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Amnesty International und der Iran – warum so zahnlos?

Wenn es um den Iran geht, tritt Amnesty International ganz anders auf, als es das z.B. gegen Saudi-Arabien tut. (imago images/Müller-Stauffenberg)
Wenn es um den Iran geht, tritt Amnesty International ganz anders auf, als es das z.B. gegen Saudi-Arabien tut. (imago images/Müller-Stauffenberg)

Wenn es um Menschenrechtsverletzungen des iranischen Regimes geht, fordert Amnesty International nur halbherzige Konsequenzen.

Eitan Fischberger

In einem erschreckenden neuen Bericht beschreibt die einflussreiche Nichtregierungsorganisation Amnesty International detailliert, wie die tyrannische Regierung des Iran seit November 2019 auf einen kurzen Aufstand regiert. Mit Massenverhaftungen, mit dem Verschwindenlassen und der unrechtmäßigen Tötung Tausender iranischer Männer, Frauen und Kinder, von denen manche nicht älter als 10 Jahre waren. Amnesty schildert mit herzzerreißenden Einzelheiten die mutwilligen Auspeitschungen, Elektroschocks und anderen grausamen Folterungen, die unschuldigen Iranern zugefügt wurden. Vor wenigen Tagen erst hat das iranische Regime in einer Zurschaustellung seiner Brutalität den Ringer Navid Akfari hingerichtet, nachdem dieser gefoltert worden war, damit er den Mord an einem Sicherheitsmann während eines regierungsfeindlichen Protests im Jahr 2018 gesteht.

Für diejenigen von uns, die sich damit beschäftigen, ist dies natürlich nichts Neues: Die iranische Regierung unterdrückt ihre Bürger seit Jahrzehnten, auch wenn viel zu wenig davon Notiz genommen wird. Wie von Dr. Majid Rafizadeh fachkundig dargelegt wurde, machen sich auch die Vereinten Nationen schuldig, die Augen vor der iranischen Willkür zu verschließen.

In der Tat verbringt der Sicherheitsrat, das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen, bei seinen vierteljährlichen Sitzungen zum Thema „Die Lage im Nahen Osten, einschließlich der Palästinenserfrage“ unverhältnismäßig viel Zeit damit, auf Israel einzudreschen, während er auf den Iran kaum zu sprechen kommt.

Amnesty International hat seit Beginn der Proteste mehrere Berichte veröffentlicht, in denen die systematischen Übergriffe im Iran beschrieben werden. Jetzt hat die Organisation den UN-Menschenrechtsrat (UNHRC) gebeten, Maßnahmen zu ergreifen.

Amnesty, das seit 1964 Beraterstatus bei den Vereinten Nationen genießt, rühmte sich der unzähligen UN-Beschlüsse in Sachen Menschenrechte, zu denen es mit beigetragen hat. Professor Kerstin Martens, eine Expertin für zwischenstaatliche und Nichtregierungsorganisationen, schrieb 2006, dass „die Arbeit von Amnesty bei den Vereinten Nationen sich immer auf die Ratifizierung und Entwicklung von Rechtsinstrumenten zum Schutz der Menschenrechte konzentriert hat“. Insbesondere ihre Kampagne zum Verbot der Folter seit den 1970er Jahren wird von vielen als eine der erfolgreichsten Initiativen angesehen, die je von einer NGO bei den Vereinten Nationen durchgeführt wurden.

Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Die Vereinten Nationen wenden sich an Amnesty, um sich in Menschenrechtsfragen beraten zu lassen, und ihre Ergebnisse werden in den Berichten des Weltgremiums häufig als Quellen zitiert. Im Laufe der Jahre haben Amnesty und Mitarbeiter der Vereinten Nationen persönliche Netzwerke informeller Kommunikation entwickelt, über die sie sich gegenseitig mit Informationen versorgen, die sonst nicht zugänglich wären.

Zweifellos hat die Organisation bei den Vereinten Nationen enormen Einfluss.

Amnesty hat nie davor zurückgeschreckt, die UNO zu hartem Vorgehen gegen Länder zu drängen, darunter auch gegen Israel. So hat es zum Beispiel eine herausragende Rolle bei der Erstellung einer vom UNHRC angeordneten Schwarzen Liste von Unternehmen gespielt, die jenseits der israelischen Waffenstillstandslinien von 1949 tätig sind.

Amnesty ging noch einen Schritt weiter, als es 2016 vom UNHRC offen die Suspendierung Saudi-Arabiens wegen „grober und systematischer Menschenrechtsverletzungen“ forderte, wobei es sich auf Hinrichtungen bezog, auf Kinder, die nach unfairen Prozessen in Todeszellen sitzen, und auf das harte Vorgehen gegen Andersdenkende. Im neuen Bericht von Amnesty International über den Iran finden sich viele Formulierungen wie „systematische Muster von Massenverhaftungen“, „weit verbreitete Muster schwerer Menschenrechtsverletzungen“ und „unrechtmäßige Tötungen von Demonstranten und Umstehenden“.

Das hört sich vertraut an?

Doch trotz der frappierenden Ähnlichkeit in der Formulierung der Beschuldigungen hat Amnesty International im Fall des Iran den UNHRC lediglich aufgefordert, eine von den Vereinten Nationen geleitete Untersuchung durchzuführen, um das Land zur Rechenschaft zu ziehen und die Wiederholung von Vergehen zu vermeiden. Das ist eine alarmierend schwache Reaktion, wenn man sie mit der berechtigten Forderung nach der Suspendierung der Saudis im UNHRC vergleicht. Warum eine so halbherzige Reaktion, wenn es darum geht, Druck auf Teheran auszuüben? Und warum macht man sich die Mühe, einen 80-seitigen Bericht über iranische Menschenrechtsverletzungen zu schreiben, um dann nur auf eine zahnlose Untersuchung zu drängen?

In seiner Erklärung zu Saudi-Arabien im Jahr 2016 argumentierte Amnesty, dass die Saudis die Glaubwürdigkeit des UNHRC in Frage gestellt haben, indem sie die Verabschiedung von Resolutionen vereitelt haben, in denen sie verurteilt worden wären. Genau dasselbe macht freilich auch das iranische Regime, dessen Menschenrechtsbilanz 2019 sogar von 85 Prozent der Mitglieder des Rates gelobt wurden.

Bei all dem Einfluss, den Amnesty International bei den Vereinten Nationen hat, könnte es sicherlich viel mehr tun, als bloß eine zahnlose Untersuchung zu empfehlen. Warum nutzt es nicht seinen erheblichen Einfluss und beschwört jedes einzelne UN-Organ, zu dem es Zugang hat, angesichts der brutalen Niederschlagung der Proteste konkrete Schritte gegen den Iran zu unternehmen? Jetzt, da die UNO-Generalversammlung bis zum 30. September und die 45. reguläre Sitzung des UNHRC bis zum 6. Oktober läuft, ist es für Amnesty International an der Zeit, den eigenen Worten Taten folgen zu lassen.

(Der Text „Amnesty International must translate words into action“ ist beim Jewish News Syndicate erschienen. Übersetzung von Florian Markl.)

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