Wer heute die falschen Ansichten früherer Generationen verurteilt, darf auch über den Antisemitismus von Black Lives Matter nicht schweigen.
Alan M. Dershowitz, the algemeiner
Als Juraprofessor habe ich 50 Jahre lang oft „hypothetische Fälle“ – die Studenten nannten sie „Hypos“ – verwendet, um die Analyse eines Problems zu vertiefen. Stellen Sie sich also bitte folgende Hypothese vor: Stellen Sie sich eine Welt vor, in der es nur eine einzige schwarzafrikanische Nation gäbe – eine Nation, die weitgehend von zuvor versklavten schwarzen Männern und Frauen aufgebaut wurde.
Stellen Sie sich weiter vor, dass diese einzigartige Schwarze Nation eine gute Bilanz in Bezug auf die Umwelt, die Rechte der Homosexuellen, die Gleichstellung der Geschlechter, die Menschenrechte und die Verteidigung gegen die Angriffe vorwiegend weißer Nationen vorzuweisen hätte. Aber wie alle Nationen war auch die Schwarze Nation bei weitem nicht perfekt. Sie hatte ihre Schwächen und Unvollkommenheiten.
Stellen Sie sich nun weiter vor, dass Weltverbesserer-Organisationen in Amerika und auf der ganzen Welt einzig und allein die Schwarze Nation herausgreifen würden, um sie zu verurteilen. Stellen Sie sich zum Beispiel vor, eine Umweltgruppe oder eine Schwulenrechtsgruppe würde ein Manifest veröffentlichen, in dem sie die Umwelt- oder Schwulenrechtspolitik ihrer eigenen Nation kritisiert, sich dann aber dazu versteigt, unter all den anderen Umweltverschmutzern und homophoben Ländern der Welt nur die Schwarze Nation herauszupicken.
Würde irgendjemand zögern, die Anklage ausschließlich der einzigen Schwarzen Nation der Welt als einen Akt der Bigotterie zu bezeichnen, der durch anti-schwarzen Rassismus motiviert ist? Wenn das der Fall ist, wie unterscheidet er sich dann davon, wenn Black Lives Matter ausschließlich den einzigen Nationalstaat des jüdischen Volkes auswählt und unverdient verurteilt? Ist die Anwendung einer auf der Religion basierenden Doppelmoral nicht ebenso schlecht wie eine auf der Rasse basierende Doppelmoral?
Israel wegen seiner Unvollkommenheiten zu kritisieren ist nicht nur fair, sondern auch wünschenswert. Aber nur, wenn die Kritik sich auf denselben Vergleichsmaßstab stützt, der auch an die anderen Nationen der Welt angelegt wird. In einer Welt mit weitaus größeren Übeltätern einzig den Nationalstaat des jüdischen Volkes zu verurteilen, kann durch kein moralisches Prinzip gerechtfertigt werden. Das ist antisemitisch, schlicht und einfach. (…)
Heute sollten wir mehr denn je anerkennen, dass es für alle Arten der Bigotterie, einschließlich des Antisemitismus, null Toleranz geben darf, auch wenn sie von Organisationen und Menschen betrieben wird, die sonst viel Gutes tun. Die Bewegung, die Statuen von Menschen wie Thomas Jefferson, George Washington, Andrew Jackson, Columbus und sogar Abraham Lincoln niederreißt, weil auch sie borniertes Gedankengut vertraten, sollte uns lehren, dass wir auch die Bigotterie der heutigen Weltverbesserer nicht dulden können.
Die Rücknahme der hasserfüllten Teile des Manifests von Black Lives Matter ist ein Gebot der Moral derjenigen, die die Leistungen früherer Führungspersönlichkeiten durch deren Unvollkommenheit zunichte gemacht sehen. (…)
Ich fordere die Führer von Black Lives Matter erneut auf, ihre antisemitische und falsche Verurteilung des Nationalstaats des jüdischen Volkes zu widerrufen. Wenn sie sich weigern, dann müssen diejenigen von uns, denen schwarze Leben genauso am Herzen liegen wie die Beendigung der Geißel des Antisemitismus, andere Organisationen als Black Lives Matter unterstützen – Organisationen, die sich für Rassengleichheit einsetzen, ohne auch Antisemitismus zu fördern.
(Der Text „Is the ‘Black Lives Matter’ Platform Antisemitic?“ von Alan M. Dershowitz ist zuerst bei the algemeiner erschienen. Übersetzung von Florian Markl.)