In Irland breitet sich seit Jahren parallel zur zunehmenden Palästina-Solidarität der Antisemitismus immer weiter aus.
Dass die Juden die US-Wirtschaft kontrollierten, ist ein aus der Propaganda des Nationalsozialismus bekanntes antisemitisches Stereotyp. Wer hätte gedacht, dass es im Jahr 2024 ein Argument in einer Parlamentsdebatte eines EU-Landes sein könnte? Die Worte über das Westjordanland und den Gazastreifen fielen letzte Woche in Dublins Stadtrat. Die Stadträtin Punam Rane sprach davon, dass es einmal »zwei Supermächte« gegeben habe, dann sei die UdSSR zerfallen. Übrig geblieben seien die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch auch diese seien von innen zerfressen:
»Niemand nimmt einen Standpunkt ein. Die USA hätten einen Standpunkt einnehmen sollen. Doch wie viele von Ihnen wissen, dass die gesamte US-Wirtschaft heutzutage von den Juden beherrscht wird, von Israel. Sie werden niemals in der Lage sein, einen Standpunkt einzunehmen.«
Punam Rane stammt ursprünglich aus dem indischen Mumbai und kam in den späten 1990er Jahren als IT-Beraterin für ein Technologieunternehmen nach Irland. Sie gehört der in der politischen Mitte verorteten Partei Fine Gael an. Nachdem ihre Aussage auf Kritik gestoßen war, erklärte Rane auf X: »Ich ziehe meine Kommentare, die ich gestern Abend bei der Stadtratsitzung zu einem Antrag zum Gesetz über die besetzten Gebiete abgegeben habe, vollständig zurück. Sie waren falsch und ich entschuldige mich zutiefst dafür.«
Weder erläuterte sie, warum sie die Aussage getätigt noch, warum sie ihre Weltsicht plötzlich geändert hatte. Laut der Tageszeitung Irish Independant sagte sie später, dass sie »sich nicht auf eine bestimmte Gemeinschaft« bezogen habe:
»Ich meinte eigentlich keine bestimmte Gemeinschaft, sondern sage nur, dass die US-Wirtschaft heute von den Israelis beherrscht wird. Das ist nicht falsch. Sie haben hart dafür gearbeitet. Die USA sind heute aufgrund ihrer finanziellen Abhängigkeit nicht in der Lage, Stellung zu beziehen, das ist alles, was ich sage.«
Das war nicht besser als ihr ursprünglicher Kommentar. Der Vorsitzende ihrer Partei, Simon Harris, der auch Irlands Außenminister ist, verurteilte die Aussagen aus der Parlamentsdebatte. Sie seien »völlig falsch, absolut beleidigend, völlig unangemessen und ich verurteile sie aufs Schärfste. Wir haben ein Disziplinarverfahren eingerichtet. Das muss schnell und eindringlich sein«, fügte er hinzu.
Auf die Frage, ob Rane ihre Position angesichts der Tatsache, dass die Partei intern Disziplinarmaßnahmen ergreift, überdenken sollte, sagte Harris: »Ich denke, ich habe meine Ansichten mit meinen Kommentaren sehr deutlich gemacht. Mehr zu sagen würde das Disziplinarverfahren beeinträchtigen. Ich möchte, dass das Disziplinarverfahren schnell ist und seinen Lauf nehmen kann. Es ist wichtig, dass ich das im Sinne eines ordnungsgemäßen Verfahrens nicht verletze. Aber die Kommentare haben viele Leute sehr beleidigt, und ich finde sie auch beleidigend.«
Gefragt, ob es ihm peinlich sei, dass die Kommentare Stunden vor seinem Abflug nach Washington gemacht wurden, sagte Harris: »Die Kommentare ärgern mich, sie ärgern mich extrem. Ich denke, die Kommentare waren falsch und unangemessen, und deshalb ist ein schnelles Disziplinarverfahren eingeleitet worden.«
Harris hatte im April selbst wegen einer Äußerung über Israel in der Kritik gestanden, da er über die »humanitäre Katastrophe« im Gazastreifen gesprochen hatte, ohne die dort gefangen gehaltenen israelischen Geiseln zu erwähnen.
