Wenn „Israelkritik“ kein Antisemitismus wäre, warum müssen ihre Vertreter es dann pflichtschuldig immer wieder aufs Neue versichern?
Josef Joffe, Die Zeit
Der Jude ist koscher, der Judenstaat ist es nicht. Im Freudschen Sinne sind Verschiebung und Übertragung im Spiel. Juden sind artengeschützt, aber es ist okay, den Landräuber Netanjahu zu brandmarken. Der probate Begriff ist „Israelkritik“ – eine Generalanklage im Gewande sachlicher Diagnose. Sie trifft keinen anderen Staat, obwohl Dutzende – Russland, China, der Iran … – nicht gerade im Sinne der Bergpredigt handeln.
Ein aktuelles Musterbeispiel ist die Aufwallung der kulturschaffenden Klasse unter dem Rubrum „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“, der sich seitdem knapp 1400 in einem offenen Brief beigesellt haben. Der Intendant der Stiftung Humboldt Forum sagt es stellvertretend für die Kohorte: „[K]ritische Positionen gegenüber der israelischen Regierung“ würden „mit Antisemitismus gleichgesetzt“. Wenn aber seit fünfzig Jahren jede israelische Regierung ins Visier gerät, muss doch der Staat gemeint sein. (…)
Unser aller Onkel Sigmund würde an seiner Zigarre ziehen und fragen, ob sich der Ankläger nicht in einer klassischen Verschiebung als Opfer stilisiere, um sich einen schlanken Fuß zu machen. Warum die rituelle Beschwörung, „Israelkritik“ sei nicht Antisemitismus, wenn dahinter nicht das schlechte Gewissen pochte?
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