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Antisemitismus, auch ein Popkultur-Phänomen?

TV-Moderator Nick Cannon und der Rapper „Professor Griff“ verteidigten in ihrem Podcast Louis Farrakhan
TV-Moderator Nick Cannon und der Rapper „Professor Griff“ verteidigten in ihrem Podcast Louis Farrakhan (Quelle: Twitter)

Corona hat viele Dinge zum Stillstand gebracht – den Antisemitismus aber leider nicht. Im Gegenteil. In letzter Zeit schießen antisemitische Posts auf Twitter, Instagram und Tik Tok wie Pilze aus dem Boden.

Auffallend dabei: auch Promis aus Politik, Sport und Unterhaltung mischen kräftig mit. Und weil diese Promi-Accounts viele Follower haben, finden ihre Posts Anklang und breiten sich rasch viral aus. Beobachter fragen sich nun, ob der Antisemitismus droht, als Popkultur-Phänomen oder, schlimmer noch als Mainstream-Trend, Fuß zu fassen, und – wenn ja – ob und wie man diesem Trend entgegenwirken kann.

Das Stereotyp vom jüdischen Sklavenhalter

Anfang Juni dieses schicksalshaft-schweren Jahres, befand es der populäre Rapper Ice Cube für notwendig, ein umstrittenes Bild auf Twitter zu posten. Es zeigt ein mittlerweile längst entferntes Londoner Wandgemälde, auf dem ältere Herren, die an Karikaturen jüdischer Immobilienmagnaten erinnern, Monopoly spielen. Dabei nutzen sie den Rücken gebückter schwarzer Männer als Tisch. Die Anspielung ist, unschwer zu deuten: Juden werden hier als Sklaventreiber porträtiert, die sich auf Kosten der Schwarzen bereichern.

Sicher, der Tweet von Ice Cube wurde kritisiert. Viral gesehen schaffte er es aber, groß zu punkten, denn er konnte bislang rund 50.000 Likes und 20.000 Retweets generieren.

Im Übrigen ist Ice Cube mit seiner Vorliebe für antisemitische Klischees in denkwürdiger Gesellschaft. Neulich machte beispielsweise der NFL-Starplayer DeSean Jackson Schlagzeilen, als er auf Instagram ein Zitat postete, das – fälschlicherweise – Hitler zugeschrieben wird. Es heißt, sinngemäß: „Die weißen Juden wissen, dass die Schwarzen die wahren Kinder Israels sind. Um Amerikas Geheimnis zu bewahren, werden die Juden Amerika erpressen. Sie werden Amerika erpressen, das ist ihr Plan für die Weltherrschaft.“

Auch hier gab’s Kritik, aber schon eilte NBA-Player Stephen Jackson seinem Namensvetter (die beiden Jacksons sind im Übrigen nicht verwandt) auf Instagram zur Hilfe. DeSean habe lediglich „die Wahrheit gesprochen“, so der Basketballer. Juden seien zudem „die Reichsten“ und würden „alle Banken kontrollieren“. Als bedenkliche Folge dieser Postings, wurden die Begriffe „Jews” und „Hebrews” im Nu zu Trend-Topics auf Twitter.

Farrakhan-Fans

Derart bestärkt postete DeSean Jackson wenige Tage danach ein Foto von Louis Farrakhan, dem Anführer der Nation of Islam, der Juden gerne „Teufel” und „Termiten”, Hitler hingegen „einen großen Mann” nennt.

Farrakhan hatte am 4. Juli, dem amerikanischen Unabhängigkeitstag, eine 3-Stündige Rede auf YouTube gehalten. Dabei ließ er seine antisemitischen Konspirationstheorien eifrig wieder einfließen. Der Bewunderung von DeSean für den Hetzer tat dies wohl keinen Abbruch. So schrieb er in einem mittlerweile wieder gelöschten Posting folgende Worte: „Dieser Mann ist stark. Ich hoffe, jeder konnte sich das anschauen. Lasst Euch nicht blenden. Seid Euch im Klaren darüber, was sich wirklich abspielt.“

Die Bewunderung für Farrakhan hat DeSean Jackson mit weiteren bekannten Figuren gemeinsam. So offenbar auch die Überzeugung, dass Afrikaner die wahren Nachkommen der 12 Stämme Israels seien, und dass die heutigen Juden ihnen ihr biblisches Erbe stählen.

