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Afghanistan: Die westliche Politik hat sich wieder einmal völlig aufgegeben

Deutscher Außenminister Heiko Maas auf der Afghanistan-Geberkonferenz in Genf
Deutscher Außenminister Heiko Maas auf der Afghanistan-Geberkonferenz in Genf (© Imago Images / photothek)

Warum verknüpfen UNO und internationale Gemeinschaft die Hilfsgelder für Afghanistan nicht wenigstens mit rudimentären Forderungen an die Taliban?

Liest man die Verlautbarungen westlicher Politiker zu Afghanistan, so kann man sich des Eindrucks nur schwer erwehren, dort habe im August eine furchtbare eine Naturkatastrophe stattgefunden, für die niemand etwas könne – und nun sei es einfach die Pflicht jenes ominösen Gebildes namens Internationaler Gemeinschaft, so schnell und unbürokratisch wie möglich den Opfern dort zu helfen.

Freudig wird allerseits begrüßt, dass eine Geberkonferenz eine Milliarde an Soforthilfe zur Verfügung stellt, denn es droht, so die UN, eine humanitäre Katastrophe ungeahnten Ausmaßes, sollte Hilfe nicht schnell zur Verfügung gestellt werden.

Anders als mit Trump verhandelt

Das dürfte stimmen und in der Tat sind Millionen von Afghaninnen und Afghanen von unmittelbarer Not bedroht, nur sollte man vielleicht auch erwähnen, wer daran die Hauptschuld trägt: Es sind genau jene Taliban, die nun – mal drohend, mal bettelnd – westliche Hilfsgelder einfordern.

Sie wissen genau: Das humanitäre Argument zieht immer, und kaum ist von Massenelend die Rede, fragt kaum irgendjemand noch nach: Hauptsache Millionen werden schnell auf UNO-Konten überwiesen.

Doch eigentlich wäre es ganz einfach gewesen, denn hätten sich die Taliban an jene Verträge gehalten, die sie mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump im Rahmen seiner Abzugspläne unterschrieben hatten, gäbe es die unmittelbare Not heute nicht.

Man mag von den Verhandlungen, die mit den Taliban geführt wurden, halten was man will, und ich habe nie viel von ihnen gehalten, aber Teil des Pakets war es, sich auch mit der gewählten afghanischen Regierung an den Tisch zu setzen und eine neue inklusive Regierungsform zu entwickeln, in der die Taliban eine, nicht die zentrale Rolle spielen würden. Damals erklärte der afghanische Präsident, auch wenn er von den Verhandlungen in Doha ausgeschlossen war, seine Bereitschaft mit den Taliban ein Übereinkommen auszuhandeln.

Hätte dies funktioniert und wäre nicht von den Taliban, die stattdessen mit Hilfe Pakistans den ganzen Kuchen wollten, ein militärischer Sieg angestrebt worden, die Situation im Land stellte sich heute doch recht anders dar: Ein Großteil internationaler Hilfe flösse weiter, die Lage der Zivilbevölkerung wäre schlecht, aber nur so schlecht wie sie es im April 2021 auch war, als der Abzug der US-Truppen begann.

Erstaunlich, dass in all den Dialogangeboten, die nun auf die Gotteskrieger niederprasseln, nicht eines sie zum Verursacher der aktuellen Krise erklärt und auffordert, schlicht nachzuholen, wozu sie sich in Doha eigentlich verpflichtet hatten.

Kurz: Es gibt eine Wahl und die Botschaft an Euch, die natürlich auch von der Bevölkerung vernommen wird, über die ihr nun ohne jede Legitimation herrscht, ist einfach. Entweder es gibt eine Regierung, an der repräsentativ auch alle anderen Akteure Afghanistan beteiligt sind, und baldige Neuwahlen, bei denen sich dann ja zeigen wird, ob die Behauptung, die Taliban seien so willkommen, sich bewahrheiten kann – oder es gibt kein Geld.

Wasser bis zum Hals

Die Entscheidung läge damit in den Händen der Taliban. Beharrten sie weiter auf ihrem Alleinvertretungsanspruch, so wären auch alleine sie es, die für die kommende humanitäre Katastrophe – sowohl international als auch gegenüber den Menschen im Land – verantwortlich zu machen sind.

Ganz offensichtlich weiß die Taliban-Führung, dass ihnen schon jetzt das Wasser bis zum Hals steht und weder Pakistan noch China ihnen mit größeren Summen unter die Arme greifen werden. Irgendjemand hat ihr offenbar im Frühling erzählt, dass der Westen schon zahlen werde, auch wenn sie das ganze Land übernehmen.

Leider scheint es so, dass dieser, vermutlich aus den Reihen des pakistanischen Geheimdienstes stammende, Irgendjemand Recht behalten wird: Das Geld fließt, ohne dass irgendwelche Bedingungen gestellt würden.

Dabei wäre dies im Moment noch einfach, sollten die Taliban hingegen ihre Macht, die im Moment noch aufgrund verschiedener Faktoren und interner Streitigkeiten, äußerst wacklig ist, festigen, dann werden sie sich noch kompromissloser zeigen, als sie es jetzt schon tun. Das haben solche Regimes in der Vergangenheit oft genug bewiesen.

