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Assads Sturz bietet Chancen und Gefahren für Israel und den Nahen Osten

Bild des gestürzten syrischen Diktators Assad auf den Golanhaöhren an der Grenze zu Israel
Bild des gestürzten syrischen Diktators Assad auf den Golanhaöhren an der Grenze zu Israel (Imago Images / CTK Photos)

Jahrzehntelang stellte Syrien, dessen Assad-Regime seit 2015 von Russland und dem Iran unterstützt wurde, eine ernsthafte und permanente Bedrohung für Israel dar. Dies könnte sich nun geändert haben.

Israel Kasnett 

Israels harte Schläge gegen die Hamas im Gazastreifen und die Hisbollah im Libanon führten direkt zur unerwarteten und rasant ablaufenden Vertreibung des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad durch die Rebellen der islamistischen Miliz Hayat Tahrir al-Sham (HTS), die aus einem Ableger von Al-Qaida hervorging und sich im Jahr 2016 von der Terrorgruppe lossagte.

Laut Experten ist der Sturz Assads gut für Israel, birgt aber auch einige Gefahren. Jahrzehntelang stellte Syrien eine ernsthafte Bedrohung für den jüdischen Staat dar, insbesondere, da das Regime von Russland und dem Iran unterstützt wurde. Jetzt allerdings, nachdem der Iran ernsthaft geschwächt und Russland in der Ukraine beschäftigt ist, stellt Syrien eine deutlich kleinere Bedrohung für Israel dar. Deswegen sei es an nun der Zeit, dass Israel die syrische Bedrohung an seiner Grenze dauerhaft und zur Gänze beseitigt.

Während viele Israelis es begrüßten, würde Israel den syrischen Teil der Golanhöhen annektieren, der im Rahmen des 1974 mit Israel erzielten Abkommens unter syrische Kontrolle gestellt wurde und das den Zermürbungskrieg in der gesamten Enklave nach dem Jom-Kippur-Krieg beendete, warnen die Experten jedoch davor.

Nach Ansicht von Barak Bouks, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Bar-Ilan-Universität in Ramat Gan, ist Israel an dieses Abkommen gebunden. Israel gab denn auch an, dass die kurz nach dem Sturz Assads erfolgte Eroberung des von Syrien gehaltenen Teils des Bergs Hermon nur temporären Verteidigungszwecken diene, da von seinem Gipfel aus ein weites Gebiet kontrolliert werden könne und er selbst eine Gefahr darstelle, sollte er von extremistischen Rebellengruppen eingenommen werden. 

Um die nordöstliche Grenze zu sichern, hat Israel seine Reichweite über die entmilitarisierte Zone von 1974 hinaus ausgedehnt und Militärkräfte entsandt, um eine neue Pufferzone zu schaffen, die Angriffe von Terroristen verhindern soll. Premierminister Benjamin Netanjahu bezeichnete dies als eine »vorübergehende Verteidigungsposition«, die durch den Abzug der syrischen Truppen aus diesen Gebieten notwendig geworden sei.

Barak Bouks meinte dazu, die positive Seite von Assads Sturz bestehe darin, dass dessen Untergang mit der Vertreibung des Irans aus Syrien einhergehe, weil der Verlust der Landbrücke zwischen dem Iran, dem Irak, Syrien und dem Libanon, »die zum Machtzuwachs der Hisbollah beitrug und diesen beschleunigte«, einen schweren Schlag für die Achse bedeute.

Al-Qaida-Vergangenheit

Zugleich muss Israel nun zwischen dem beispiellosen Zusammenbruch des syrischen Regimes und dem Verlust des dortigen iranischen Einflusses und den unberechenbaren Rebellengruppen, die jetzt die Kontrolle haben, navigieren. 2016/17 schloss sich die Al-Nusra-Front, die Al-Qaida-Tochter in Syrien, mit anderen islamistischen Oppositionsgruppen zusammen, um Hayat Tahrir al-Sham (HTS) zu gründen.

Experten befürchten allerdings, dass ihr Anführer Abu Muhammad al-Julani, der jetzt wieder seinen richtigen Namen Ahmed al-Sharaa verwendet, seine Al-Qaida-Vergangenheit nicht wirklich hinter sich gelassen hat. So gesehen, könnte sich Assads Sturz auf Israel negativ auswirken.

Al-Sharaa äußerte sich letztes Wochenende zum ersten Mal seit dem Umsturz zu Israel: »Wir werden keinen Konflikt mit Israel beginnen. Israel benützt die iranische Präsenz als Vorwand, um in Syrien einzumarschieren. Wenn die Iraner Syrien verlassen haben, gibt es keinen Grund mehr für eine ausländische Einmischung in Syrien.« Zugleich bekundeten Rebellengruppen ihre Absicht, die al-Aqsa-Moschee in Jerusalem erobern zu wollen.

Auch seien »die Vorwände, die Israel für seine Luftangriffe in Syrien benutzt«, nicht mehr aufrechtzuerhalten. Dabei bezog sich Politikwissenschaftler Bouks auf die Angriffe, mit denen die Israelischen Verteidigungsstreitkräfte seit Assads Flucht die syrische Luftwaffe und Marine sowie andere militärische Einrichtungen zerstören, darunter auch die Chemiewaffen des ehemaligen Assad-Regimes. Berichten zufolge haben fünfhundert israelische Luftangriffe einen Großteil der militärischen Einrichtungen Syriens zerstört.

Während der pensionierte britische Oberst Richard Kemp dies als »strategische Meisterleistung« bezeichnete, sagte Al-Sharaa in einem Interview mit dem syrischen Fernsehen, dass »die Israelis die Einsatzregeln verletzt haben«.

