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Aus Gefängnis geflohene Terroristen: Lehren aus dem Debakel

Die kurzzeitig aus einem israelischen Gefängnis Entflohenen werden in Gaza als Helden gefeiert
Die kurzzeitig aus einem israelischen Gefängnis Entflohenen werden in Gaza als Helden gefeiert (© Imago Images / ZUMA Wire)

Auch wenn die sechs geflohenen Terroristen mittlerweile wieder in Haft sind, wird die Aufarbeitung der Angelegenheit in Israel noch lange Zeit in Anspruch nehmen.

Anfang September gelang es sechs palästinensischen Terroristen aus dem Hochsicherheitsgefängnis Gilboa im Norden Israels auszubrechen. Zwei Wochen später waren alle sechs wieder gefasst. Vorbei ist die ganze Angelegenheit aber noch lange nicht. Sie hat nämlich neben den erstaunlichen Fähigkeiten der Militär- und Polizeikräfte auch erhebliche Schwachstellen im lokalen Gefängnissystem freigelegt. Diese gilt es nun, dringend zu reparieren.

Der erste (Schildbürger)-Streich …

Jetzt sind sie also wieder in Gewahrsam, die sechs überführten Terroristen, denen es gelungen war, Anfang September aus dem Gefängnis auszubrechen. In Israel fragt man sich aber immer noch, wie es überhaupt zu ihrer Flucht kommen konnte. Einig ist man sich offenbar darüber, dass die Angelegenheit einem Schildbürgerstreich ähnelt. Da geschahen nämlich gleich mehrere, groteske Fehler.

Die Terroristen hatten online einen Grundriss der Haftanstalt gefunden, den das Architekturbüro freundlicherweise auf seiner Website gepostet hatte. Dann konnten sie eine Metallplatte vom Boden ihres Duschraums entfernen und dergestalt hohle Gänge unter der hastig erbauten Anlage freilegen.Zwar war eine ähnliche Methode schon einmal in 2014 bei einem Gefängnisausbruch in Israel genutzt worden, und die Zuständigen hatten sich damals vorgenommen, Beton in solche Hohlräume zu gießen. Der fromme Vorsatz wurde allerdings nie ausgeführt.

Was am Tag der Flucht selbst geschah, mutet, ob der Nachlässigkeit der zuständigen Behörden, wohl noch absonderlicher an: die meisten Wachtürme blieben unbesetzt, eine Gefängniswärterin war friedlich eingeschlummert, und als schließlich Zivilisten auf die verdächtigen Gestalten aufmerksam geworden waren und die Polizei riefen, konnte letztere niemanden in der Gefängniszentrale erreichen. Die Telefonnummer war nämlich geändert worden, und keiner hatte daran gedacht, die Sicherheitskräfte zu informieren.

Tja, und dann bleibt noch die prinzipielle Frage, warum ein Gefängnis, in dem Terroristen inhaftiert werden, ausgerechnet in der Nähe der West Bank gebaut wird. Bis zur Terroristenhochburg Jenin sind es schließlich nur wenige Kilometer.

… und der zweite folgte sogleich

Es gab also jede Menge Mankos auf israelischer Seite, allerdings waren die Terroristen auch nicht besonders schlau. Sie hatten, wie sich bald herausstellte, überhaupt keinen Plan gemacht, wie es denn nach der Flucht weitergehen sollte, wohin sie gehen würden, ob sie zusammenbleiben, und an wen sie sich hilfesuchend wenden könnten. Es scheint als würden sie selbst an ihrem Erfolg gezweifelt haben.

Sie zählten wohl auch auf die unbedingte Hilfe der arabischen Israelis, wenn ihnen die Flucht denn doch gelänge. Diese Rechnung ging aber nicht auf, und schon bald mussten sich vier der Geflüchteten hungrig und erschöpft in einem Feld auf israelischem Boden verstecken. Dort wurden sie schließlich aufgegriffen. Den zwei weiteren Terroristen gelang die Flucht nach Jenin. Als sie aber dort zunehmend unvorsichtig vorgingen, wurden sie rasch von den israelischen Sicherheitskräften aufgespürt.

„Was schiefgelaufen ist, kann repariert werden“

Die ersten vier Terroristen wurden also noch auf israelischem Boden, mit Hilfe wertvoller Tipps von der lokalen arabisch-israelischen Bevölkerung, gefasst. Die Festnahme erfolgte dann, wie man im Fernsehen verfolgen konnte, bei drei der vier Häftlinge ohne große Zwischenfälle.

