Zunehmender Antisemitismus: Höchste Zeit zu handeln!

Der Gouverneur von New York Andrew Cuomo spricht auf einer Demonstration gegen Antisemitismus am in New York am 5. Januar 2020 (imago images/Pacific Press Agency)
Der Gouverneur von New York Andrew Cuomo spricht auf einer Demonstration gegen Antisemitismus am in New York am 5. Januar 2020 (imago images/Pacific Press Agency)

Der wachsende Antisemitismus hat viele neue Initiativen angestoßen, die dem Hass auf Juden entschieden entgegentreten wollen.

Der Antisemitismus hat auch im vergangenen Jahr in weiten Teilen der Welt deutlich zugenommen. Laut einer kürzlich in 18 Ländern durchgeführten Studie der Anti Defamation League (ADL) hegen heute rund 25% der Europäer antisemitische Gefühle; in Nordamerika sind es immerhin noch 14% und damit doppelt so viele wie vor nur fünf Jahren. Bei antijüdischen Ressentiments allein bleibt es allerdings nicht. Auch Gewalttaten gegen Juden und jüdische Institutionen nehmen bedenklich zu. All das wollen führende aber auch weniger führende Persönlichkeiten nicht einfach nur klagend hinnehmen; sie starten handlungsorientierte Initiativen gegen den Antisemitismus.

Es vergeht kaum ein Tag, an dem besorgt-wirkende Nachrichtensprecher nicht über den einen oder anderen antisemitischen Vorfall berichten. Zumeist wird ein Experte zugeschaltet, der dann, ebenfalls mit gefurchter Stirn, von einer bedrohlichen Entwicklung spricht. Bei Tisch in privaten Zusammenkünften und an Podien bei öffentlichen Diskussionen wird schließlich emsig weitergesprochen. Allein, dem Dunstkreis der Antisemiten scheint all das Reden wenig Abbruch zu tun. Schluss damit, sagen deshalb jetzt führende Köpfe. Sie verlangen Aktionen im Kampf gegen den Antisemitismus. Allen voran steht Ronald Lauder.

„Richtig aggressiv, richtig gehässig und richtig politisch“ – das A.S.A.P-Projekt

Der prominente Kosmetikerbe und Präsident des World Jewish Congress hat Anfang Dezember die Gründung einer neuen Organisation angekündigt, die dem wachsenden Antisemitismus in der amerikanischen Politik und im öffentlichen Leben den Garaus machen will. Ganze 25 Million Dollar steckt Lauder in sein neues Anti-Semitism Accountability Project (A.S.A.P). Das Geld, so soll er neulich in einem Interview mit der New York Times bekräftigt haben, unterstütze einen Zweck, der ihm besonders wichtig sei. A.S.A.P, so Lauder weiter, sei energischer und forscher als die Initiativen anderer, jüdischer Interessensvertretungen. „Was uns von den anderen unterscheidet, ist, dass wir bereit sind, richtig aggressiv, richtig gehässig und richtig politisch vorzugehen“, pflichtet ihm sein Chefstratege Bradley Tusk bei.

Neben einer Watchdog-Funktion, die antisemitische Äußerungen und Vorfälle umgehend identifiziere, seien auch Radio und TV-Werbungen, Lobbying-Veranstaltungen und andere wirkungsstarke Taktiken, geplant. Mittlerweile hat Lauder bereits professionelle Forschungsteams angestellt. Sie beobachten die politische Landschaft parteiübergreifend und verfolgen auch antisemitische Entwicklungen in kulturellen und akademischen Kreisen, um gezielte Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Wenn Universitäten beispielsweise antisemitische Tendenzen aufweisen, so will A.S.A.P ihre größten Spender über die bedenklichen Ereignisse informieren und sie auch in der Öffentlichkeit bekannt machen.  „Entweder ihr hört damit auf, oder wir setzen uns mit Euren Geldgebern in Verbindung“, so Lauder im Klartext.

Juden hätten Beleidigung zu lange still hingenommen. Diese Einstellung müsse sich jetzt ändern. Handlung sei angesagt.

