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Antizionistischer Antisemitismus: Der Stolperstein der Linken (Teil 2)

Antisemitismus der guten Gewissens: Solidaritätsdemonstration mit Günter Grass
Antisemitismus der guten Gewissens: Solidaritätsdemonstration mit Günter Grass (© Imago Images / IPON)

Die Linke ist – wie alle anderen ideologischen Strömungen – nicht gefeit vor Antisemitismus und Antizionismus. Dazu ein Beitrag einer links-liberalen, sozialen Demokratin in zwei Teilen. (Teil 1 finden Sie hier.)

Barbara Serloth

Die Linke (als Konglomerat vieler Gruppierungen gesehen) ist, wie alle anderen ideologischen Strömungen auch, vor Antisemitismus und Antizionismus nicht gefeit. Sie ist jedoch aufgrund ihrer ideologischen Grundausrichtung eine der wenigen politischen Bewegungen, die diesen, wenn er der Agitation dient, vor sich und den anderen ins Legitimierbare transformieren muss. Mit der Legitimierung gehen nicht selten Verharmlosungen, Ausblendungen und Marginalisierungen genauso einher wie intellektuelle Bequemlichkeit und Redlichkeit.

Europäischer Antizionismus im 21. Jahrhundert: Links, antisemitisch, global

Der deutsche Philosoph Theodor W. Adorno fasste im Jahr 1951 in seiner Abhandlung Minima Moralia den Antisemitismus weitsichtig als »Gerücht über die Juden« zusammen. Es sind derer viele, mehr oder weniger obskure, tradierte, gewaltbereite oder zynische. Je nach Milieu landen sie in den Gesprächen entweder in der Metaphorik des Radau- oder des Salonantisemitismus. Sie sind zeit-, situations- und ideologieangepasst und fungieren mitunter als politischer Kitt, mit dem Unvereinbares vereinbar (gemacht) wird.

Eines der aktuell erfolgreichsten Gerüchte ist jenes über den Judenstaat: der Antizionismus. Von ihm gibt es eine europäische und eine arabisch-muslimische Variante. Bleiben wir bei der europäischen, auch wenn (zur Sicherheit) anzumerken ist, dass sich in beiden Varianten der globale Judenhass auf den Staat Israel fokussiert.

Israel ist ziemlich klein. Das macht nichts. Es gibt ja auch ziemlich wenige Juden. Das macht aber auch nichts, schließlich beherrschen sie dem Gerücht zufolge trotzdem die Welt, das Pressewesen und natürlich den Finanzsektor. Selbst nach der Shoah, der Ermordung von sechs Millionen Juden, treiben sie den Rest der Weltbevölkerung, die ihnen hilf- und schutzlos ausgeliefert ist, vor sich her. In Anbetracht dieses Gefährdungspotenzials scheint eine Notwehrgemeinschaft legitim zu sein. Die Unvereinbarkeiten bei der Konstituierung dieser sind beträchtlich, aber überbrückbar, schließlich gibt es einen gemeinsamen Nenner: den Judenhass.

Betrachten wir kurz den Antizionismus und seine politische Funktion. Er ist eine Variante des Judenhasses im 21. Jahrhundert, globalisiert und geframt. In der westlichen Welt ist der Antisemitismus rechts, ewiggestrig und modrig konnotiert, der Antizionismus hingegen gilt als links, verantwortungsbewusst, zeitbezogen.

Der Antisemitismus wurde durch den Antizionismus von der Scholle befreit und anständig, weil für die Unterdrückten eintretend. Dafür braucht es nicht viel. Man muss nur im anti-imperialistischen oder postkolonialistischen Kontext Israel als den Unrechtstaat schlechthin outen. Es gäbe zweifellos eine Reihe von Staaten, die diese Bezeichnung wirklich verdienen. Mit Verve konzentriert man sich jedoch auf den jüdischen.

Nun stellt sich die Frage: Warum gerade Israel? Die Antwort ist banal.

  • Erstens, man verscherzt es sich dabei mit kaum jemanden; man braucht weder einen allzu folgenschweren internationalen Aufschrei noch Rücktrittsforderungen zu fürchten, und Einladungen werden genauso wenig ausbleiben wie diverse Förderungen. In Zeiten wie diesen ist dies kaum zu überbieten. Mit anderen Worten: Der Antizionismus inkludiert Diskriminierungsmöglichkeiten ohne Konsequenzen.
  • Zweitens: Die Diskriminierungsmetaphern und Verschwörungsnarrative sind im globalen kollektiven Gedächtnis verankert und korrespondieren miteinander. Die einen schreien »Israel tötet unsere Kinder«, die anderen denken an den Anderl von Rinn. Das verbindet.
  • Drittens: Israel ist die zum Staat gegossene alte »Judenfrage«, die exterritorialisiert wurde. Alle Nicht-Juden Europas haben somit scheinbar das verbriefte Recht, Israel infrage zu stellen.
  • Damit ist auch – viertens – verknüpft: Zu Hause bleibt alles adrett und ruhig. Die rechten Antisemiten leben ihre Vorurteile vor Ort aus. Die linken gehen um die Ecke, in den Nahen Osten. Das eigene Haus ist genug besudelt.

Bringen wir es auf den Punkt: Der Antizionismus verkörpert schlicht die Antwort auf das Dilemma, wie man, als Linker, ein Antisemit sein kann, wie sich das »Nie Wieder« mit dem »Raus mit dem Juden« verbinden lässt, ohne seinen politischen Anstand abgesprochen zu bekommen.

Ergänzt wird dies durch den Umstand, dass für die politische Selbstwahrnehmung der europäischen Linken der Antizionismus grundsätzlich praktisch ist. Es gibt keine Notwendigkeit der Selbstreflexion, man ist bei den Guten. Um dies nicht zu gefährden und keine Zweifel an der Aufrichtigkeit der Solidarität mit den vermeintlich Unterdrückten aufkommen zu lassen, werden die palästinensischen Eliten gehätschelt, umarmt und mit Millionen gefördert. Um die Palästinenser an sich geht es dabei allerdings nicht, das zeigt vor allem das große Desinteresse an der Unterdrückung und Entrechtung der Bevölkerung durch deren nichtgewählte Führer.

Dass der Judenhass immer zu Opfern, die andere zu erbringen haben, bereit ist und war, braucht nicht dezidiert angeführt zu werden. Aber vielleicht sollten sich die linken Antizionisten eingestehen, dass sie nichts anderes als Antisemiten sind; keine Weltverbesserer, keine letzten aufrechten Kämpfer gegen das Unrecht; nichts davon. Sie sind einfach nur Vertreter und Vertreterinnen des alten europäischen Judenhasses – auch wenn sie ihn Antizionismus nennen.

Dr. Barbara Serloth ist Politikwissenschaftlerin, Senior Parliamentary Advisor im österreichischen Parlament und langjährige Lektorin am Institut für Staatswissenschaft. Der Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Demokratie/Parlamentarismus, Nationalismus und Antisemitismus. Alle Publikationen stellen ausschließlich die Privatmeinung der Autorin dar.

Zu Teil 1: Über die (Un-)Verträglichkeit des linken Antizionismus mit der linken Redlichkeit: Fried versus Améry

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