Allein Zacharia Zubeidi leistete Widerstand. Dass er dann nicht mit Samthandschuhen angefasst wurde, steht außer Frage. Aus seinem recht geschundenen Äußeren versuchten Palästinenser aber dann zu konstruieren, die Israelis hätten Zubeidi gefoltert. Die Behauptung stellte sich aber spätestens dann als Verleumdung heraus, als klar wurde, dass die palästinensische PR-Maschine ein gefälschtes Bild des Terroristen in Umlauf brachte, wo er, trotz geschwollener Wange, paradoxerweise strahlend in die Kamera blickt.

Die Absicht war wohl, den Terroristen auch nach der Festnahme als unschlagbaren „Winner“ zu zeigen. In Wirklichkeit haben die Israelis bei den Festnahmen mit großer Umsicht und Präzision agiert. Es kam zu keinerlei Gewaltausschreitungen. Keiner der Umstehenden wurde verletzt. Das war umso wichtiger, als man eine weitere Aufheizung der palästinensischen Gemüter mit allen Mitteln verhindern wollte.

Premierminister Bennett zeigte sich denn auch zufrieden über den Ausgang der bizarren Story, ohne allerdings die ursprünglichen Schwachstellen zu leugnen. Die Aktion zeige, so beteuerte er, dass Schiefgelaufenes repariert werden könne.

Keine Hollywood-Story

Normalerweise versetzt die Gefängnisflucht überführter Mörder internationale Beobachter in nervöse Spannung. In diesem Fall aber löste das Ereignis bei vielen Faszination und Sympathie aus.

In den Medien wurde die Häftlingsflucht aus Gilboa mit jener aus dem berühmten Hollywood-Film, Shawshank Redemption verglichen. Der Vergleich hinkt aber. Denn bei der Flucht aus Gilboa handelt es sich nicht um unschuldig Verurteilte, sondern um militante Terroristen und Mörder, die weder Reue zeigen noch Buße versprechen. Im Gegenteil.

Der Auftrag an Israel

Gerade aber weil die Häflingsflucht Sympathien erweckt hat – bei Anhängern des Palästinensiche Islamischen Jihad, der Fatah und der Hamas sowieso, aber auch bei einem weitergefächerten, ahnungslosen Publikum – ist es wichtig, die Konditionen in den israelischen Gefängnissen neu zu überdenken.

Wie Liat Collins neulich in der Jerusalem Post beschrieb, ist man Häftlingen gegenüber bislang in Vorleistung gegangen in der Hoffnung sie würden „stillhalten“. In der Tat durften Insassen akademischen Studien frönen, konnten sich selbst nach Lust und Geschmack bekochen und bekamen Zugriff zu einem eigenen TV und Telefon. Die Annahme, dass sie damit besänftigt werden könnten, erwies sich allerdings als irrig, wie die aktuellen Ereignisse einmal mehr zeigten.

Vor zwei Jahren empfahl Gilad Erdan, der damalige Minister für die öffentliche Sicherheit, unterschiedliche Konditionen für reguläre Häftlingen und für Terroristen. Letztere würden das fundamentale Ziel einer Inhaftierung, nämlich die Rehabilitation, gleich vorab verweigern. Erst jetzt nimmt man seine Empfehlungen ernst und will einige Verschärfungen einführen. Aber schon die Überlegung allein bringt militante Palästinenser zur Weißglut. Einige Häftlinge haben ihre Gefängniszellen angezündet, viele drohen mit Hungerstreik.

Israel sucht, wieder einmal zu schlichten, weil man weiß, dass solche Aktionen im Nu übergreifen und Unruhe bei der palästinensischen Bevölkerung stiften können. Schon fliegen wieder Raketen auf israelische Städte, schon rufen Hamas und der Islamischer Jihad zu „Tagen des Zorns“ auf. Ob die Besänftigung der richtige Weg ist, bleibt also fraglich. Denn, so Liat Collins, es kann doch nicht angehen, „dass Terroristen hinter Gittern das Sagen haben“.

Unabhängige Untersuchungskommission

In jedem Fall soll nun eine unabhängige Kommission den Fluchtversuch der sechs Terroristen untersuchen und Empfehlung aussprechen, um ähnliche Fälle künftig zu verhindern und israelische Gefängnisse sicherer zu machen.

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