Verheerendes Signal

Die Signale, die der Westen gerade mit seinen Hilfsappellen und Dialogangeboten aussendet sind nicht nur für alle jene Menschen in Afghanistan verheerend, die sich sehnlichst wünschen, das Taliban-Regime möge lieber heute als morgen stürzen, sondern auch in ihrer Wirkung auf alle möglichen anderen Diktatoren und Halsabschneider überall auf der Welt.

Man muss, so die Botschaft, nur die eigene Bevölkerung als Geisel nehmen und schon funktioniert es mit den Hilfsgeldern. Dass nebenbei auch kaum je irgendeine Kontrolle stattfinden wird, wohin und auf welche Weise diese Gelder dann fließen, gehört zum tristen Bild dazu.

De facto werden die Taliban wie etwas ungezogene Kinder behandelt, die für ihr Tun letztlich nicht rechenschaftspflichtig sind. Man kennt das im Verhältnis zu anderen islamistischen und autokratischen Regimes und Bewegungen zur Genüge bei denen in der Regel auch viel zu milde Maßstäbe angelegt werden. So herrscht etwa Einigkeit, dass man es dem nordkoreanischen Regime eigentlich nicht zum Vorwurf machen kann, seit Jahren eine Bevölkerung hungern zu lassen, nur um an größenwahnsinnigen Atom- und Rüstungsprojekten zu basteln.

Je irrer und brutaler sich solche Regimes aufführen, so scheint es leider, auf umso mehr Nachsicht können sie hoffen. Dabei bleiben simpelste Regeln gesunden Menschenverstandes auf der Strecke, und am Ende zahlt doch nur wieder die jeweils geknechtete Bevölkerung den Preis – auf dass sich beim nächsten Konflikt das Trauerspiel auf noch niedrigerem Niveau wiederhole.

Dabei stellt sich die gute Frage, wieso alle beteiligten Akteure – mit ganz wenigen Ausnahmen, etwa der französischen Regierung – dieses Spiel eigentlich mitspielen.

  • Treibt sie wirklich nur die Angst um, sonst kämen ein paar mehr Flüchtlinge in den Westen?
  • Und glauben sie, das Geld, das sie nun überweisen, hielte die Menschen von der Flucht ab?
  • Ist es wirklich so weit, dass ein Haufen bärtiger Gotteskrieger nun zum Hoffnungsträger mutiert, weil ausgerechnet er ein Land wie Afghanistan stabilisieren könne?
  • Haben sie es ohnehin aufgegeben noch irgendeine Außenpolitik zu machen, die mehr ist, als Geld an Diktatoren zu überweisen, damit die ihre Grenzen dichthalten?
  • Scheint es wirklich so abwegig, den Taliban gegenüber nun mit etwas Härte zu begegnen statt „den Dialog zu suchen“ und ein paar Floskeln über Frauen- und Menschenrechte abzusondern, die – das haben sie im Regierungspalast in Kabul längst verstanden – keineswegs ernst gemeint, sondern bloß zum Betrieb dazugehören?
  • Ist es am Ende gar so, dass sie wirklich an all dieses Gerede von Kultur und Tradition glauben und deshalb überzeugt sind, die Gegenseite handele quasi von solchen Faktoren determiniert und deshalb mache es ohnehin keinen Sinn, sie wie erwachsene Verantwortungsträger zu behandeln?

Glaubt der Westen das alles wirklich selbst?

Nun auch auf diese Fragen, die sich zu den vielen, die man sich seit Monaten zu den Entwicklungen in Afghanistan stellt, hinzuaddieren, wird es wohl keine Antworten geben. Der Betrieb geht weiter und zu diesem Betrieb gehören UN-Geberkonferenzen, egal ob zu Syrien, zum Jemen, zu Somalia oder nun Afghanistan, deren Sinn nicht hinterfragt werden soll und auf denen so getan wird, als seien ein paar Milliarden irgendein Ersatz für das völlige Scheitern bzw. den Mangel anderer außenpolitischer Initiativen.

Mit ihnen geht die Hoffnung einher, das Elend, das in dem jeweiligen Land herrscht, möge für ein paar Monate aus den Schlagzeilen, nicht etwa der Realität, verschwinden … bis zur nächsten Geberkonferenz nämlich.

Verrückt ist dabei, dass die westlichen Akteure anzunehmen scheinen, die andere Seite wüsste das alles nicht. Doch: Sie tut es. Sie lernt und studiert den Westen genau. Das ist der Punkt, an dem sich die Taliban wirklich verändert und modernisiert haben.

Heute schneiden sie keine Hälse von NGO-Mitarbeiterinnen oder Mitarbeitern mehr ab, sondern laden sie großzügig, aber zu ihren Bedingungen ins Land ein. Sie nutzen Twitter und Facebook und wissen, wie der Betrieb läuft und wie man ihn sich zu Nutze machen kann.

Das ist nicht etwa moderat oder ähnliches, sondern nur clever. Zugleich zeigt es, dass man es nicht mit irgendwelchen „Dumpfbacken“ zu tun hat, sondern mit Leuten, die ziemlich genau wissen, was sie tun. Deshalb wäre es so angemessen, sie auch als solche zu behandeln – was allerdings leider nicht geschieht.

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