Die Europäische Union erwägt die Ernennung eines neuen Gesandten für Syrien und gibt damit dem Druck einiger Mitgliedstaaten nach, die EU-Politik gegenüber Damaskus zu ändern.
Die Sprecherin der EU-Kommission für Außen- und Sicherheitspolitik, Nabila Massrali, bestätigte unlängst, »dass der Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik [Josep Borrell] derzeit die Ernennung eines Sondergesandten für Syrien in Betracht zieht«. Wie das Magazin Politico kürzlich berichtete, ermutigten mehrere EU-Mitglieder die Union, wieder mit Präsident Baschar al-Assad zusammenzuarbeiten, um die Rückkehr von Flüchtlingen zu erleichtern. Diese Entwicklung fällt mit der Rückkehr vieler syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon zusammen, die vor dem Krieg der Hisbollah gegen Israel fliehen.
In den vergangenen Monaten hat die italienische Premierministerin Giorgia Meloni in Abstimmung mit dem österreichischen Bundeskanzler Karl Nehammer die Europäische Union aktiv in Richtung Syrien gedrängt. So führte der österreichische Bundeskanzler Anfang Oktober die 200.000 Menschen, die während des derzeit herrschenden Kriegs die Grenze vom Libanon nach Syrien überquert hatten, als Beweis dafür an, dass Syrien sicher sei: »Syrien ist jetzt dokumentiert sicher in vielen Bereichen.«
Nicht sicher
Einige Mitgliedstaaten, insbesondere Frankreich, lehnten diesen Ansatz jedoch entschieden ab und akzeptierten nach langwierigen Verhandlungen innerhalb des Europäischen Rats die Ernennung eines Sondergesandten, dessen Aufgaben sich auf die Bewältigung der Flüchtlingskrise beschränken würden, wie die saudische Zeitung Asharq Al-Awsat meldete.
Die Direktorin des Nahost- und Nordafrika-Programms beim European Council on Foreign Relations Kelly Petillo sagte, die EU wolle einen Sondergesandten ernennen, um innerhalb des Blocks einen breiteren Konsens in Bezug auf die Syrien-Frage zu erzielen. »Aufgrund der sich verschlechternden Lage in der Region, die immer unhaltbarer wird, besteht jetzt Handlungsbedarf an dieser Front. Es wächst das Gefühl, dass man die Dinge nicht langsam im Hintergrund brodeln lassen kann.«
Bereits im Juli ernannte Italien, das derzeit den Vorsitz der G7 innehat, einen Botschafter in Damaskus, um »Licht ins Dunkel zu bringen«, wie der italienische Außenminister Antonio Tajani damals erklärte. Vor Monaten schon forderten Italien und sieben weitere EU-Mitgliedstaaten in einem Schreiben an den Hohen Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik Josep Borrell eine wirksamere Rolle Europas in Syrien, die dazu beitragen würde, syrische Flüchtlinge zurückzuführen, die sich derzeit in einem EU-Staat aufhalten.
Die den Brief unterzeichnenden Mitgliedstaaten forderten, dass die »Politik der drei Nein« in Bezug auf die Aufhebung der Sanktionen, die Normalisierung der Beziehungen und den Wiederaufbau des Landes ebenso wie der Grundsatz, es sei unmöglich, mit dem derzeitigen Regime Frieden in Syrien zu erreichen, aufgegeben werden.
Zu den Gründen für den aktuellen Druck, die EU-Beziehungen zu Syrien zu überprüfen, sagte der Direktor der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdul Rahman, die italienische Ministerpräsidentin und einige andere europäische Amtsträger seien »davon besessen, syrische Flüchtlinge als Teil einer Politik, die Flüchtlinge und Einwanderer in Europa ablehnt, in ihr Land zurückzuschicken«.
Aber kann Meloni wirklich garantieren, »dass kein Flüchtling, der in sein Land zurückkehrt, verhaftet wird? Selbst wenn diese Person nicht zur Opposition gehört und keine Waffen gegen das Regime getragen hat«, fragte Abdul Rahman, der betonte, dass »Syrien nicht in allen Städten, Dörfern und Gemeinden sicher ist«.
Eine große Anzahl syrischer Flüchtlinge lebt in Europa, wobei allein in Deutschland etwa eine Million untergekommen ist, zusätzlich zu ihrer deutlichen Präsenz in Ländern wie Schweden, den Niederlanden, in Italien, Österreich und Norwegen. Es ist diese Präsenz, die einige EU-Staaten dazu veranlasst hat, eine Änderung der Politik der Europäischen Union gegenüber Syrien als ersten Schritt vor der geplanten Rückkehr der Flüchtlinge in ihr Land zu fordern.