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Afghanistan: Alle spielen falsch

Afghanistan: Was geschieht mit den Hilfsgeldern für Flüchtlinge?
Afghanistan: Was geschieht mit den Hilfsgeldern für Flüchtlinge? (© Imago Images / ZUMA Wire)

Angesichts der humanitären und politischen Katastrophe in Afghanistan werben gegenwärtig viele internationale Hilfsorganisationen mit Nachdruck um Spenden. Doch wie können Mitarbeiterinnen unter den aktuellen Bedingungen eigentlich dort tätig werden? Wie ist die Gefährdungslage der afghanischen Ortskräfte? Müsste man sich nicht um deren Evakuierung kümmern? Und wie können Hilfsgüter unter diesen Bedingungen verteilt werden und bei den Bedürftigen ankommen? Zu all diesen sehr einfachen Fragen erhalten Spender nirgendwo Auskunft.

Das Deutsche Rote Kreuz wirbt um Spenden, obwohl es in Afghanistan nicht tätig ist. CARE bittet um Spenden, doch hält sich über mögliche Aktivitäten in Afghanistan extrem bedeckt. Auf Facebook erklärt CARE Deutschland: „Wir stehen im engen Kontakt mit unseren Helfer-Teams vor Ort, die Sicherheit all unserer Mitarbeiter:innen hat derzeit höchste Priorität.“ Das ist verständlich und unterstreicht zugleich, dass die Organisation im Moment nicht arbeitsfähig ist.

Die Welthungerhilfe erklärt zwar: „Unsere Arbeit geht weiter“ und bittet um Spenden für Afghanistan, gesteht dann aber: „Die genauen Arbeitsmöglichkeiten von Hilfsorganisationen sind weiterhin unklar“. Bei HELP heisst es: „Aufgrund der heiklen Sicherheitslage sind zurzeit alle Projekte im Land pausiert“. Auch hier bisher keine Aktivitäten, aber man ruft vorsorglich zu Spenden auf. Während der Taliban-Herrschaft von 1998 bis 2001 hatte man sich nach eigenen Angaben aus Afghanistan zurückgezogen.

Die Diakonie Katastrophenhilfe bittet ebenfalls um Spenden. Diese würden „umgesetzt sobald sich uns die Möglichkeit bietet“. Action Medeor, die „Notapotheke der Welt“, „stimmt Hilfsmaßnahmen ab“, sammelt aber auch schon mal. Offenbar ruhen alle Aktivitäten außer der Spendenaquise.

Keine Transparenz

Keine dieser Organisationen sieht sich veranlasst, für etwas Transparenz zu sorgen und vielleicht auch ein wenig Rechenschaft vor den Spenderinnen und Spendern abzulegen. Vielmehr scheint die goldene Regel zu lauten: Je mehr Details, desto schlechter für das Spendengeschäft. Oder sollte es am Ende so sein, dass die Gelder zweckentfremdet in ganz andere Kanäle fließen? Die Intransparenz dieser milliardenschweren Branche bietet jedenfalls erheblich Raum für Spekulationen.

Diese Intransparenz erstreckt sich auch auf den Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vor Ort. Keine Organisation erklärt sich zur Situation, erläutert ihr Schutzkonzept für gefährdete Mitarbeiter, berichtet, wie viele gefährdete Mitarbeiter man bereits hat außer Landes bringen können, und so weiter und so fort.

Manche Organisationen berichten von einem Netzwerk an Partnern, das es ihnen erlaube, nun weiterzuarbeiten. Doch wie dies geschehen soll und vor allem, wie es um die Sicherheit dieser Partner bestellt ist, bleibt auch hier regelmäßig im Dunkeln.

Von Seiten der Caritas erfahren wir telefonisch, man habe „wegen der hohen Nachfrage“ nach Gefährdungsanzeigen eine gesonderte Email-Adresse eingerichtet. Es würde dann „im Einzelfall“ entschieden, was getan werden könne.

Die UNO-Flüchtlingshilfe will auf Anfrage „die Sicherheit für die Mitarbeitenden des UNHCR“ nicht „außeracht“ lassen. Weiter heißt es: „Dass dabei dann zukünftig die Taliban Gesprächspartner des humanitären Einsatzes des UNHCR sind, ist nicht ungewöhnlich, denn das war schon während des ersten Taliban Regimes der Fall. Die Taliban ermutigen den UNHCR, seine Arbeit im Land wiederaufzunehmen.“ Der Betrieb, so die Botschaft, läuft auch unter dem Banner des Terrors ungestört weiter. Kein Grund zur Beunruhigung.

Während die Hilfsorganisationen sich nicht zur Gefährdungslage ihrer verbliebenen lokalen Mitarbeiter äußern, bleibt die Bundesregierung weiter untätig, was die Evakuierung der vielen zurückgelassenen Ortskräfte angeht. Diese oftmals hochgradig gefährdeten Menschen erhalten keine Hilfe, werden nicht kontaktiert und vollkommen im Ungewissen gelassen. Selbst die wenigen, die bereits gültige Visa zur Einreise nach Deutschland erhalten haben, können nur zusehen, wie diese Visa nach und nach ablaufen.

Unterdessen durchkämmen Taliban Straßenzug um Straßenzug nach eben diesen Menschen. Es zählt eigentlich jede Minute. Entdeckten droht Folter und Tod.

Überforderung gemischt mit Intransparenz

Das müssen dieser Tage auch tausende ehemalige lokale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Organisationen aus anderen europäischen Ländern erleben, wo das Thema allerdings eine etwas prominentere Rolle in den Medien spielt, als hierzulande. So berichtet der Guardian gerade prominent über frühere Angestellte britischer Organisationen, die nun in Kabul zurückgelassen in Todesangst leben. Die deutsche Öffentlichkeit scheint selbst in Wahlkampfzeiten eher wenig am Schicksal dieser Menschen interessiert.

Die Gespräche des deutschen Außenministers mit den Nachbarländern Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan verliefen erwartungsgemäß ergebnislos, und nun will man die Angelegenheit offenbar aussitzen – was schließlich der inoffiziellen Leitlinie des Bundesinnenministeriums, „Migration ist die Mutter aller Probleme“, entgegenkommt.

Dort hatte man auch die Listen der als schutzbedürftig eingestuften Afghanen angeblich nicht erhalten, obwohl das Auswärtige Amt sie übergeben haben will. So geschah es, dass über 100 Schutzsuchende, die eine schriftliche Bescheinigung ihres Bleiberechts, ausgestellt vom Auswärtigen Amt, vorzeigen konnten, offensichtlich rechtswidrig zum Stellen eines Asylantrags genötigt wurden.

Die bruchstückhaften und teilweise widersprüchlichen Informationen aus den Ministerien über den Stand der Evakuierungsmission zeugen von kompletter Überforderung. Alle Akteure setzen aber auch gezielt auf maximale Intransparenz.

Der Autor arbeitet als Projektkoordinator der deutsch-irakischen Hilfsorganisation Wadi e. V.

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