Letzten Samstag wurde in Tel Aviv der 64. Eurovision Songcontest ausgetragen. Im Vorfeld des Wettbewerbs riefen Aktivisten auf der ganzen Welt zum Boykott auf und wollte damit laut eigener Auskunft auf die prekäre Situation der Palästinenser und das „Pinkwashing“ durch die israelische Regierung aufmerksam machen. Welche Auswirkungen hatten diese Boykottaufrufe auf das berühmteste Musikevent Europas?
Letzten Samstag, am 18. Mai, wurde in Tel Aviv die 64. Ausgabe des Eurovision Songcontest ausgetragen, nachdem die israelische Künstlerin Neta Barzilai letztes Jahr mit ihrem Song „Toy“ ganz Europa begeisterte und den Contest gewann. Mit den Worten „next time in Jerusalem“ (nächstes Mal in Jerusalem) übernahm die Künstlerin damals ihren Preis und brachte die Eurovision damit zum vierten Mal nach Israel. Es dauerte nicht lange, bis die internationale Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) Bewegung zum Boykott des Songcontest in Israel aufrief. Die üblichen Verdächtigen aus aller Welt erklärten ihre „Solidarität mit den Palästinensern“ und forderten, dass kein „business as usual“ gemacht werden dürfe und der Song Contest in ein anderes Land verlegt werden müsse.
Im Wesentlichen rufen BDS-Unterstützer zu dreierlei Arten von Boykotten auf: wirtschaftlichem, kulturellen und akademischem Boykott. Der wirtschaftliche Boykott bezieht sich darauf, den Handel mit Israel zu verweigern, wobei dieser Boykott verschiedene Ausmaße annehmen und von gänzlicher Verweigerung der wirtschaftlichen Kontakte mit Israel bis zur Nicht-Anwendung von Handelsabkommen auf bestimmte Produkte reichen kann. Das prominenteste Beispiel ist wohl die Entscheidung der Europäischen Union, Zollbefreiungen nicht auf Produkte anzuwenden, die in der Westbank produziert wurden.
Der akademische und kulturelle Boykott Israels wird von einem eigenen Komitee geführt, nämlich der „Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI)“ (Palästinensische Kampagne für den akademischen und kulturellen Boykott von Israel). Diese Kampagne ruft zum Boykott von akademischen und kulturellen Institutionen auf, da diese laut PACBI eine Mitschuld an Israels Verletzungen von internationalem Recht tragen. Der Aufruf zum Boykott des Eurovision Songcontests fällt genau in diese Kategorie des kulturellen Boykotts. Die Begründung, die hierfür immer wieder genannt wurde, ist, dass die Abhaltung eines solch prominenten und vielgesehen Events in Israel den Anschein errege, dass Israel ein Land wie jedes andere sei. Laut der BDS-Bewegung ist Israel jedoch alles andere als normal, da es tagtäglich gegen Menschenrechte verstoße.
Die erste Kontroverse nach Neta Barzilais Sieg ergab sich im Zuge der Auswahl des genauen Ortes, an dem der Songcontest 2019 ausgetragen werden sollte. Obwohl die Sängerin bereits in ihrer Dankesrede ankündigte, dass der Wettbewerb im darauffolgenden Jahr in Jerusalem gehalten werden sollte, fiel die Entscheidung letztendlich auf Tel Aviv. Von einigen Seiten geriet diese Entscheidung unter Kritik, da damit ein wesentlicher wunder Punkt zwischen Israel und Europa getroffen wurde, nämlich die Unwilligkeit Europas Jerusalem als vollwertige Hauptstadt Israels anzuerkennen. Manche interpretierten damit auch die Wahl Tel Avivs statt Jerusalems als Gewinn für die BDS-Bewegung. Laut der Europäischen Rundfunkunion jedoch war der Grund für die Entscheidung nicht der Einfluss von Boykottbewegungen, sondern schlichtweg das bessere Angebot der Tel Aviver Stadtverwaltung. Die Union betonte auch, dass der Eurovision Songcontext ein apolitisches Event und daher nicht von politischen Agenden beeinflussbar sei.