Sollte es tatsächlich stimmen, dass al-Sharaa nur den Wiederaufbau Syriens beabsichtige, hofft Barak Bouks, dass sich diese Absicht »in einer neuen Regierung manifestiert, die den Willen der verschiedenen Religionen und Sekten in Syrien zum Ausdruck bringt«. Das Misstrauen der Drusen gegenüber der HTS ist jedoch so groß, dass am Freitag die Anführer und Mitglieder von sechs Dörfern in Südsyrien ein Treffen abhielten und den Anschluss an die israelischen Golanhöhen forderten.

Hoffnung nach der Tyrannei

Laut Joel Parker, Forscher am Moshe Dayan Center for Middle Eastern and African Studies der Universität Tel Aviv, ist die Situation in Syrien »nicht weniger dramatisch als der Fall der Berliner Mauer im Jahr 1989«. Während Assad jahrzehntelang ein passiv-aggressiver Akteur an der Nordgrenze Israels gewesen sei »und die Dinge im Allgemeinen ruhig hielt, entwickelte das syrische Regime im Laufe der Zeit chemische Waffen, versuchte, ein Atomprogramm zu starten und lud den Iran und seine Stellvertreter nach Syrien ein. Darüber hinaus diente es als Kanal für Präzisionsraketen an die Hisbollah im Libanon – und das alles mit dem Ziel, Israel zu treffen.«

Der Zusammenbruch der Beziehungen Syriens zur Hisbollah, zum Iran und zu Russland reduzierte »sicherlich eine Reihe großer Bedrohungen. Auch gibt er dem syrischen Volk »nach Jahrzehnten der Tyrannei wieder einen Grund zur Hoffnung«. Parker hält zwar an seinem optimistischen Ansatz fest, es gebe aber »ernsthafte Risiken für Israel und die Region, möglicherweise sogar für andere Teile der Welt«.

Die Dschihad-Gruppen, die den Angriff gegen Syriens Präsidenten angeführt haben, seien nicht pro-israelisch, so der Experte, dessen größte Sorge deren Aufspaltung »in mehr und weniger extreme Gruppen« und ein Szenario von »Chaos und Anarchie in Syrien« ist. Das könnte zu Terroranschlägen auf Israel führen, insbesondere, wenn »die Zentralregierung in den kommenden Monaten und Jahren nicht die volle Kontrolle erlangen kann«.

Achse Türkei-Libanon

Auch Ankaras neue Rolle ist für Israel beunruhigend, da Syrien von der Achse Iran-Russland zur Achse Türkei-Libanon zu wechseln droht. Neben den Rebellen und den Zivilisten in Syrien sei die Türkei der Hauptgewinner, sagte Parker: »Dies ist ein Warnsignal für Israel, da die jüngste Wende Erdogans gegen Israel nach dem 7. Oktober gezeigt hat, dass die Türkei ein problematischer Partner sein kann.«

Traditionell haben Ankara und Jerusalem in einer Reihe von Bereichen zusammengearbeitet, wobei der Handel auf Milliarden Dollar pro Jahr angewachsen ist, aber Erdogan entpuppte sich zusehends als Antisemit und stellte sich auf die Seite radikaler Islamisten.

Die Beziehungen zur Türkei könnten mit einem Ende des Kriegs im Gazastreifen auftauen, so Parker, »aber es ist auch möglich, dass die Entwicklung negativ verläuft, da Israel größtenteils gute Beziehungen zu kurdischen Fraktionen in Syrien und im Irak unterhält, wo die Türkei aktiv gegen sie kämpft«. Es könnte auch »eine vorübergehende Phase des Chaos geben, gefolgt von einer Stabilisierung«, die Situation also »dynamisch« sei. 

Parker ist allerdings optimistisch, dass, auch wenn es in Syrien abtrünnige Gruppen gibt, die Israel schaden wollen, »der allgemeine Trend zu besseren Beziehungen und möglicherweise sogar zu einem späteren Zeitpunkt zu einem Normalisierungsabkommen führen wird«. Er warnte Israel allerdings davor, die syrische Seite der Golanhöhen zu annektieren, weil Israel »nur Probleme ernten wird, wenn es versucht, syrisches Territorium zu erobern. Das würde auf Jahrzehnte hinaus Konflikte schaffen.«

Vielmehr könnte jetzt »ein guter Zeitpunkt sein, um zu versuchen, mit der neuen syrischen Regierung über eine dauerhafte Anerkennung der Kontrolle Israels über die israelischen Golanhöhen zu verhandeln. Es gibt viele Anreize, die genutzt werden könnten, um diesen Punkt zu erreichen, und Israel könnte die Möglichkeit einer weiteren Landnahme als Druckmittel gegen Syrien nutzen, sollte es sich weigern, die dauerhafte Kontrolle Israels über die Golanhöhen anzuerkennen.«

Abschließend betonte Joel Parker, dass »unser Ziel eine Normalisierung der Beziehungen zu Syrien sein sollte«. Israel sollte nach wie vor zur Verteidigung bereit sein, aber zugleich »weiterhin geduldig versuchen, Beziehungen zum neuen Regime aufzubauen. Israel könnte keine Gelegenheit mehr bekommen, mit Syrien Frieden zu schließen, sobald dort eine neue Regierung gewählt wird«, die wieder stärker Israel-feindlich eingestellt sein könnte, versucht der Experte anzuspornen, die Gunst der Stunde zu nutzen.

Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. (Übersetzung von Alexander Gruber.)

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