Amnesty International behauptet, eine unparteiische Menschenrechtsorganisation zu sein. Die interne Kommunikation über seinen lange angekündigten Bericht zum 7. Oktober 2023 lässt anderes vermuten.
Vor zwei Jahren überfielen die Hamas und andere Terrorgruppen aus dem Gazastreifen – darunter die zur PLO gehörenden PFLP und DFLP, deren Chef Mahmud Abbas ist, der Präsident der Palästinensischen Autonomiebehörde – den Süden Israels. Sie folterten, verstümmelten, vergewaltigten, entführten, töteten, brandschatzten. Sie versuchten in kurzer Zeit, so viel menschliches Leid in den Dörfern und auf dem Gelände des Nova-Musikfestivals wie möglich zu verursachen. Ihre Taten filmten sie und übertrugen sie live in sozialen Medien.
Amnesty International verzögert seither immer wieder die Veröffentlichung seines angekündigten Berichts über die von Palästinensern verübten Menschenrechtsverletzungen am 7. Oktober 2023. Aus politischen Gründen? Offenbar gab oder gibt es innerhalb der Organisation von einigen Seiten Widerstand dagegen, im Vorfeld des Jahrestags und während der Sitzungsperiode der UNO-Generalversammlung in New York die Verbrechen zum Thema zu machen – aus Sorge, dass dies »Israel nützen« könne. Das berichtete der Free-Press-Kolumnist Charles Lane in einem Beitrag unter Berufung auf interne Mails, die dem Medienunternehmen zugespielt wurden.
»Unsere Sorge gilt dem Zeitpunkt und den Auswirkungen«, schrieb Usman Hamid, Sektionsleiter von Amnesty International in Indonesien, am 8. August in einem geleakten Mail an die Spitzenvertreter der Organisation.
»Die Lage im Gazastreifen befindet sich auf dem Höhepunkt einer humanitären Krise, es breitet sich eine Hungersnot aus, und das israelische Sicherheitskabinett hat gerade Pläne für eine vollständige Besetzung des Gazastreifens genehmigt. In diesem Klima besteht die reale Gefahr, dass der Bericht dazu benutzt wird, von der aktuellen Krise abzulenken oder einen anhaltenden Völkermord zu rechtfertigen.«
Seydi Gassama, Abteilungsleiter für Senegal, schloss sich dieser Ansicht noch am selben Tag an:
»Die Lage im Gazastreifen verschlechtert sich. Diese Entscheidung wird die humanitäre Krise und den Verlust von Menschenleben verschärfen. Wir fordern das [Internationale Sekretariat] dringend auf, den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts zu überdenken, da er von Israel zur Rechtfertigung seines Vorgehens genutzt werden könnte.«
Charles Lane weist daraufhin, dass der Amnesty-Bericht über den 7. Oktober 2023 schon Anfang oder Mitte 2024 in Auftrag gegeben und seitdem mehrmals als kurz bevorstehend angekündigt wurde: »Amnesty International begann Anfang/Mitte 2024 mit der Untersuchung des Hamas-Angriffs und beauftragte zwei externe Berater mit der Durchführung. Die Berater legten den Großteil ihrer Ergebnisse im August 2024 vor und arbeiten seitdem an Details und Anpassungen, wie aus Quellen hervorgeht, die mit dem Verfahren und der internen Kommunikation von Amnesty International vertraut sind.«
Der Forschungs- und Advocacy-Direktor von Amnesty International Philip Luther schrieb laut Lane Ende Juli 2024 eine Nachricht an einen Mitarbeiter der israelischen Niederlassung der Organisation, in der er ihm versicherte, dass die »Überprüfung der Arbeit der Berater bis zum 8. September 2024 abgeschlossen« sein würde.
Am 5. September teilte der Amnesty-Forscher Budour Hassan den Mitarbeitern in einer Telefonkonferenz mit, »zu hoffen, den Bericht vom 7. Oktober zeitgleich mit dem Bericht veröffentlichen zu können, der Israel des Völkermords in Gaza beschuldigt«. Als der Völkermordbericht am 5. Dezember 2024 erschien, enthielt die begleitende Pressemitteilung folgende Zusage: »Die von der Hamas und anderen bewaffneten Gruppen während dieses Angriffs begangenen Verbrechen werden im Mittelpunkt eines bevorstehenden Berichts von Amnesty International stehen.« Das ist jetzt bald zehn Monate her.
Es entsteht der Eindruck, dass es Amnesty International nicht darum geht, unparteiisch Menschenrechtsverletzungen aufzudecken, sondern politische Ziele verfolgt, denen die Menschenrechtsberichterstattung nachgeordnet ist: Dient ein Fall den besagten Zielen? Lässt er sich gegen Israel ausschlachten? Alarm schlagen! Läuft er der Agenda zuwider? Lieber unter der Decke halten. Das Thema Menschenrechte wird nach Erwägungen des politischen Nutzens behandelt.