Während die BDS-Bewegung nicht erreichte, dass der Eurovision Songcontest in Israel abgesagt wurde, riefen pro-palästinensische Aktivisten teilnehmende Staaten auf, nicht am diesjährigen Wettbewerb teilzunehmen. Auch diese Forderung blieb größtenteils ungehört und keiner der Mitgliedsstaaten verweigerte die Teilnahme. Einzig und allein die isländische BandHatari äußerte im Vorhinein bereits scharfe Kritik an Israel. In einem Interview sagte die Band, dass es absurd sei, dass Israel bei solch einem Wettbewerb dabei sein dürfe und bestätigte ihre Absicht, den Auftritt beim Songcontest dafür nutzen zu wollen, auf diese Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. Obwohl Spekulationen bestanden, dass Hatari womöglich vom Songcontest disqualifiziert würde, da diese Aussagen gegen den apolitischen Charakter des Wettbewerbs verstoßen, geschah dies nicht. Der Auftritt der Band verlief wie geplant, bis sie jedoch am Ende des Abends palästinensische Fahnen in die Kamera hielten. Die Europäische Rundfunkunion plant Berichten zufolge womöglich Sanktionen gegen die Band.
Israel hat sich der BDS-Kampagne gegen den Songcontest durch die Veröffentlichung eines eigens angefertigten Satirevideos entgegengesetzt, das sich über verschiedenste Aspekte der israelischen Gesellschaft lustig macht. Außerdem lancierte die israelische Regierung eine Kampagne, in der scheinbare BDS-orientierte Werbung zu einer pro-israelischen Webseite führt und sich eines Wortspiels bedient um Israel als „Beautiful, Diverse and Sensational“ zu beschreiben.
Wenn man nun Bilanz ziehen möchte, scheint die BDS-Bewegung keinen Erfolg darin gehabt zu haben, die Abhaltung oder den Erfolg des Songcontest in Israel zu beeinflussen. Auf die Frage, ob denn die Boykottaufrufe irgendeinen Effekt hatten, antwortete die Eurovision Pressestelle auf Anfrage von Mena Watch: „Die einfache Antwort ist nein. Der Eurovision Songcontest ist ein apolitisches Event und Millionen Fans und Zuseher haben die Show live in der Expo Arena, bei Veranstaltungen in der ganz Tel Aviv und von zu Hause aus mitverfolgt.“ Im Gegensatz dazu behaupten BDS-Aktivisten, dass ihre Anstrengungen die Anzahl der Besucher und Touristen wesentlich reduziert haben. Während letztes Jahr in Lissabon rund 90,000 Touristen aus Anlass des Songcontests die Stadt besucht hatten, waren es in Tel Aviv dieses Jahr lediglich rund 10,000. Die Gründe hierfür finden sich jedoch laut Berichten nicht in den Erfolgen der BDS-Bewegung, sondern in den hohen Preisen für Flüge, Unterkünfte und Tickets sowie der Abschreckung aufgrund der gewalttätigen Eskalation um den Gazastreifen vor zwei Wochen.
Was heißt dies nun für den kulturellen Boykott allgemein? Im Falle des Eurovision Songcontest scheint dieser gescheitert zu sein, da Israel offensichtlich von den Forderungen der BDS-Bewegung unberührt blieb und auch die Teilnehmer und Zuseher nicht abgeschreckt wurden. Der Eurovision Songcontest wurde im Kontext des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufen, um Nationen näher zusammenzubringen und den kulturellen Austausch zu fördern – abseits von allfällig bestehenden historischen und politischen Konflikten. Kultur und Musik müssen auch heute, im 21. Jahrhundert, apolitisch bleiben und dürfen nicht zu Waffen für politische Agenden gemacht werden.
Die BDS-Bewegung gewann im Kontext der zweiten Intifada an Prominenz und wurde seither als die gewaltfreie Alternative für den Protest gegen Israels Politik gefeiert. Was dabei jedoch oft aus den Augen verloren wird ist, dass nicht nur der palästinensische Anspruch auf nationale Selbstbestimmung Legitimität hat, sondern auch Israel ein grundlegendes Existenzrecht besitzt. Das Ziel der BDS-Bewegung scheint es nicht zu sein, ein Ende der israelischen Besatzung des Westjordanlandes zu erreichen und damit eine Zwei-Staaten-Lösung zu vertreten, sondern Israels Legitimität ganz allgemein in Frage zu stellen. Abgesehen davon sollte die Bühne für die Lösung des Nahostkonfliktes ohnehin nicht jene des Eurovision Songcontests sein, sondern Verhandlungen zwischen den beiden Seiten als gleichwertige Partner.