Jedenfalls unterhielt sich der TV-Moderator Nick Cannon in einem Podcast neulich mit dem berühmt-berüchtigten Rapper „Professor Griff“, der für seine antisemitischen Aussprüche schon vor Jahren in Schwierigkeiten geraten war. Die beiden verwiesen in ihrem Gespräch immer wieder auf Farrakhan und seine Lehren. Zudem bestärkten sie einander auch heftig kopfnickend darin, dass sie die eigentlichen Juden seien, und dass man ihnen deshalb keine antisemitische Motivation unterstellen könnte.

Auch Sean ‚Diddy’ Combs ist ein Farrakhan-Fan. Der bekannte Rapper postete neulich ebenfalls einen Link zu den Hetzparolen des Hasspredigers. Die Tatsache, dass Farrakhan dort Juden im Allgemeinen und den Chef der Anti-Defamation League, Jonathan Greenblatt, sowie den bekannten Harvard Jus-Professor, Alan Dershowitz, Satane nennt, scheint Diddy nicht gestört zu haben.

Auch nicht die Anschuldigungen von Farrakhan, dass Israel an allem Schuld habe – an Waffen, an Drogen, am Falschgeld, das in schwarzen Gemeinden im Umlauf ist und an der Fixierungstechnik, die zum Tod von George Floyd geführt hat. Schließlich, so behauptet auch Farrakhan, habe die US-Polizei diese Technik von den Israelis gelernt.

Nicht nur prominente schwarze Männer

Im Übrigen sind nicht nur prominente, schwarze Männer von Farrakhan begeistert. So postete auch Madonna einen Link zur Farrakhan-Ansprache und generierte damit über 710,000 Views.

Jessica Chastain und auch Chelsea Handler haben in der Vergangenheit dem Mann, den die Anti Defamation League den beliebtesten Antisemiten Amerikas nennt, eine Hommage auf ihren Social Media-Seiten geschrieben. Gut, die bekannten Schauspielerinnen haben die Posts wieder gelöscht (Chelsea Handler, die selbst jüdisch ist, erst nach längerem Zögern), aber der virale Umlaufbogen dieser Meldungen hat mittlerweile schon weite Kreise gezogen.

Gibt es ein wirksames Gegenmittel?

„Gleichgültig wie oft es geschieht … für amerikanische Juden und ihre Interessensvertretungen ist es schwierig gegen die Bewunderung für Farrakhan und seine Organisation, Nation of Islam, anzukommen”, schreibt Allison Kaplan Sommer in der Zeitung Haaretz. Der Kampf gegen seine antisemitischen Äußerungen würde nämlich unweigerlich auch als Angriff auf seine Botschaften der Selbsthilfe und Ermächtigung der Schwarzen aufgefasst werden, so die Journalistin weiter.

Man habe versucht, gegen seinen Einfluss mit geduldiger Aufklärung und auch mit Druck vorzugehen. Einiges wurde damit erwirkt. Außer Ice Cube und Madonna haben sich schließlich alle erwähnten Promis entschuldigt. Aber auf den öffentlichen Diskurs gegen den Antisemitismus konnte man bislang nicht maßgeblich Einfluss nehmen.

Hashtag #JewishPrivilege

Möglicherweise lässt sich im Kampf gegen den Antisemitismus einiges von der Story des Hashtags #JewishPrivilege lernen.

Anfang Juli erschienen auf Twitter eine Reihe von Postings, die klassische antisemitische Verschwörungstheorien kolportierten. Thematisch gingen sie querbeet durch alle bekannten Verleumdungen. Da wurde über die jüdische Weltherrschaft und die jüdische Kontrolle der Medien geschrieben, der Holocaust geleugnet, und die Juden für soziale Unruhen verantwortlich gemacht.

