Im Gespräch mit Elisa Mercier spricht die ehemalige Leiterin des Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam, Susanne Schröter, über die israelfeindliche Szene in Deutschland und ihre Verbindungen zum politischen Islam.
Elisa Mercier (EM): Am 27. September fand in Berlin eine große Gaza-Demonstration statt, bei der israelfeindliche und antisemitische Sprüche zu hören waren; laut »Spiegel« etwa »Kindermörder Israel«, »Tod Israel« oder auch »From the river to the sea«. Wie bewerten Sie solche Kundgebungen?
Susanne Schröter (SS): Wir erleben seit dem Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 in immer schnellerer Folge Aktivitäten der Anti-Israel-Szene, bei denen das Existenzrecht Israels in Abrede gestellt, antisemitische Parolen gerufen oder Hamas-Propaganda verbreitet werden: Aufmärsche, Kundgebungen, Camps und Universitätsbesetzungen.
Immer geht es darum, öffentlichen Raum zu okkupieren und auch mit Gewalt klar zu machen, dass Widerspruch nicht akzeptiert wird. Es handelt sich um Machtdemonstrationen, die Wirkung zeigen, nicht zuletzt, weil sich Tausende an ihnen beteiligen und der Eindruck einer Dauermobilisierung entsteht. Ich halte das für sehr gefährlich, weil in unserer Gesellschaft etwas ins Rutschen gerät. Die Hoffnung, aus der Geschichte gelernt zu haben, löst sich gerade im Zeitraffer auf.
EM: Sehen Sie in diesen Demonstrationen auch den Ausdruck eines wachsenden islamistischen und antisemitischen Milieus in Deutschland?
SS: Der gegenwärtige Antisemitismus im öffentlichen Raum kommt kaum von rechts, sondern von links und aus der islamistischen Szene. Das ist für viele so ungewohnt, dass sie es ignorieren. Viele wackere Antifaschisten, die sich intensiv mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt haben, blenden die aktuelle Realität aus und bleiben in ihrem Engagement ausschließlich der Vergangenheit verhaftet. Doch es darf nicht nur um Erinnerung an die ermordeten Juden der Nazi-Zeit, sondern es muss auch um die lebenden Juden der Gegenwart gehen, deren Existenz zunehmend bedroht wird.
Dazu kommt die Relativierung des Holocaust in der sogenannten postkolonialen Theorie, die aktuell für die Mehrheit der akademischen Linken konstitutiv ist. Die Shoah ist in dieser Lesart der Geschichte nur noch ein Ereignis in einer langen Kette kolonialer Verbrechen. Im postkolonialen Schwarz-Weiß-Denken besteht die Welt aus Tätern und Opfern. Täter werden als westlich bezeichnet, und zum Westen wird auch Israel gezählt.
Der jüdische Staat gilt sogar als letztes Bollwerk des westlichen Kolonialismus im globalen Süden, ihm wird ein »Genozid« unterstellt. Manche Wissenschaftler setzen Gaza sogar mit dem Warschauer Ghetto gleich und Israel mit den Nationalsozialisten. So etwas wird auch von jungen deutschen Linken gerne aufgegriffen. So ist man von der Schuld der eigenen Geschichte erlöst, wie es Studenten in Berlin bereits 2023 auf Spruchbänder geschrieben hatten: »Befreit Palästina von der deutschen Schuld.«
Islamistische Gefahr
EM: Die propalästinensische Szene ist global sehr aktiv. In Deutschland etwa organisiert sie bundesweit täglich dutzende Veranstaltungen etc. Wie organisiert und finanziert sich diese Szene?
SS: Die Szene besteht aus Palästina-Komitees und anderen NGOs, die gut vernetzt und in der Regel international aufgestellt sind. Viele Wege führen zur Hamas, zur Hisbollah, zur PFLP, nach Katar oder in den Iran – oft über Umwege und eine Anzahl von Zwischenorganisationen. Gelder werden auch durch Spenden für vermeintlich humanitäre Zwecke eingeworben, die dann wieder in politische oder sogar terroristische Kanäle fließen.
Eine der Gruppen ist Islamic Relief, die in vierzig Ländern tätig ist, auch in Deutschland mit humanitärem Anspruch Mittel einwirbt und sogar von der EU-Kommission gefördert wurde. In den Arabischen Emiraten ist sie allerdings wegen Verbindungen zur Hamas verboten. Die Hauptorganisation Islamic Relief Worldwide wurde in Israel verboten, weil sie dem Finanznetzwerk der Hamas zugerechnet wird. Nach Angaben der Bundesregierung existieren außerdem Verbindungen zur Muslimbruderschaft, der wichtigsten weltweit agierenden islamistischen Organisation, welche die Vernichtung Israels anstrebt.
