Ägypten: Versöhnungsinitiative der Muslimbruderschaft

Nach dem Sturz des Kurzzeitpräsidenten Mohammed Mursi wurden in Ägypten zahlreiche Mitglieder der Muslimbruderschaft inhaftiert. (© imago images/ZUMA Press Wire)
Nach dem Sturz des Kurzzeitpräsidenten Mohammed Mursi wurden in Ägypten zahlreiche Mitglieder der Muslimbruderschaft inhaftiert. (© imago images/ZUMA Press Wire)

Die Muslimbruderschaft bietet für die Freilassung ihrer Mitglieder aus den Gefängnissen einen Rückzug aus der ägyptischen Politik an.

In einem überraschenden Schritt hat die Muslimbruderschaft die Möglichkeit angedeutet, sich für bis zu fünfzehn Jahre aus dem politischen Leben in Ägypten zurückzuziehen, wenn sich im Gegenzug das Regime auf eine Versöhnung ein- und die Gefangenen der Bruderschaft freilässt.

Wie Maged Abdullah, ein Medienexperte des muslimbrüdernahen Senders Al-Sharq, der von der Türkei aus tätig ist, erklärte, soll ihn Helmy Al-Gazzar, der stellvertretende Oberste Führer der Gruppe, offiziell gebeten haben, die Botschaft zu übermitteln. Abdullah zitierte Al-Gazzar mit den Worten, die Muslimbruderschaft verpflichte sich, im Gegenzug für die Freilassung der Gefangenen die politische Arbeit für einen Zeitraum von zehn bis fünfzehn Jahren einzustellen und die Ereignisse der letzten elf Jahre seit dem Sturz des Präsidenten Mohammed Morsi zu vergessen.

Später gab Al-Gazzar selbst eine Erklärung ab, die auf der offiziellen Website der Muslimbruderschaft veröffentlicht wurde: »Die Muslimbruderschaft hat bereits angekündigt, dass jeder, der ihr die Hand reicht, nichts als Loyalität von ihr erwarten kann und die Gruppe jede ernsthafte Initiative zur Freilassung politischer Gefangener begrüßt.«

Überwindung der Spaltung …

Der Forscher Hossam El-Haddad kommentierte diesen Schritt der Muslimbruderschaft so: »Die Initiative von Helmy Al-Gazzar zeigt, dass sich die Gruppe der veränderten Umstände bewusst ist, die sie umgeben, sei es auf internationaler oder regionaler Ebene. Nach dem Sturz der Herrschaft der Muslimbruderschaft in Ägypten und dem zunehmenden Druck auf die Gruppe im Westen scheint sie nach einer Möglichkeit zu suchen, durch Zugeständnisse nach Ägypten zurückzukehren. … Die Initiative spiegelt eine kritische Situation innerhalb der Organisation sowie den Wunsch wider, einen Ausweg aus ihrer fortdauernden Krise zu finden; selbst, wenn dies bedeutet, dass sie vorübergehend einen der wichtigsten Aspekte ihrer Tätigkeit aufgibt: die politische Arbeit.«

Seit Jahren ist die Muslimbruderschaft in zwei rivalisierende Flügel gespalten, von denen der eine in Istanbul und der andere in London ansässig ist. Beide Zweige verfügen über eine jeweils unabhängige Verwaltungsstruktur und Führung, was zu tiefer Verunsicherung in der Gefolgschaft der Bruderschaft gesorgt hat.

… oder deren Verschärfung?

Der ägyptische Parlamentsabgeordnete Mustafa Bakri wertete die Initiative als »Beweis dafür, dass die Gruppe ein Stadium der Verzweiflung und das Ende ihres Projekts erreicht hat, mit dem sie an die Macht zurückkehren wollte«. Auf seinem X-Account schrieb Bakri, die Initiative belege auch, »dass die Bruderschaft die Unterstützung der Bevölkerung verloren hat und eine heftige Meinungsverschiedenheit in den Reihen der Gruppe widerspiegelt«. Er erwartet allerdings, dass die Initiative dazu führen wird, »die Intensität der Spaltung innerhalb der Gruppe zu erhöhen«.

Auch Sameh Eid, ein Forscher über fundamentalistische Bewegungen in Ägypten, ist der Ansicht, dass die Versöhnungsinitiative die Spaltung in den eigenen Reihen widerspiegelt. Die Initiative gehe vom Londoner Flügel unter der Führung von Helmy Al-Gazzar aus, dem derzeit stärkeren der beiden zerstrittenen Gruppen. Eid glaube jedoch nicht, dass die Initiative von Istanbul unter der Führung von Mahmud Hussein akzeptiert werde.

Beobachtern zufolge, die mit der saudischen Zeitung Asharq Al-Awsat sprachen, sei die Initiative der Bruderschaft der Versuch, einen Waffenstillstand mit der ägyptischen Regierung zu erreichen, der Absicht geschuldet, die Gruppe zu reorganisieren. Einerseits solle der Riss zwischen den Flügeln gekittet, andererseits der Konflikt zwischen jüngeren Mitgliedern und der traditionellen Führung überwunden werden.

Kalte Schulter

Einstweilen zeigt die ägyptische Regierung der Bruderschaft die kalte Schulter. Laut Adel Azab, der in der ägyptischen Nationalen Sicherheitsbehörde für die Muslimbruderschaft zuständig war, würde der Vorschlag Helmy Al-Gazzars »in Bezug auf Form und Inhalt abgelehnt«:

»Angenommen, die Muslimbruderschaft darf nach Ägypten zurückkehren, werden sich viele Fragen stellen: Wie sehen in Zukunft die Beziehungen des ägyptischen Zweigs zur internationalen Organisation der Muslimbruderschaft aus? Wird der ägyptische Zweig seine Beziehungen zur internationalen Organisation abbrechen? Wie steht es um die wirtschaftlichen Aktivitäten und die Unternehmensinvestitionen der Gruppe im Ausland?« Azab zufolge müssten zunächst all diese Fragen geklärt werden, bevor die Initiative zur Versöhnung Erfolg haben könne.

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