Was die Tweets gemeinsam hatten? Sie waren alle mit dem Hashtag #JewishPrivilege versehen. Die Postings kamen aus der rechtsextremen Ecke und waren so erfolgreich, dass der Hashtag rasch zur Spitze der US-Trendthemen voranpreschte.

Einige Urheber dieser Posts versuchten gar sich als jüdisch auszugeben und ihre „Sünden” zu „bekennen“. So schrieb beispielsweise einer, dass er sich „schuldig fühlte” ob der Rolle der Juden in der Versklavung der Schwarzen, die die Übeltaten der Weißen geradezu in den Schatten stellten. Nun, so der Tweet weiter, gelte es für die Schuld zu bezahlen. „Wir Juden stellen 1/3 der US-Milliardäre und MÜSSEN den Schwarzen viel mehr geben “, so das Posting.

Wenn Juden zum Gegenangriff übergehen

#JewishPrivilege ist nicht der erste antisemitische Angriff, aber er ist vielleicht der erste, der sich flugs in einen mächtigen Gegenangriff verwandelte.

Und das kam so: Als die britische Watchdog-Organisation Campaign Against Antisemitism (CAA) auf die unleidige Kampagne aufmerksam wurde, trachtete sie zunächst mit rationellen Argumenten, bei Twitter gegen die Aktion zu protestieren. Freilich, ohne viel Erfolg. Da beschlossen Twitter-User, die Sache selber in die Hand zu nehmen und den Spieß umzudrehen. Sie begannen, unter #JewishPrivilege, Stories über die Verfolgung und Diskriminierung von Juden zu schildern.

Einer der Pioniere dieser erfolgreichen Umkehrkampagne: der israelische Kolumnist Hen Mazzig, der wie folgt postete: „#JewishPrivilege ist, wenn meine Großeltern gewaltsam aus dem Irak und aus Tunesien vertrieben wurden mit nichts als ihren Kleidern auf dem Rücken. Gemeinsam mit 850.00 weiteren MENA-Juden gelangten sie völlig mittellos nach Israel, sprachen nur arabisch und lebten jahrelang in einem Zelt und einer Blechhütte.”

Mazzig forderte er seine 30.000 Follower auf, es ihm gleichzutun und ihre Stories samt dem „gekidnappten“ Hashtag zu posten. Viele folgten diesem Aufruf – und die Follower der Follower auch. So gelangte die Kampagne auch zu berühmten Persönlichkeiten, die nun ihrerseits zur virtuellen Feder griffen.

„#JewishPrivilege ist, meine Familie gefoltert/ermordet in Konzentrationslagern/Warschau Ghetto & zahlreiche Vergewaltigungen & Angriffe von Kosaken in den jüdischen Ghettos in Belarus”, twitterte beispielsweise die britische Schauspielerin Tracy Ann-Oberman.

Die populäre jüdische Komikerin Sarah Silverman schrieb für sie sei #JewishPrivilege: „Von meinem Vater, der in der Schule jeden Tag verprügelt und dreckiger Jude genannte wurde, über Kinder, die mir in New Hampshire Pennys nachwarfen, bis zu Pfarrern in Florida, die mir den Tod wünschten und ihren Gemeinden versicherten, es würde Gottes Werk sein, mir die Zähne auszuschlagen und mich zu töten.“

Viele weitere prominente und weniger prominente Twitter-User schlossen sich an, und so konnte Hen Mazzig gleich am nächsten Tag triumphierend twittern: „Aufwachen und sehen, dass über Nacht der antisemitische Hashtag, #JewishPrivilege”, … wieder trendet … diesmal aber aus den richtigen Gründen”

In einer Zeit, in der soziale Medien mit ihren Riesenreichweiten, rasanten Umschlagfähigkeiten und coronasicheren Anwendungsmöglichkeiten eine immer größere Rolle spielen, dient die #JewishPrivilege-Erfolgsstory den Farrakha- Fans und anderen Antisemiten hoffentlich als Abschreckbeispiel und jüdischen Aktivisten als Inspiration.

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