um die Freilassung jener verstrickt sind, die noch immer gefangen gehalten werden, angetrieben von demselben Pflichtgefühl. »Selbst die israelische Gesellschaft als Ganzes kann – verständlicherweise – nicht vollständig aus dieser Lage herauskommen, solange sich die Menschen noch darauf konzentrieren, alle nach Hause zu bringen.«

Sowohl die körperliche als auch die psychische Gesundheit der Geiseln müsse überprüft und behandelt werden, sagte Levine. »Körperlich untersuchen wir auf verschiedene Erkrankungen. Bei früheren Fällen haben wir Blutgerinnsel in den Beinvenen, Hormonstörungen und Mangelernährung festgestellt. Wir untersuchen auf Vitamin- und Mineralstoffmangel, Gewichtsverlust und Hautprobleme. Einige Patienten benötigen Physiotherapie. Auf psychologischer Seite liegt noch ein langer Weg vor uns, nämlich ihr Vertrauen wiederherzustellen und ihnen dabei zu helfen, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen.«

Nach einem solchen Trauma sei eine erhebliche soziale Anpassung erforderlich, um wieder in das frühere Leben zurückkehren zu können, weiß der Leiter des Gesundheitsdienstes. »Diese Menschen müssen wieder lernen, sich im Alltag zurechtzufinden und schließlich wieder arbeiten zu können. Es ist ein komplexer, langfristiger Genesungsprozess, der sowohl die freigelassenen Geiseln als auch deren Familien betrifft. Eine vollständige Genesung ist jedoch besonders schwierig, solange andere noch in Gefangenschaft sind. Sie können sich nicht vollständig auf ihre eigene Heilung konzentrieren, wenn sie wissen, dass andere noch festgehalten werden.«

Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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