Kritiker ausgeschlossen
Während es die NGO in zwei Jahren noch nicht geschafft hat, einen Bericht über die Menschenrechtsverletzungen vom 7. Oktober 2023 zu veröffentlichen, ging es bei Dokumenten, die gegen Israel gerichtet sind, sehr schnell. Im Hinblick auf die im Krieg zwischen der Hamas und israelischen Soldaten im Gazastreifen getöteten Zivilisten sprach Amnesty bereits 2024 von einem »Völkermord« und versuchte das in einem fast dreihundert Seiten langen Bericht zu beweisen.
Dass der Bericht über den vermeintlichen »Völkermord« Israels unter dem Titel Man fühlt sich wie ein Untermensch. Israels Völkermord an den Palästinensern im Gazastreifen so viel schneller fertig war, hängt vielleicht damit zusammen, dass das Ergebnis für die Autoren von Anfang an fest stand: Wie der israelische Zweig von Amnesty International enthüllte, gab es den Titel »Völkermordbericht« schon, als die Recherchen gerade erst begonnen hatten. Amnesty Israel hingegen verurteilte zwar Jerusalems Einsatz militärischer Gewalt im Gazastreifen und die hohe Zahl der Opfer und verlangte ein sofortiges Ende des Kriegs, widersprach aber dem Begriff »Völkermord«.
Genozid bedeutet laut der UN-Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords, dass eine Handlung »in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören«. Das sei beim israelischen Einsatz im Gazastreifen nicht der Fall, argumentierte der israelische Zweig von Amnesty. Daraufhin brachte die Mutterorganisation nicht etwa die fehlenden Beweise bei, sondern schloss kurzerhand seinen israelischen Zweig aus.
Das Diskutieren und Verteidigen von Ergebnissen gehören wesentlich zum wissenschaftlichen Arbeiten. Menschenrechtsorganisationen erheben den Anspruch, auf faktenbasierter, objektiver Dokumentation zu beruhen. Sie untersuchen, sammeln Beweise, analysieren Muster, ziehen Schlussfolgerungen. Wenn man diesen Anspruch hat, muss man auch bereit sein, Ergebnisse offen zu legen, zu diskutieren und zu verteidigen.
Die Arbeit von NGOs hat gesellschaftliche und politische Wirkung. Nur wenn ihre Methoden, Auswahlkriterien und Bewertungen transparent und überprüfbar sind, genießen sie öffentliche und internationale Glaubwürdigkeit. Entziehen sie sich der Diskussion oder veröffentlichen Berichte selektiv, leidet das Vertrauen massiv. Amnesty tat genau dies: Sich der Diskussion zu verweigern und Kritiker in den eigenen Reihen kaltzustellen.
Amnesty und der »Völkermord«
Um die Behauptung des »Völkermords« überhaupt aufstellen zu können, musste die völkerrechtliche bindende Definition dessen, was laut UN-Konvention ein Völkermord ist, missachtet werden. In seiner Rechtsprechung (etwa Bosnien-Herzegowina gegen Serbien und Montenegro, 26. 2. 2007) betonte der Internationale Gerichtshof (IGH), dass Genozid ein sogenanntes dolus specialis (Spezialvorsatz-Verbrechen) ist.
Das bedeutet: Es reicht nicht, dass viele Menschen sterben oder schwer leiden – entscheidend ist, warum die Taten begangen wurden. Der Täter muss die Absicht haben, eine geschützte Gruppe »als solche« zu zerstören. Diese Absicht (intent to destroy) ist entscheidend. Der Vorsatz darf nicht vermutet werden. Der IGH verlangt, dass der Vorsatz die einzige vernünftige Schlussfolgerung ist, die sich aus den Beweisen ergibt.
In Paragraf 373 seines Urteils im Fall »Bosnien-Herzegowina gegen Serbien und Montenegro« schreiben die Richter des IGH:
»Was nun die Behauptung des Beschwerdeführers betrifft, dass das Muster der über einen langen Zeitraum hinweg an vielen Gemeinschaften verübten Gräueltaten, die sich auf bosnische Muslime und auch Kroaten konzentrierten, die notwendige Absicht demonstrieren, kann der Gerichtshof einer so weit gefassten These nicht zustimmen.
