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Assads Sturz: Wer übernimmt das Erbe des syrischen Diktators?

Syrer versammeln sich nach dem Sturz von Bashar al-Assad in den Straßen von Damaskus
Syrer versammeln sich nach dem Sturz von Bashar al-Assad in den Straßen von Damaskus (© Imago Images / Xinhua)

Mit dem Einmarsch syrischer Milizen in Damaskus und der Flucht von Präsident Assad endete nach über fünfzig Jahren das Regime der Herrscherfamilie.

Seit dem Beginn der neuen Offensive islamistischer Milizen vor zehn Tagen ist in Syrien nichts mehr, wie es war. Am 29. November drangen die Rebellen ins Zentrum der einstigen Industriemetropole Aleppo ein, und danach ging alles sehr schnell: Als nächstes fiel Hama, die Aufständischen stießen nach Homs vor, und auch im Süden und Osten des Landes brachen Gefechte aus. Der Widerstand der staatlichen Armee war überschaubar, die meisten Soldaten desertierten oder übergaben ihre Waffen. Laut der britischen Tageszeitung The Guardian flohen 2.000 Soldaten über die Grenze in den Irak. Offenbar war niemand mehr bereit, für den Assad-Clan zu kämpfen.

Am 7. Dezember gaben die Regierungstruppen die strategisch wichtige Stadt Homs auf. Damit war die Verbindungsroute zwischen Damaskus und der syrischen Mittelmeerküste gekappt. Am selben Tag gaben Hisbollah-Milizen den Grenzübergang bei Qusair auf und zogen sich in den Libanon zurück. Das syrische Regime war in Damaskus eingekesselt, während Oppositionskräfte aus dem Norden, Süden und Osten auf die Hauptstadt vorrückten. Gleichzeitig versuchte Präsident Bashar al-Assad zu retten, was zu retten war.

Wie Bloomberg berichtete, habe Assad den USA über die Vereinigten Arabischen Emirate das Angebot unterbreitet, wonach er bereit wäre, seine Zusammenarbeit mit vom Iran unterstützten Gruppen wie der Hisbollah zu beenden. Im Gegenzug sollten westliche Mächte ihren Einfluss geltend machen, um die Kämpfe einzudämmen. Am selben Abend verkündete der syrische Innenminister im Staatsfernsehen, die Hauptstadt sei von einer starken Sicherheitszone umgeben, die von niemandem durchbrochen werden könne. Doch die Armee, die Damaskus hätte verteidigen sollen, war längst in Auflösung begriffen und das Ende des Regimes unabwendbar.

Wo waren Assads Bündnispartner?

Auffallend war, dass Assads Verbündete, die das Regime 2015 vor dem Kollaps bewahrten, nicht oder nur zögerlich in die Geschehnisse eingriffen. Die russische Luftwaffe flog zwar einige Angriffe gegen Rebellen in Aleppo, stellte diese aber bald wieder ein, und auch die iranischen Milizen wichen den Kämpfen aus und zogen sich in den Irak zurück. Ohne nennenswerte russische Luftunterstützung und dem Wegfall der schiitischen Milizen brach die syrische Armee angesichts der vorrückenden Rebellen rasch zusammen.

Doch warum ließen die alten Bündnispartner Assad fallen? Russland wurde durch die Offensive und die binnen kürzester Zeit zusammenbrechende syrische Armee vermutlich vor vollendete Tatsachen gestellt. Mit seinen militärischen Ressourcen auf die Ukraine konzentriert, konnte oder wollte Moskau das taumelnde Regime kein weiteres Mal mehr auffangen.

Die Hisbollah, durch den Krieg mit Israel erheblich geschwächt, verfügt über keine Kapazitäten, entscheidend einzugreifen; ähnlich der Iran, dessen Milizen in Syrien in den vergangenen Monaten von der israelischen Luftwaffe gezielt angegriffen und ihre Kommandostrukturen beschädigt wurden. Hinzu kommt, dass sich der Iran durch die militärische Niederlage seiner Verbündeten Hisbollah und Hamas insgesamt in einer Position der Schwäche befindet.

