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Erdogan ist taktisch auf dem Rückzug

Die türkische Isoliertheit zwingt Erdogan zu einem taktischen Rückzug
Die türkische Isoliertheit zwingt Erdogan zu einem taktischen Rückzug (© Imago Images / Depo Photos)

Da die Türkei seit Jahren isoliert im Nahen Osten ist, forciert Erdogan die Annäherung an die arabischen Staaten, allen voran Ägypten und Saudi-Arabien.

Das Tempo der Annäherung zwischen der Türkei, Ägypten und Saudi-Arabien beschleunigt sich und spiegelt das gemeinsame Streben nach einem neuen regionalen Gleichgewicht wider, um die Politik der Vereinigten Staaten in der Iran-Frage herauszufordern. Diese Annäherung wirft jedoch viele Fragen auf, insbesondere hinsichtlich ihres Ausmaßes, ihrer Dauerhaftigkeit und ihrer Auswirkungen auf Ankaras Unterstützung für extremistische Gruppen wie die Muslimbruderschaft.

Den Anfang machte der „Al-Ula“-Gipfel Anfang Januar, der eine überraschende Versöhnung am Golf zwischen Katar auf der einen Seite und Saudi-Arabien, den Emiraten und Bahrain sowie Ägypten auf der anderen Seite einleitete.

Diese Versöhnung am Golf zog eine weitere Annäherung zwischen Saudi-Arabien und Ägypten einerseits und der Türkei andererseits nach sich, was sich in aufeinanderfolgenden türkischen Erklärungen gegenüber Ägypten, in saudi-arabischen Hilfsleistungen nach dem Erdbeben in Izmir und den anschließenden positiven türkischen Erklärungen gegenüber Riad zeigte.

Ägyptische Schiene

In den Beziehungen der Türkei mit Ägypten gingen die Ereignisse schnell voran, nachdem Kairo und Ankara in der ersten Maiwoche zweitägige Gespräche in Kairo abhhalten hatten.

In einer gemeinsamen Erklärung, die am Ende der Treffen herausgegeben wurde, hieß es, dass die Gespräche „offen und eingehend waren und sowohl bilaterale als auch regionale Themen berührten, insbesondere die Situation in Libyen, Syrien und dem Irak sowie die Notwendigkeit, Frieden und Sicherheit in der östlichen Mittelmeerregion zu erreichen.“

Die beiden Länder werten derzeit die Ergebnisse der Kairoer Gespräche aus, worauf ein Besuch ägyptischer Beamter in Ankara zum Abschluss der Gespräche stattfinden könnte.

Saudische Schiene

Mit der saudischen Seite verliefen die Gespräche „geheimer“ und vielleicht auch komplizierter. Obwohl Präsident Recep Tayyip Erdogan mit König Salman bin Abdulaziz telefonierte und Außenminister Mevlut Cavusoglu in der zweiten Maiwoche Riad besuchte, gaben die beiden Länder keine Fortschritte bekannt.

Cavusoglu blieb zwei Tage in Riad, der Besuch war jedoch nicht so vielversprechend wie erwartet, sodass er nicht einmal mit einer gemeinsaem Pressekonferenz endete. Darüber hinaus gab nach dem Besuch nur die türkische Seite eine knapp gehaltene Erklärung ab, während Riad schwieg, was wohl mit den seit Jahren angespannten Beziehungen zusammenhängt.

Gegenüber der türkischen Anadolu Agency kündigte Cavusoglu für die Türkei an, dass sein Land und Saudi-Arabien „den Dialog fortsetzen werden, um über noch bestehende Differenzen zu diskutieren.“ Die Beziehungen der Türkei zu Saudi-Arabien waren bereits durch die Unterstützung Ankaras für Katar im Konflikt zwischen den Golfstaaten belastet und eskalierten dann nach der Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi auf türkischem Territorium.

Im Allgemeinen konzentriert sich der Streit zwischen Ägypten und Saudi-Arabien auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite auf spezifische Problemfelder: vor allem auf Ankaras Unterstützung für die Muslimbruderschaft und die Einmischung in Libyen zugunsten von politischen Bewegungen und Milizen, die mit der Bruderschaft verbunden sind.

