Anlässlich des Überfalls der Hamas auf Israel hat die ARD auf ihrer Website einen Lehrfilm über Israel und Palästina veröffentlicht, der im Wesentlichen eine Aneinanderreihung von irreführenden Behauptungen, historischen Fehlern und fahrlässigen Auslassungen ist.
Die Redaktion der ARD-Tagesschau hat im Internet einen knapp vierminütigen Lehrfilm mit dem Titel »Israel und Palästina: Der Nahostkonflikt und seine Wurzeln« veröffentlicht. Der palästinensische Terrorismus kommt darin so gut wie nicht vor. Es ist eine Aneinanderreihung von irreführenden Behauptungen, eindeutigen Fehlern und grotesken Auslassungen. Der Film beginnt mit Aussagen über Jerusalem: »Ein heiliger Ort. Für Christen, die glauben, hier sei Jesus gekreuzigt worden, für Muslime, die glauben, hier sei Mohammed in den Himmel aufgestiegen – und Juden.«
Die Juden müssen sich, was die Heiligkeit Jerusalems betrifft, bei der ARD am Ende der Schlange anstellen. Und das, obwohl es schon mehr als tausend Jahre vor Christus und 1.600 Jahre vor Mohammed ihr heiligster Ort war und Jerusalem ohne die jüdische Geschichte nie eine Relevanz für Christen (die an den Juden Jesus und die jüdische Bibel glauben) und Muslime (die nach der Eroberung Jerusalems im Jahr 637 n. Chr. ihre Moscheen auf dem den Juden heiligen Ort bauten) gewonnen hätte.
»Die Klagemauer am Tempelberg in Jerusalem, glauben Juden seit mehr als zweitausend Jahren, ist der Ort, an dem sie mit Gott in Kontakt treten können.« Der Tempelberg wird erwähnt, nicht aber der Tempel. Haben Juden wirklich erst vor zweitausend Jahren angefangen zu beten? Was war vorher? Die jüdische Geschichte wird eingedampft, beginnt scheinbar erst zur Zeit von Kaiser Augustus.
»In die Vergangenheit reisen«
Jetzt tritt ein Sprecher ins Bild, der als Sebastian Kisters vorgestellt wird. Neben ihm schweben wie Drohnen ein Foto von Jerusalem mit dem Felsendom und die Jahreszahl 2010. 2010? Ist die Jahreszahl zufällig gewählt, oder ist der Film womöglich dreizehn Jahre alt und wird von der ARD unverändert weiterbenutzt? Alles ist möglich. Kisters sagt: »Um die Konflikte in Israel verstehen zu können, muss man also in die Vergangenheit reisen.«
Der Zuschauer sieht einen Zeitstrahl und hört dazu ein Geräusch ähnlich einem ICE, der durch einen Bahnhof fährt. So hat man sich eine Zeitreise vorzustellen. »Bereits vor Christi Geburt hatten Juden rund um Jerusalem ein Königreich: Israel«, weiß Kisters zu berichten. Eine Landkarte ist zu sehen, in der in blauer Farbe »Königreich Israel« eingetragen ist. »Vertrieben wurden sie von den Römern«, fügt Kisters hinzu.
Ein »Königreich Israel«, das bis zur Zeit der Römer bestand? Nach der Bibel existierte das Königreich Israel nur rund hundert Jahre, unter den Königen Saul, David und Salomon. Nach Salomons Tod (mutmaßlich 926 v. Chr.) zerfiel es unter dessen Sohn Rehabeam in das Königreich Juda um die Stadt Jerusalem und das Nordreich Israel (2. Chronik, 10). Über biblische Geschichte muss ein ARD-Journalist nicht unbedingt Bescheid wissen – wenn der Sender aber den Zuschauer darüber belehren will, sollten die Behauptungen auch stimmen.
Es geht weiter: »Immer wieder wurden Juden seitdem verfolgt.« An dieser Aussage ist leider nichts falsch. Illustriert wird sie mit einem Schwarz-Weiß-Foto von Leichen – es wird uns nichts erspart – und der Jahreszahl 1881. Warum 1881, erfährt der Zuschauer nicht. 1881 gab es ein Pogrom in Kiew. Das Foto der Leichen ist aber sicherlich jüngeren Datums. Kisters weiter: » … als Verräter Christi etwa im Mittelalter oder später um 1900.« Hier macht er mit den Händen eine Bewegung in der Luft, die aussieht, als solle sie dem Zuschauer signalisieren: Die Jahreszahlen bitte nicht für bare Münze nehmen.
»Bereits vor Hitlers Machtergreifung macht sich Judenhass in Europa breit, und vielerorts gibt es Hetze, Plünderungen, Morde, Vergewaltigungen. Immer mehr Juden wünschen sich einen eigenen Staat als Zufluchtsort«, geht es weiter. Das ist zwar nicht falsch, würde aber in keinem Schülerreferat der achten Klasse als ausreichende Information betrachtet werden. »Immer mehr Juden« wünschen sich plötzlich einen eigenen Staat? Ist das die ganze Geschichte des Zionismus? Und was ist mit dem Judenhass in der arabischen Welt, wo die Juden Bürger zweiter oder dritter Klasse waren? Dazu kein Wort.
