Der “Ayatollah der Hinrichtungen” – Irans nächster Präsident Ebrahim Raisi (Teil 2)

Kuss vom Terrorpaten Soleimani: Raisi auf dem Sprung zum Obersten Führer
Kuss vom Terrorpaten Soleimani: Raisi auf dem Sprung zum Obersten Führer (© Imago Images / NurPhotos)

Raisi legte nicht nur – wie in Teil 1 beschrieben – eine Blitzkarriere in der Islamischen Republik hin, sondern baute seine Macht sukzessive weiter aus, sodass er sich nicht nur als für das Amt des Präsidenten empfahl, sondern wohl auch als Nachfolger des Obersten Führers Khamenei.

Initiative „Free Iran Now“ Kassel

Während Ruhollah Khomeini 1989 verstarb, war diese Zeit erst der Anfang der Karriere des Todesrichters Ebrahim Raisi. Unmittelbar nach der Machtübernahme durch Ali Khamenei und einigen Veränderungen in wichtigen Positionen der Regierung wurde Raisi im Alter von 29 Jahren auf Anordnung von Scheich Mohammad Yazdi, dem damaligen Chef der Judikative, zum Staatsanwalt von Teheran befördert und übte dieses Amt bis 1994 aus.

Danach wurde er für zehn Jahre (1994-2004) zum Leiter des „Wächterrats“ ernannt und übte darauffolgend (2004-2014) das Amt des „Ersten Stellvertreter der Justiz“ aus. Später wurde er zum „Generalstaatsanwalt“ befördert, eine Position, die er fast zwei Jahre lang innehatte. Im Juni 2012 hatte Ali Khamenei Ebrahim Raisi per Dekret zum „Sondergeneralstaatsanwalt des Klerus“ ernannt, ein Amt, das er bis heute bekleidet.

Raisi ist zudem seit 2006 Mitglied des „Expertenrats“ und gehört derzeit zu den elf Mitgliedern der Kommission für die „Untersuchung von Artikel 111 der Verfassung“. Dieser Grundsatz der Verfassung der Islamischen Republik Iran bezieht sich auf die Wahl eines neuen Führers im Falle des Todes oder der Absetzung des jeweils aktuellen Führers.

Weitere kleine und große Positionen, die der Hinrichtungsayatollah Raisi in diesen Jahren bekleidete, sind beispielsweise: Sekretär des „Hauptquartiers für das Gebieten des Rechten und Verbieten des Verwerflichen“, Mitgliedschaft im „Supreme Selection Board“, Co-Vorsitzender der Schrein-Moschee „Imamzadeh Saleh“ in Teheran und Vorsitzender des „Radio Supervisory Council“, der mit Medienzensur beauftragt ist. Die meisten dieser Ämter haben mit Repression und Ausschaltung der Opposition zu tun.

Diese vielseitigen Positionen und die Tatsache, dass Raisi vierzehn Jahre lang ein direkter Schüler Ali Khameneis war, zeigen die Bedeutung seiner Person und der Verstrickung in das Netzwerk des Regimes.

Ständiges Mitglied von Sonderkommissionen

Auffällig ist Raisis Mitgliedschaft in einer beträchtlichen Anzahl von Sonderkommissionen, sodass sein Name mit vielen blutigen Ereignissen und Entscheidungen der Islamischen Republik verbunden ist.

So leitete er beispielsweise die dritte Gruppe, die die Explosion im Gebäude des Premierministers 1981 untersuchte. Im Zuge dessen übernahm er zusammen mit dem „Metzger des Evin-Foltergefängnis“, Assadollah Lajevardi, die Vernehmung und Folter der Angeklagten. Nach fünf Jahren ergebnisloser Ermittlungen ordnete Ayatollah Khomeini persönlich die Einstellung des Falls aus nicht bekannten Gründen an.

Raisi war 1999 auch Mitglied des „Sonderausschusses zur Untersuchung der Wohnheimvorfälle an der Universität Teheran“, der unter der Schirmherrschaft des Obersten Nationalen Sicherheitsrats arbeitete.