Falsche Wortwahl?
Punam Ranes Kommentar wurde auch von Politikern widersprochen, die ebenfalls Israelfeinde sind. Conor Reddy, Stadtrat von der linken Partei People Before Profit, riet Rane, statt von Juden doch lieber von »Zionisten« zu sprechen: »Ich denke, das ist wenig hilfreich, wir sind alle hier in Solidarität mit Palästina. Zionismus ist ein kompletter Irrtum, er ist falsch, und ich denke, wir sind alle gegen Antisemitismus – es wäre hilfreich, wenn sie diese spezielle Wortwahl zurücknehmen könnte.«
Sinn-Féin-Stadtrat Daithí Doolan sagte, die Stadträtin sollten »mit ihrer Sprache vorsichtig sein«: »Wir sollten keine aufrührerische Sprache verwenden, und eine religiöse Gruppe gegenüber einer anderen zu identifizieren, ist aufrührerisch. Und wir sollten keine Gruppe in den USA gegenüber einer anderen isolieren«. Die »alleinige Verantwortung« für die Bewaffnung Israels liege »bei den Politikern in Washington« und »nicht bei einer bestimmten Gruppe oder Konfession«.
Die Vorstellung, dass Staaten, in denen auch nur zwei oder drei Prozent der Bevölkerung jüdisch sind, nicht mehr in der Lage seien, eine unvoreingenommene Außenpolitik zu führen, wird in Irland auch von anderen geteilt. Niall Holohan, der von 2002 bis 2006 als Vertreter der irischen Regierung bei der Palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah tätig war, rühmte im November 2023, Irland verfolge gegenüber Israel eine Außenpolitik, die jener der anderen EU-Staaten moralisch überlegen sei, was nur deshalb möglich sei, weil es in Irland nicht viele Juden gebe.
Die britische Tageszeitung The Guardian zitierte ihn so: »Holohan behauptet, dass ein weiterer Faktor für Irlands Einstellung die winzige Gemeinde von etwa 2.500 Juden ist – kaum 0,05 Prozent der Bevölkerung –, die im Gegensatz zu den großen und einflussreichen jüdischen Gemeinden in Großbritannien und Frankreich steht. ›Das hat uns mehr Spielraum gegeben, um eine prinzipienfeste Position einzunehmen‹, sagte er.«
Je weniger Juden, desto besser die Außenpolitik, heißt das. Irland gehört zu jenen EU-Ländern, die einen souveränen Staat »Palästina« anerkannt haben. Nachdem es im November 2023 schwere Ausschreitungen in Dublin gegeben hatte, mutmaßten etliche Nutzer in den sozialen Medien, Israels Geheimdienst stecke hinter diesen Aktionen.
Von Angst geprägt
Die Lage der wenigen in Irland lebenden Juden ist teils von Angst geprägt. Am Dubliner Trinity College unterstützen Studenten offen palästinensische Terrororganisationen wie die PFLP. An einer Schule in Dublin, erzählte eine Mutter im Mai der israelischen Zeitung Israel Hayom, drangsalierten Schüler ihren 15-jährigen Sohn wegen seiner jüdischer Identität und lachten über das Vergasen von Juden.
»Die Pro-Palästinenser haben den öffentlichen Diskurs übernommen; niemand wusste, wie man rechtzeitig reagieren sollte und jetzt wird die pro-israelische Stimme überhaupt nicht mehr gehört«, beklagt der 74-jährige Maurice Cohen, Vorsitzender des Jewish Representative Council of Ireland.»Sie wird in den Medien nicht gehört, nicht in der Politik und nicht in der Gesellschaft. Die einzige Stimme, die in allen Schichten der irischen Gesellschaft gehört wird, ist die pro-palästinensische. Israel wird hier als das absolute Böse im israelisch-palästinensischen Konflikt dargestellt.«
Seit Jahren braue sich in Irland parallel zur zunehmenden Unterstützung für die Palästinenser der Antisemitismus zusammen. »Der 7. Oktober hat den Antisemitismus einfach von unter dem Tisch an die Oberfläche gebracht.»