EM: Muss der Kampf gegen Antisemitismus mit dem Thema Islamismus verknüpft werden?
SS: Ja. Islamismus ist immer antisemitisch und der islamistische Antisemitismus ist in Bezug auf Israel eliminatorisch. In der Ursprungscharta der Hamas wurde sogar die Vernichtung aller Juden als Ziel angegeben und mit Bezug auf einen Mohammed zugeschriebenen Text religiös legitimiert. Dieser muslimische Antisemitismus unterschied sich – von der Haltung aus gesehen – nicht von jenem der Nationalsozialisten, mit dem die Muslimbruderschaft in den 1930er und 1940er Jahren eine Kooperation unterhielt. Der ehemalige Mufti von Jerusalem war ein Hitler-Verehrer, hatte eine Zeitlang in Berlin gelebt und sogar ein muslimisches SS-Bataillon aufgestellt. Die Hamas ist aus einem Zweig der Bruderschaft hervorgegangen.
Aber Antisemitismus in der islamischen Welt ist nicht auf die Muslimbruderschaft begrenzt. Er ist Staatsdoktrin im Iran (inklusive des Ziels, Israel auszulöschen) und wird in den meisten muslimischen Ländern von staatlichen Stellen gefördert. Fatal ist, dass Muslime Antisemitismus mit entsprechenden Versen im Koran begründen können. Wer die islamistische Gefahr nicht ernst nimmt, kann den gegenwärtigen Antisemitismus nicht wirksam eindämmen.
Kaum kritische Islamforschung
EM: Das von Ihnen geleitete Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam ist nun mit Ihrer Emeritierung geschlossen worden. Warum?
SS: Das Forschungszentrum Globaler Islam wird nicht weitergeführt, weil eine Nachhaltigkeitsoption nicht realisiert wurde. Ich habe das Zentrum zwei Jahre nach meiner regulären Pensionierung auf einer Forschungsprofessur weitergeführt, mich aber entschlossen, keine Verlängerung zu beantragen, weil das Klima der Feindseligkeit, dem ich seit Jahren ausgesetzt bin, immer wiederkehrende Mobbingkampagnen und sich stark verschlechterte Arbeitsbedingungen dies unmöglich gemacht haben. Der Grund für den Hass, mit dem ich konfrontiert werde, liegt darin, dass kritische Forschungen zum Islamismus als rassistisch delegitimiert werden.
EM: Welche Folgen hat dies für die kritische Islamforschung in Deutschland?
SS: Es gibt nur noch wenige Kollegen an anderen Universitäten, die sich mit diesem Bereich befassen und ich fürchte, dass die Handlungsspielräume für eine kritische Forschung sich weiter verengen werden. Aus diesem Grund halte ich den Aufbau außeruniversitärer Forschungsstrukturen zum politischen Islam für ein Gebot der Stunde.
EM: Ihre Arbeit hat immer wieder den Zusammenhang zwischen Islamismus und Demokratiefeindlichkeit beleuchtet. Warum ist diese Perspektive an Universitäten so umstritten?
SS: In meiner eigenen Disziplin, der Ethnologie, existiert ein expliziter Kulturrelativismus mit einer Idealisierung des Anderen bei gleichzeitiger Abwertung des Eigenen. Da steht die westliche Demokratie nicht sonderlich hoch im Kurs. Islamismus wird folklorisiert und verharmlost. In anderen Disziplinen ist das weniger stark ausgeprägt, allerdings ist die postkoloniale Feindschaft gegenüber dem Westen ebenfalls manifest.
EM: Welche Rolle wird der politische Islam in Deutschland und Europa in Zukunft spielen und wie sollten Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft darauf reagieren?
SS: Der politische Islam wird weiter erstarken, weil ihm weder von der Politik noch von Kirchen, Gewerkschaften oder anderen größeren Organisationen etwas entgegengesetzt wird. Man möchte Konflikte mit den Muslimen vermeiden, hofft in naiver Weise, dass sich Islamisten irgendwann zu guten Demokraten wandeln und kann sich einfach nicht vorstellen, dass diese ihre an der Scharia orientierten Normen für überlegen halten.
Unsere säkulare Gesellschaft hat die Antenne für die Macht der Religion verloren, die ja im Islamismus eine untrennbare Einheit mit der Politik bildet. Dazu kommt natürlich etwas sehr Profanes: Je mehr Muslime in Deutschland leben, desto wichtiger werden sie als Wähler, die man nicht verprellen möchte.