Weil eine kritische Zeitung im Iran verboten worden war, kam es im Jahr 1999 zu Protesten von Studenten der Teheraner Universität. Kurz darauf stürmten Soldaten der Iranischen Revolutionsgarden in Zivil den Campus und überraschten die Studenten im Schlaf. Die Wohnungen wurden aufgebrochen und verwüstet, mehr als 300 Personen verhaftet und mindestens sieben Studenten wurden bei dieser Attacke auf das Wohnheim getötet. Wie viele Festgenommene während der Vernehmungen ermordet wurden, ist bis heute unklar.

Ebrahim Raisi und die anderen Mitglieder des Komitees wurden vom damaligen – und bis heute als „moderat“ geltenden – Präsidenten der Islamischen Republik, Mohammad Khatami, bei ihrer Aktion unterstützt.

Jahre später wurde Raisi einem weiteren Komitee zugeteilt. Nachdem durch Mehdi Karroubi Vergewaltigungen von Häftlingen im Zuge der Proteste von 2009 aufgedeckt worden waren, wurde auf Anordnung der Justiz ein Komitee eingesetzt, um Karroubis Aussagen zu untersuchen. Dieses Komitee wies Karroubis Äußerungen erwartungsgemäß zurück und behauptete, seine Dokumente seien „frei erfunden“, „unwahr“ und „beabsichtigen, die öffentliche Meinung täuschen“.

Ebrahim Raisi, damals stellvertretender Chef der Justiz, ging selbstredend noch einen Schritt weiter. Sein repressiver Instinkt flammte erneut auf und er warnte, dass „die Justiz die Anführer des Aufruhrs entschlossen verfolgen wird.“ Dementsprechend ist er einer der Befürworter des Hausarrests für die Anführer des „Green Movement“ und sagt, die Islamische Republik behandle die Anführer der Aufwiegelung freundlich, weil „ihr Arrest ihrer eigenen Sicherheit dient.“

Amnesty International berichtete damals, dass nach den Unruhen während der Wahlen 2009 im Iran mindestens 115 Menschen hingerichtet worden waren. Laut Iran-Beobachtern sollten diese Hinrichtungen von Oppositionellen eine politische Botschaft des Regimes an seine Bevölkerung übermitteln, dass Protest mit Gewalt beantwortet werden wird.

„Handamputation ist eine unserer größten Errungenschaften“

Neben seinem Werdegang und seinen Positionen zeigt auch ein flüchtiger Blick auf die Worte von Ebrahim Raisi deutlich, wie weit Gewalt, Hass und Grausamkeit in seiner Person institutionalisiert sind: Er ist bereit, jedes Verbrechen zu begehen, um die Ordnung der iranischen Theokratie aufrechtzuerhalten.

Raisi zollt den beiden bisherigen Führern der Islamischen Republik, Khomeini und Khamenei, seinen Respekt und zeigt sich deren Ideen ergeben. Soe behauptet er etwa, dass alle „muslimischen Nationen die Islamische Revolution und den verstorbenen Imam [Khomeini] lieben“. Gleichzeitig verkörpert Raisi die antiisraelische und antiamerikanische Ideologie des Regimes:

„Das ominöse Dreieck von Amerika, Großbritannien und dem zionistischen Regime ist in den Augen aller Menschen der Welt das am meisten gehasste Phänomen.“

Er verspricht nicht nur die Vernichtung Israels, sondern kündigt auch die „Befreiung“ Saudi-Arabiens an:

„Bald werden nicht nur das heilige Jerusalem, sondern auch die beiden heiligen Schreine vom Schmutz des arroganten Daseins gereinigt.“

Während Raisi die Notwendigkeit einer „umfassenden Unterstützung“ für den syrischen Diktator Bashar al-Assad betont, sieht er Syrien ausdrücklich als Teil des Iran: „Syrien ist die Grenze der Islamischen Republik, um ihre Sicherheit und Identität zu verteidigen“, verdeutlicht er den Herrschaftsanspruch über das Gebiet.

In seinen Werken skizziert Raisi die „Eigenschaften der islamischen Utopie“ und fordert beispielsweise, die westlichen Begriffe „Fortschritt“ und „Entwicklung“ abzulegen und eine „Neudefinition der Rechtsprechung“.