»Jerusalem ist zu diesem Zeitpunkt noch Teil des großen Osmanischen Reichs.« Hier sieht man eine Landkarte, welche die Aussage beweisen soll. »Dieses Reich gehört neben Deutschland zu den Verlierern des Ersten Weltkriegs.« Jetzt kommt ein Zeitstrahl mit der Zahl 1918. »Großbritannien als Besatzungsmacht verspricht Juden, sie beim Aufbau eines eigenen Staates zu unterstützen.«
Das ist grob irreführend. Großbritannien hat nicht, wie hier suggeriert wird, aus eigener Willkür Juden etwas versprochen. Vielmehr hat der Rat des Völkerbunds – vergleichbar mit dem heutigen UN-Sicherheitsrat – Großbritannien am 24. Juli 1922 den Auftrag, das Mandat, erteilt, in Palästina eine nationale jüdische Heimstätte zu gründen. Das ist Teil des Völkerrechts und nicht bloß das Versprechen irgendeines europäischen Ministers.
Nun tippt Kisters auf eine unsichtbare Wand. Wie von Zauberhand ploppt ein Davidstern auf der Landkarte auf – dort, wo auf einer echten Landkarte Jordanien an das südlich gelegene Saudi-Arabien grenzt. Er fährt fort: »… macht aber auch Arabern (lässt Halbmond mit Stern erscheinen) Hoffnung, die Region könne Teil eines großarabischen Reiches werden.«
Pogrome bleiben unerwähnt
Wieder erscheint ein Zeitstrahl mit den inzwischen bekannten Zeitstrahlgeräuschen. Die Pogrome der Zwischenkriegszeit (1920, 1921, 1929, 1936–39) bleiben ebenso unerwähnt wie die darauf folgende britische Blockade der jüdischen Einwanderung während des Holocaust, die Rolle des palästinensischen Araberführers Amin al-Husseini und der gesamte Bürgerkrieg zwischen November 1947 und Mai 1948.
»Nach dem Zweiten Weltkrieg beschließen die Vereinten Nationen eine Teilung des umstrittenen Landes. Palästinenser wie Juden – im blauen Gebiet – sollen hier eine Heimat finden. Nach dem Holocaust will die Staatengemeinschaft den Juden nicht länger einen eigenen Staat verwehren. Jerusalem soll international verwaltet werden. Die Juden sind einverstanden, arabische Anführer nicht. Sie wollen das Land für sich allein.«
Die Gründung des Staates Israel wird hier allein als eine Folge des Holocaust dargestellt. Doch wie oben erwähnt, hat der Völkerbund den Beschluss dazu ein Vierteljahrhundert früher gefällt – lange vor dem Holocaust.
»Am 14. Mai 1948 ruft der jüdische Politiker David Ben-Gurion den israelischen Staat aus. Mächtige Länder wie die USA oder die Sowjetunion erkennen Israel an. Sofort greifen arabische Länder an. Doch Israels Staatsgründer sind vorbereitet; eine zuvor gebildete israelische Untergrundarmee schlägt die Araber zurück und vergrößert das Staatsgebiet Israels. Und die restlichen Palästinensergebiete? Der Gazastreifen wird von Ägypten besetzt, das Westjordanland von Jordanien. Ungefähr 700.000 Araber verlieren ihre Heimat; mehr als 700.000 Juden genauso, durch Flucht oder Vertreibung aus arabischen Staaten.«
Wenn »Israels Staatsgründer« so gut vorbereitet waren, wie konnte es dann zur Hungerblockade gegen Jerusalemund die jüdischen Kibbuzim im Frühjahr 1948 kommen? Wie zur jordanischen Eroberung von Kfar Etzion und dem dortigen Massaker? Wie konnte Jordanien die Altstadt Jerusalems erobern und sämtliche Juden von dort vertreiben? Sie ahnen es vielleicht: All das wird in dem Lehrfilm der Tagesschau gar nicht erwähnt.
Die Gründung der Fatah (1959) und der PLO (1964) werden ebenfalls ausgelassen. Es geht weiter im Jahr 1967: »1967 der nächste Krieg. Wieder gelingt es Israel, arabische Staaten zurückzudrängen. Israel besetzt das Westjordanland, die Golanhöhen, den Gazastreifen und den arabischen Osten Jerusalems.« Dass der »arabische Osten« Jerusalems nur wegen der ethnischen Säuberung von 1948 so arabisch war, erfährt der Zuschauer nicht.
