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Äthiopiens Sieg im Kampf um den Nil

Brücken über den Blauen Nil in Äthiopien. (© imago images/Panthermedia)
Brücken über den Blauen Nil in Äthiopien. (© imago images/Panthermedia)

Fast reflexartig wird der Nil ausschließlich mit Ägypten assoziiert. Doch jetzt hat Äthiopien Klarheit geschaffen, wer der tatsächliche Herrscher über den lebensnotwendigen Wasserlauf ist.

Zehn Jahre hat es gedauert, um Afrikas größten Staudamm mit dem angeschlossenen Wasserspeicherkraftwerk zu errichten. Nun ist die erste von insgesamt dreizehn Turbinen in Betrieb gesetzt worden. Am 20. Februar erklärte der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed, begleitet von großen Feierlichkeiten, den »Grand Ethiopian Renaissance Dam« (GERD) für eröffnet.

Ist der Stausee einmal gänzlich gefüllt, was wahrscheinlich im Jahr 2024 ­der Fall sein wird, sollen bis zu 5.000 Megawatt Elektrizität erzeugt werden können. (Zum Vergleich: Österreichs größtes Wasserspeicherkraftwerk, die Malta-Hauptstufe, erbringt eine Leistung von 730 MW; das weltweit größte Wasserkraftwerk, die Drei-Schluchten-Talsperre in China, produziert 22.000 MW). Mit dieser für afrikanische Verhältnisse gewaltigen Menge an Elektrizität soll das ganze Land mit seinen über hundertzehn Millionen Einwohnern mit Strom versorgt werden.

Das Kraftwerkprojekt wird nicht nur das Leben der Bevölkerung enorm erleichtern ­– zurzeit haben fast zwei Drittel der Äthiopier keinen direkten Zugang zur Stromversorgung ­–, es wird auch der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes einen dringend notwendigen Modernisierungsschub ermöglichen. Die Gesamtkosten dieser nationalen Kraftanstrengung beliefen sich auf rund fünf Milliarden Dollar, die, ohne ausländische Finanzierung, der äthiopischen Bevölkerung abverlangt wurden.

Der Blaue Nil, um den es hier geht, entspringt im niederschlagsreichen abessinischen Hochland in Äthiopien und wird auf seinem zwischen 1.400 und 1.700 Kilometer langen Weg (bis heute existiert keine exakte Längenangabe) nach Karthum, wo er sich mit dem Weißen Nil zusammenschließt, von zahlreichen Quellflüssen gespeist. Seine mitgeschwemmten Sedimente ermöglichen seit Jahrtausenden den erfolgreichen Ackerbau entlang der sudanesischen und ägyptischen Nilufer. Unabhängig davon, wie die Regenzeit zwischen Juni und September ausfällt, speist seine Wassermenge den gesamten Nil mit bis zu 70 Prozent.

Die massiven Proteste der beiden Nil-Staaten Sudan und Ägypten, die von Anfang an gegen den Bau der Staumauer laut geworden waren, gründen auf der Befürchtung, dass Äthiopien vor allem in Zeiten geringer Niederschläge den Wasserzufluss jederzeit reduzieren könne, um die eigene Energieproduktion aufrechtzuerhalten. Denn nur wenn der Stausee permanent aufgefüllt ist, kann jene Menge an Strom erzeugt werden, die sich Äthiopien von diesem gigantischen Projekt verspricht.

Würde Äthiopien vor allem in Zeiten der Dürre den Wasserabfluss drosseln, stünden dem Sudan und Ägypten wesentlich weniger Nilwasser für die eigene Landwirtschaft und Energieerzeugung zur Verfügung. Dieselbe Drosselung könnte aber auch Überschwemmungen verhindern, die zum Beispiel im Sudan immer wieder zu katastrophalen Verwüstungen führen. Im Gegensatz zum Sudan ist Ägypten mit dem vor fünfzig Jahren erbauten Assuan-Staudamm eher in der Lage, den Wasserstand des Nils zu regulieren.

Sämtliche Gespräche zwischen den drei Nil-Anrainerstaaten, die in den letzten Jahren geführt wurden, um zu einem für alle Beteiligten kompromissfähigen Verteilungsvertrag zu kommen, sind letztendlich gescheitert; nicht zuletzt deswegen, weil sich Ägypten immer als »Besitzer« des Nils geriert hat. Noch während der Kolonialzeit wurden dem Sudan und Ägypten von Großbritannien das Nilwasser vertraglich zugesprochen, ohne jemals Äthiopien, wo der Blaue Nil entspringt, in die Verhandlungen einzubeziehen. Nun hat das Land Fakten geschaffen.

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