„Der Islam glaubt an einen von Gott geleiteten Staat, nicht an einen Wohlfahrtsstaat.“

Seine antidemokratischen und repressiven Vorstellungen beweist Raisi, wenn er den Begriff der „Tyrannei“ explizit verteidigt und fordert, dass „in einer religiösen Gesellschaft ein jeder dieselbe Meinung teilen soll“, womit das politische Herrschaftssystem des Iran implizit als für alle Schiiten weltweit gültig erklärt wird.

Während des sogenannten „blutigen Ashura“, einem Protest im Jahr 2009, wurden in 21 Städten über 1.400 Menschen verhaftet und Dutzende ermordet. Die Polizeikräfte beantworteten den Protest mit brutaler Gewalt und die Iranischen Revolutionsgarden haben Demonstranten mit Autos überfahren und die toten Körper von Brücken geworfen.

Fünf Tage nach den Ashura-Protesten bezeichnete Raisi als Redner des Freitagsgebets in Teheran die Demonstranten als Eindringlinge und drohte: „Gegenüber jenen, die wie Eindringlinge die Sicherheit zerstören werden wir keine Gnade walten lassen.“ Angesichts der Tatsache, dass das Urteil für „Eindringlinge“ in der Islamischen Republik die Hinrichtung ist, lieferte Raisi mit diesen Aussagen praktisch die Legitimation für die Tötung der Demonstranten.

Gleichzeitig kündigte er als erster die Verhaftung von Hunderten von Menschen am Tag der „blutigen Ashura“ an und forderte „die zuständigen Behörden und die Strafverfolgungsbehörden“ auf, „mit solcher Gewalt gegen die Aufrührer vorzugehen“, dass „niemand es je wieder wagen würde, Unsicherheit zu erzeugen.“

Im November 2010 beschrieb er die Handamputation eines Diebes in der Stadt Yazd als „dem Gesetz und den gottgegebenen Vorgaben gemäß“ und warnte, dass solche Urteile „in Zukunft immer wieder fallen werden, wenn der Richter gemäß dem Gesetz der Scharia handelt.“ Dementsrpechend betrachtet Raisi das Vorsehen der Amputation für überführte Diebe als eine der „größten Errungenschaften“ der Islamischen Republik.

Nur eine Lösung

Das Regime scheint für alle Probleme, vom Drogenhandel bis hin zu sozialen Protesten, nur eine Lösung zu haben: die Hinrichtung; wobei die Islamische Republik Hinrichtungen als Lösung aber auch als Präventivmaßnahme einsetzt.

Die Agenten der Judikative behaupten, dass sich die Justiz seit der Ernennung von Ebrahim Raisi zu deren Chef im Februar 2018 „gewandelt“ habe. Sie weisen darauf hin, dass Raisis Mission während dieser „Zeit des Wandels“ darin bestanden habe, abweichende Meinungen bloß gerichtlich zu ahnden. Doch die Realität sieht anders aus: Die 24 Monate, in denen Raisi das Amt ausgeübt hatte, zeichneten sich durch eine große Anzahl an Todesurteilen aus und machen deutlich, dass die „Zeit des Wandels“ auch weiterhin darin bestand, die politische Opposition im Iran systematisch auszuschalten.

Berichte von Amnesty International und der Iran Human Rights Organisation zeigen, dass zwischen den Jahren 2000 und 2019 mindestens 8.071 – entweder öffentlich oder in den Folterkellern der Gefängnisse durchgeführte – Hinrichtungen stattfanden. Laut einem Rückblick von Radio Farda war das Jahr 2015 ein außergewöhnliches Jahr mit fast 1.000 Hinrichtungen. Genau jenes Jahr also, in dem das Atomabkommen verabschiedet wurde, das vermeintlich zur Kontrolle des Irans beitragen sollte.