Israel eroberte 1967 auch den Sinai, der als schraffierte Fläche in der Landkarte, vor der Kisters steht, korrekt eingezeichnet ist. Kisters vergisst aber, den Sinai in seiner Aufzählung der eroberten Gebiete zu erwähnen. »1967, ein entscheidendes Jahr, warum Israel keinen Frieden findet. Die Arabische Liga lehnt Friedensverhandlungen mit Israel ab. So wird Israel bis heute zur Besatzungsmacht.« Auch das ist so summarisch und oberflächlich, dass es für den Schulunterricht der Mittelstufe zu dürftig wäre. Der Jom-Kippur-Krieg von 1973: Fehlanzeige. Nicht wichtig genug?
Die Friedenspläne, die es gab – hier wäre insbesondere die Initiative von US-Präsident Bill Clinton in Camp David im Juli 2000 zu nennen –, lässt die ARD unter den Tisch fallen. Dass Jassir Arafat die Verhandlungen platzen ließ, bleibt ebenso unerwähnt wie der gleich darauf von ihm befohlene Terrorkrieg namens »Zweite Intifada«. »In den folgenden Jahrzehnten gibt es viele Konflikte. Palästinenseraufstände etwa wie die erste Intifada Ende der 80er Jahre.«
Kein Mord an Juden, nirgends
Keiner der palästinensischen Terroranschläge wird genannt, nicht einmal das in Deutschland allgemein bekannte Olympia-Massaker von München 1972. Die Flugzeugentführungen, die Bombenanschläge, die Überfälle der PLO aus dem Libanon, alles wird verschwiegen. Gleichermaßen oberflächlich wie irreführend heißt es bei der ARD: »Aber es gab auch Friedensverhandlungen und ein bisschen Frieden. Friedensverträge mit den Nachbarn Ägypten und Jordanien.«
Eingeblendet wird die Jahreszahl 1994. In diesem Jahr wurde der Friedensvertrag zwischen Israel und Jordanien unterschrieben. Das Friedensabkommen mit Ägypten, in dessen Folge Israel den Sinai zurückgab, war aber schon fünfzehn Jahre zuvor unter Vermittlung von US-Präsident Jimmy Carter unterzeichnet worden. Der Begriff Osloer Abkommen fällt nicht. Auch wird nicht erwähnt, dass die Morde an Juden dennoch weitergingen und Arafat und seine Funktionäre damit prahlten, den Kampf gegen Israel von Tunis zurück nach Palästina gebracht zu haben.
Die ARD macht einen Zeitsprung von 1994 ins Jahr 2005, landet also in der Zeit nach der großen Mordwelle, bei der tausend Israelis getötet wurden. Die grausamen Anschläge auf Restaurants, Busse, Diskotheken und andere zivilen Einrichtungen während der »Zweiten Intifada« kommen bei der ARD nicht vor. Es ist unglaublich. »Dann das Jahr 2005. Israel räumt den eroberten Gazastreifen. Jüdische Siedlungen dort werden von der israelischen Armee abgerissen. Doch das bringt keinen Frieden. Seit 2007 wird Israel immer wieder aus dem Gazastreifen mit Raketen beschossen.«
Das ist falsch. Raketenangriffe Gazas auf Israel gibt es mindestens seit Februar 2002. Wieso die ARD die Jahreszahl 2007 nennt – unerfindlich. »Terroristen versuchen, durch Tunnel ins Land einzudringen.« Sie versuchten es nicht nur, sondern haben es bei der Entführung von Gilad Shalit auch geschafft. Allerdings waren die Terroristen damals aus Sicht der Tagesschau keine Terroristen, sondern bloß eine »Palästinenserorganisiation«.
»Für viele Israelis der Beweis, dass ein Frieden mit Palästinensern nicht möglich ist.« Das klingt, als wäre das eine subjektive Einschätzung, für die es keine Beweise gäbe. Als wären die Israelis voreingenommen, als wäre die Einschätzung nicht Resultat von traumatischen Erfahrungen, insbesondere der letzten dreiundzwanzig Jahre seit Arafats Weigerung, in Camp David Frieden zu schließen, und den folgenden Massakern.
Äußerungen von Arafat, Mahmud Abbas und Führern der Hamas, in der sie zum heiligen Krieg und zur Vertreibung aller Juden aufrufen – die ARD verschweigt sie lieber. Denn sie hat eine Agenda: »Viele andere jüdische Siedlungen im besetzten Westjordanland hat Israel dagegen nicht geräumt. Nach internationalem Recht sind sie illegal. Für Palästinenser der Beweis, dass Israel ihnen keinen eigenen Staat zugestehen will.«
Mit diesen Worten endet der Lehrfilm der ARD. Es war von »Palästinenseraufständen« und »Intifada« die Rede, von zwei Kriegen und »Raketen aus dem Gazastreifen« – kein einziges Mal aber wurde ausdrücklich gesagt, dass Juden und Israelis getötet wurden und wer die dahinter stehenden Täter und ihre Programme sind. Von Antisemitismus war nur mit Bezug auf Europa im 19. Jahrhundert und Hitler die Rede. Die Mörder, die Morde, die Mordopfer und die Mordmotive werden, wie so oft in der Anti-Israel-Propaganda, unsichtbar gemacht. Am Ende ist der Buhmann, wie in deutschen Medien üblich: Israel.