Der Massenaufmarsch gegen Antisemitismus in New York

Ähnlich wie Lauder, wenn auch in diplomatischeren Tönen, sieht es wohl United Jewish Appeal (UJA) of New York. Jedenfalls hat die einflussreiche Dachorganisation gemeinsam mit anderen jüdischen Institutionen am vergangenen Wochenende zu einem Massenaufmarsch gegen den Antisemitismus unter dem Motto „No Hate, No Fear“ aufgerufen.

Über 25.000 Menschen sind dem Aufruf gefolgt, und auch prominente Politiker schlossen sich ihnen an. Letztere kamen nicht mit leeren Händen. So versprach etwa Andrew Cuomo, der Gouverneur des Staates New York, die Einführung eines neuen Gesetzes, das Antisemitismus mit Terrorismus gleichsetzen soll. Zudem will er 45 Millionen Dollar locker machen, um den Polizeischutz für jüdische Einrichtungen in seinem Bundesstaat zu verstärken.

Die roten Schutzengel

Allzu viel Vertrauen in die Handlungskraft oder den Handlungswille der amerikanischen Polizei scheint Curtis Sliwa indes nicht zu haben. „[Antisemitische] Angriffe finden vermehrt statt, und die Polizei ist überhaupt nicht pro-aktiv“, klagt der Gründer der freiwilligen Guardian Angels-Bürgerinitiative.

Seine Gruppe, die auf unbewaffnete Verbrechensvorbeugung setzt, will ab sofort regelmäßig in mehreren Stadteilen New Yorks patrouillieren und Möchtegern-Antisemiten einschüchtern. „In unseren roten Baskenmützen und Satinjacken fungieren wir als visuelle Abschreckung“, erklärt Sliwa. „Wenn wir in der Nähe sind, greift so schnell niemand an.“ Und wenn doch einer es wage, würden die Schutzengel in Rot den Täter so lange festhalten bis die Polizei eintreffe und ihn festnähme.

Die AI-basierte, interaktive Hate-Map

Einer anderen, aktuelleren Art der Verbrechensvorbeugung haben sich Studenten aus Israel, Polen, Deutschland, Frankreich und den USA verschrieben. Sie nahmen kürzlich an einem Hackaton in Warschau teil, um technologische Lösungen zur Bekämpfung von Online-Hassreden und Antisemitismus zu entwickeln.

Die Teams bekamen Zugriff zu Online-Datenbanken und hatten die Gelegenheit, fünf Millionen Quellen zu scannen, um antisemitische Äußerungen auszumachen. Die Gewinner des Hackatons entwickelten Hate Map, eine App, die mit Hilfe von Artificial Intelligence antisemitische Äußerungen zusammen mit den geographischen und demografischen Eckdaten ihrer Urheber auf einer interaktiven Landkarte aufzeigt.

Selbstverteidigung à la Lihi Aharon

Weniger technologisch, aber dafür sehr tatkräftig ist der Zugang von Lihi Aharon. Die junge Israelin wurde in der U-Bahn in New York zunächst verbal und dann auch physisch angegriffen, weil sie ihren Sitznachbar verteidigte. Der Mann trug eine Kippa und wurde darob von einer Frau mit unflätigen, antisemitischen Beleidigungen bedacht. Als Lihi daraufhin ihr Handy zückte und die unwürdige Szene zu filmen begann, wendete die Frau ihre Hasstiraden gegen sie. Lihi ließ sich zwar nicht aus der Ruhe bringen, schreckte aber auch nicht davor zurück, sich zu verteidigen, als die Antisemitin handgreiflich wurde. Danach ließ Lihi, die auch die Polizei alarmiert hatte, den Vorfall nicht einfach auf sich beruhen. Sie postete ein mittlerweile virales Video, in dem sie ihre Erlebnisse schildert und andere Menschen aufruft, es ihr gleichzutun. „Habt keine Angst aufzustehen und den Kampf zu erwidern“, lautet ihre Botschaft.

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Unterschiedliche Ansätze, gemeinsamer Nenner

So unterschiedlich wie die angeführten Initiativen sind auch die Menschen, die hinter ihnen stehen. Eines aber haben all jene, die dem wachsenden Antisemitismus die Stirn bieten wollen gemeinsam: Sie erkennen, dass es höchste Zeit geworden ist, zu handeln.

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