Umsturz mit Folgen

Sollte Russland zu einem vollständigen Abzug aus Syrien gezwungen werden, verliert es damit seinen Brückenkopf im Nahen Osten. Der Zusammenbruch des Regimes hat aber noch viel weitreichendere Folgen für Moskau. Der syrische Luftwaffenstützpunkt Hmeimim war logistische Drehscheibe zwischen Russland und Afrika. Maschinen, die Rohstoffe aus Zentralafrika aus- oder Söldner einflogen, machten alle Halt in Syrien. Ohne den Stützpunkt werden die Transportwege für Moskau in Zukunft länger und damit teurer.

Der Iran verliert mit Baschar al-Assad einen seiner wichtigsten Verbündeten in der Region. Die neuen Herren in Damaskus könnten künftig Teherans Landweg über den Irak und Syrien zur Hisbollah in den Libanon blockieren, was für Israel eine gute Nachricht bedeutet. Gleichzeitig ist unklar, welche Israelpolitik die neuen Machthaber verfolgen werden. Assad war zwar rhetorisch aggressiv, unterließ aber direkte Angriffe auf Israel.

Die USA sehen ihre kurdischen Verbündeten in Syrien zusehends unter Druck geraten. Ein Zusammenbruch der von den Kurden kontrollierten Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) könnte auch die US-Präsenz in Syrien gefährden. Möglicherweise plant der designierte amerikanische Präsident Donald Trump aber ohnehin den Abzug sämtlicher Truppen aus Syrien, wie er es bereits während seiner ersten Amtszeit im Jahr 2019 umsetzen wollte.

Ankara erscheint derzeit als der große Profiteur des Umsturzes. Im Norden Syriens treibt der Rebellenverband SNA die Kurdenmilizen vor sich her. Damit könnte der von der Türkei seit Jahren verfolgte Plan, die PKK-nahen Kurden aus dem Grenzgebiet zu vertreiben, umgesetzt werden. Außerdem ist anzunehmen, dass nach dem Sturz Assads ein Teil der drei Millionen Syrer, die als Flüchtlinge in der Türkei leben, in ihr Heimatland zurückkehren werden, was für die Türkei eine spürbare Entlastung bedeuten würde.

Zukunftsperspektiven

Baschar al-Assad, der gemeinsam mit seiner Familie in der Nacht des 7. Dezember aus Damaskus floh, befindet sich mittlerweile in Moskau, wo Russland ihm und seiner Familie laut der staatlichen Nachrichtenagentur Tass Asyl gewährte.

Am selben Tag trat der Führer der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) öffentlich in der syrischen Hauptstadt auf. Ein Video zeigt al-Julani, wie er sich auf einem grünen Rasenstreifen zum Gebet niederkniet, seine Pistole sichtbar in den Hosenbund gesteckt – ein symbolträchtiges Bild. Der neue Herr von Damaskus zeigt sich um einen geordneten Übergang bemüht. Washington gab bekannt, die HTS von der Liste der Terrororganisationen möglicherweise zu streichen. Ob dies ein Hinweis auf eine große Zukunft des Rebellenführers sein könnte, bleibt jedoch abzuwarten.

Tatsache ist, dass HTS nur eine von vielen Rebellengruppe in Syrien ist. Der Rebellenverband SNA hat sich der HTS nicht untergeordnet und scheint in erster Linie die Ziele Ankaras zu verfolgen. Die Kurden halten nach wie vor große Gebiete im Nordosten des Landes und auch der Islamische Staat (IS) könnte im Chaos der Umbrüche wieder erstarken. Ob HTS den kompletten syrischen Staat beherrschen können wird, erscheint daher eher unwahrscheinlich. Möglicherweise einigen sich die verschiedenen Gruppierungen darauf, Syrien untereinander aufzuteilen. Es könnte allerdings auch ein neuer Bürgerkrieg um die Vorherrschaft ausbrechen.

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