Ägyptisch-saudische Zusammenarbeit

Der saudische Autor und Politikexperte Mubarak Al-Ati sagt, dass Saudi-Arabien durchaus „Offenheit zur Verbesserung seiner Beziehungen zur Türkei zeigt und seine Schritte mit Ägypten koordiniert.“ In einer Erklärung gegenüber der Website Al-Hurra fährt der saudische Experte fort, dass der Besuch des türkischen Außenministers in Riad „dazu beiträgt, das Eis zu schmelzen und den Kurs der Gespräche zwischen den beiden Ländern zu koordinieren, um alle noch anstehenden Fragen zu diskutieren.“

Nichtsdestotrotz knüpft er jeden Fortschritt im Versöhnungsprozess zwischen den beiden Ländern an türkische Schritte, die beweisen müssten, dass es Ankara daran gelegen ist, die kontroversen Ansichten zu überwinden, darunter die Frage des Terrorismus sowie die türkische Einmischung in arabische Länder und Themen.

Laut dem saudischen Experten bewegt sich Riad in „langsamen Schritten und möchte, dass Ägypten zuerst seine offenen Fragestellungen mit Ankara abschließt, damit es danach die noch offenen Probleme diskutieren kann.“

Warum der plötzliche Wandel?

Rabab Ahmed, eine Türkeiexpertin, sagte gegenüber Mena-Watch, dass die Annäherung zwischen Ägypten und Saudi-Arabien auf der einen und der Türkei auf der anderen Seite „von dem Wunsch angetrieben wird, angesichts der Bestrebungen der USA und Europas nach einer Erneuerung des Atomabkommens mit dem Iran ein neues Gleichgewicht der Kräfte im Nahen Osten zu finden.“

Sie fügt hinzu: „Was passiert, ist, dass Saudi-Arabien, Ägypten und die Türkei versuchen, einen mächtigen Block in der Region zu bilden, der Druck auf den Iran ausübt und mehr Einfluss in Ländern wie dem Libanon, Syrien und anderen gewinnt.“

Der türkische Autor und Politikexperte Firas Radwanoglu sagte gegenüber BBC, dass Ägypten und die Türkei an Fortschritten bei der Normalisierung ihrer Beziehungen interessiert seien. Er erklärt, dass „Ägypten durch seine Annäherung an die Türkei versucht, Druck auf seine Verbündeten auszuüben, die Ägypten beim Projekt zur Verlängerung der maritimen Gaspipeline East Med vom östlichen Mittelmeer nach Europa, ausgeschlossen haben.“

Ägypten ist zwar gemeinsam mit Griechenland, Zypern, Israel, Frankreich und den den USA Mitglied des East Mediterranean Gas Forum war aber nicht in den Vertrag über eine Gas-Pipeline inkludiert, den Israel, Griechenland und Zypern 2020 unterzeichneten. Radwanoglu fügte in seinem BBC-Interview hinzu, dass „die Annäherung an die Türkei ein taktischer Schritt sein könnte, um diesen Block zu zwingen, Ägypten bei den Gasprojekten miteinzubeziehen.“

Andererseits glaubt der Experte, dass die Türkei die ägyptische Karte nutzen wolle, um ihren Nachbarn Griechenland unter Druck zu setzen, sich an den Verhandlungstisch zu setzen, echte Zugeständnisse zu machen und die Streitigkeiten im Mittelmeer zu lösen.

Taktischer Rückzug

Generell will die türkische Regierung aus der regionalen Isolation herauskommen, in der sie sich seit Jahren befindet, weswegen Ankara auch keinen engen Partner in der Region hat. Außerdem erhofft sie sich durch die Annäherung an Kairo eine Verbesserung ihrer Position im Gasstreit im östlichen Mittelmeer sowie eine Ankurbelung der Wirtschaft durch bessere Beziehungen mit Saudi-Arabien.

Die Schritte der Türkei gegenüber Ägypten und Saudi-Arabien stellen jedoch einen Rückschlag für die Muslimbruderschaft dar, da die Türkei in den letzten Jahren ein sicherer Stützpunkt für sie war, auch wenn Ankara die ägyptische Organisation nicht ganz aufgeben wird.

Der Türkei-Experte Aykan Erdemir sagte in einer Presseerklärung, dass „Erdogan schon vor Jahren Mitglieder der Hamas-Bewegung aus der Türkei ausgewiesen hat, als er sah, dass es in seinem Interesse war, dies zu tun. Solche taktischen Manöver beeinträchtigen aber nicht sein primäres Ziel, den politischen Islam zu fördern.“

Der Experte fügte abschließend hinzu: „Im Moment gibt es auf der internationalen Bühne wichtigere und dringendere Angelegenheiten als die Solidarität mit der Muslimbruderschaft. Aber sobald Erdogan sich auf der internationalen Ebene wieder sicherer fühlt, wird er die Unterstützung der Bruderschaft wieder aufnehmen.“

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