Der dolus specialis, die spezifische Absicht, die Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, muss durch besondere Umstände überzeugend dargelegt werden, es sei denn, ein allgemeiner Plan zu diesem Zweck kann überzeugend nachgewiesen werden. Damit ein Verhaltensmuster als Beweis für dessen Existenz akzeptiert werden kann, muss es so beschaffen sein, dass es nur [!] auf die Existenz einer solchen Absicht hinweisen kann.«
Diese Rechtsprechung, die ein wesentlicher Teil des Völkerrechts ist, lehnten die Autoren des Amnesty-»Völkermordberichts« ab. Man müsse das »holistisch« sehen und dabei die israelische Besatzung, die über die Palästinenser angeblich verhängte »Apartheid« und die innenpolitische Debatte in Israel mitberücksichtigen. Außerdem könne eine Handlung, die militärischen Zielen dient, gleichzeitig auch ein Völkermord sein.
Dass Amnesty die Torpfosten verschieben musste, um einen Treffer zu erzielen – nämlich die Definition so umschreiben, dass sie besser zu passen scheint –, war ein klarer Hinweis darauf, dass Amnesty die vom IGH geforderten Beweise für einen Völkermord nicht beibringen kann.
Um die israelische Absicht zum Genozid dennoch plausibel zu machen, fälschten die Autoren dann auch noch ein Zitat des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant aus dessen Rede unmittelbar nach den Massakern des 7. Oktober 2023. Gallant hatte gesagt, Israel kämpfe gegen »menschliche Tiere« – gemeint waren die Urheber der Verbrechen. Amnesty nahm das Zitat auf und behauptete, Gallant habe damit alle Palästinenser gemeint. Das war nicht die Interpretation, zu der ein unbefangener Beobachter kommen konnte, sondern eine vorsätzliche Fehldeutung. Die Absicht wurde Gallant untergeschoben. Das, was Amnesty beweisen wollte (Israel führt Krieg gegen alle Palästinenser), wurde hier zur Prämisse der Argumentation – ein klassischer Zirkelschluss.
Amnesty-Mitarbeiter: Nichts gegen die Hamas
Im August 2025 hatte Amnesty International einen Bericht fertiggestellt, der Israel wegen Kriegsschäden im Libanon an den Pranger stellte. Israels dortige Bodenoffensive begann Anfang Oktober 2024, also knapp ein Jahr nach dem Hamas-Massaker, zu dem der angekündigte Bericht immer noch aussteht. Das Muster, das nur das veröffentlicht wird, was dem Anti-Israel-Lager nützt, ist offensichtlich.
»Die Voreingenommenheit wird deutlich, wenn die Organisation in einem Konflikt nur dem Leid einer bestimmten Gruppe von Menschen Raum gibt«, zitierte Lane einen ehemaligen Amnesty-Mitarbeiter, der wegen der Brisanz des Themas anonym bleiben wollte. »Das passiert, wenn man die Menschenrechtsarbeit stärker auf narrative Aspekte ausrichtet«, sagte Yariv Mohar, ehemaliger Co-Direktor der inzwischen aufgelösten Israel-Sektion von Amnesty. Tatsächlich, so Lane, waren die Direktoren aus Indonesien und Senegal bei Weitem nicht allein mit ihrem Drängen, den Bericht zum 7. Oktober nicht oder nicht sofort zu veröffentlichen.
»Etwa zeitgleich mit ihren E-Mails verbreiteten Amnesty-Mitarbeiter einen 1.900 Wörter langen Brief, der ebenfalls an die Amnesty-Führung gerichtet war. Darin wurde protestiert, dass Israel davon profitieren würde, wenn die Organisation die Hamas anprangern würde.«
Bei einer von Amnesty Austria unterstützten antiisraelischen Demonstration, auf der seine Geschäftsführerin Shoura Hashemi nicht nur mit einem eigenen Redebeitrag vertreten war, sondern, sie auch als Zeichen feierte, dass die »Repression nicht mehr funktioniert«, forderte der Gesandte der Palästinensischen Autonomiebehörde in Österreich, Salah Abdel Shafi, Ende September, dass man dem Staat Israel »ein Ende setzen« müsse.
Im Juni führte Amnesty eine Demonstration mit dem PFLP-Unterstützer Ibrahim Ibrahim durch. Wie die Tageszeitung Die Welt berichtete, lobte Katja Müller-Fahlbusch von Amnesty International anschließend Ibrahims Engagement: Stimmen wie seine würden »gecancelt«, »gesilenced« und »Repressionen erleben«, so die Fachreferentin für den Nahen Osten und Nordafrika von Amnesty Deutschland. »Vielen Dank, Herr Ibrahim.«
Wenn Amnesty International gemeinsam mit Unterstützern der PFLP, einer der Tätergruppen des Überfalls auf Israel, und mit anderen Kräften, die sich eine Welt ohne Israel wünschen, Demonstrationen abhält, kann es nicht verwundern, dass der Menschenrechtsorganisation ein Bericht über die an Israelis verübten Verbrechen so schwerfällt.