Vergangenes Jahr verwendeten über 5 Millionen Iraner und Nicht-Iraner den Hashtag #DontExecute auf Persisch, um gegen die iranische Justiz zu protestieren und drei junge Männer vor ihrem Todesurteil zu bewahren. Sie wurden im Zuge von Protesten im Jahr 2019 festgenommen und zwei der drei wurden bereits hingerichtet. Dem Dritten gelang die Flucht in die Türkei, jedoch wurde er vom Erdogan-Regime zurück in den Iran deportiert, wo er nun auf seine Hinrichtung wartet.

Öffentliche und geheime Exekutionen stehen also auch weiterhin auf der Tagesordnung im System der Islamischen Republik, und es ist offenkundig, dass die iranische Justiz und ihr Vorsitzender Ebrahim Raisi – der der nächste Präsident sein wird – mit der Zunahme der Hinrichtungen die Botschaft aussenden, dass die einzige Antwort des Regimes auf Ungehorsam und Protest die Hinrichtung ist.

Gebettet auf dem Reichtum von Astan Quds

Ebrahim Raisi beherrscht als 2016 eingesetzter „Verwalter der Astan Quds Razavi“-Stiftung mittlerweile Dutzende von kleinen und großen Unternehmen, Industrien, ja ganzen Wirtschaftssektoren, sodass die genaue Höhe der Vermögenswerte unter seiner Kontrolle nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Die „Astan Quds Razavi“ mit mehr als fünfzig angegliederten Wirtschaftsunternehmen und fünfzehn kulturellen und sozialen Einrichtungen und Stiftungen in der Stadt Mashhad wird unter der Aufsicht von Raisi verwaltet und ist die Hauptfinanzierungsquelle für die schiitische Welt. Damit gehört die „Astan Quds Razavi“ auch zum Finanzierungsnetzwerk des internationalen Terrorismus durch das iranische Regime.

Die Stiftung ist letztlich dem Obersten Führers der Islamischen Republik unterstellt und dadurch von der Steuerzahlung befreit. Als Ebrahim Raisi in diese Position zu berufen wurde, bat Ayatollah Khamenei ihn ausdrücklich, die „Wirtschafts- und Dienstleistungsunternehmen“ von Astan Quds Razavi zu „reorganisieren“. Die Stiftung hat Einfluss in vielen verschiedene Bereiche des Landes. Erst kürzlich wurden den ihr angegliederten Unternehmen fünf große Entwicklungsprojekte zum Ausbau der Infrastruktur zugewiesen.

Zusätzlich droht ein weiterer wirtschaftlicher und politischer Machtausbau Raisis durch die Übernahme der wichtigen Tageszeitung Khorasan, die derzeit dem Obersten Führer Khamenei unterstellt ist.

Ebrahim Raisi ist der Schwiegersohn von Ahmad Alam al-Huda (dem Imam der extremistischen Gemeinde von Mashhad und Vertreter des Obersten Führers in der schiitischen Welt), und die politische und wirtschaftliche Macht von Khorasan ist theoretisch zwischen dem Raisi und seinem Schwiegervater aufgeteilt. Doch ist der eigentliche Besitzer dieses Machtinstruments kein geringerer als Ali Khamenei, dessen Amt Raisi voraussichtlich bald übernehmen wird.

Präsidentenamt als Sprungbrett

Im Jahr 2017 ist Ebrahim Raisi schon einmal zur Präsidentschaftswahl angetreten, unterlag dabei jedoch seinem damaligen Konkurrenten Hassan Rohani. Während der letzten vier Jahre konnte Raisi seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss weiter ausbauen, was ihn gemeinsam mit der Unterstützung durch konservativ-fundamentalistische Gruppen motiviert hat, erneut für das Amt des Präsidenten zu kandidieren.

Denn das Wahlergebnis für den neuen Präsidenten wird nicht am vermeintlich demokratischen Wahltag entschieden, sondern vielmehr in einem davor stattfindenden Machtkampf innerhalb des Regimes. Damit stehen die Chancen für den Ayatollah der Hinrichtungen allzu gut, nicht nur der nächste Präsident zu werden, sondern auch die Nachfolge Khameneis anzutreten, sobald dieser – sei es durch Tod, sei es durch Abdankung aus gesundheitlichen Gründen – aus dem Amt des Obersten Führers ausgeschieden ist.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!