Vor dem Hintergrund des Besuchs des türkischen Präsidenten Erdoğan in Ägypten forderten mehrere Medien die Beilegung der fast ein Jahrzehnt andauernden Meinungsverschiedenheiten. Aber ist dieses Ansinnen realistisch?
Im Laufe des vergangenen Jahrzehnts kam es zwischen der Türkei und Ägypten zu einer Reihe von Konflikten und Zusammenstößen bei verschiedenen Themenbereichen.
Begonnen hatte die Eiszeit zwischen den beiden Ländern mit Ankaras Ablehnung des Regimes, das 2013 durch einen Militärputsch gegen die Recep Tayyip Erdoğan nahestehende Muslimbruderschaft in Ägypten an die Macht kam – einer Ablehnung, die mit verbalen Angriffen auf den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah as-Sisi bei mehr als einer Gelegenheit zum Ausdruck gebracht wurde. Doch auch in anderen Fragen gerieten die beiden Staaten aneinander, etwa in Bezug auf Libyen oder die Abgrenzung der Seegrenzen im östlichen Mittelmeer.
Im Jahr 2021 zeichnete sich jedoch eine Annäherung ab, die mit Sondierungsgesprächen zwischen Beamten der beiden Außenministerien begann und in einem Treffen der beiden Staatspräsidenten am Rande des Endspiels der Fußballweltmeisterschaft in Doha Ende 2022 gipfelte. Die Entwicklungen setzten sich bis zu einem Besuch des türkischen Präsidenten in Kairo in der vergangenen Woche fort.
Am Mittwoch traf Erdoğan im Rahmen seines Ägyptenbesuchs mit seinem Amtskollegen zusammen, wobei eine gemeinsame Erklärung zur Umstrukturierung des türkisch-ägyptischen Rats für strategische Zusammenarbeit unterzeichnet wurde. Die beiden Staatsoberhäupter vereinbarten, dass der ägyptische Präsident im April die Türkei besuchen werde, wobei as-Sisi zu seinem türkischen Amtskollegen sagte: »Lassen Sie uns gemeinsam eine neue Seite zwischen unseren beiden Ländern aufschlagen, die unsere bilateralen Beziehungen bereichert und auf den richtigen Weg bringt.« Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz kündigten die beiden Präsidenten außerdem an, den Handelsaustausch in den nächsten Jahren von drei auf fünfzehn Milliarden Dollar erhöhen zu wollen.
Neustrukturierung der Beziehungen
Der Forscher am ägyptischen Al-Ahram-Zentrum für politische und strategische Studien, Bashir Abd al-Fattah, meintediesbezüglich, die Beziehungen zwischen den beiden Staaten hätten sich nun darauf verlagert, »den Wettbewerb zwischen ihnen auf der Grundlage des gemeinsamen Erfolgs und der Aufteilung der Gewinne in fast allen Bereichen zu managen«. Er denke, dass Erdoğans Besuch in Kairo angesichts der gegenwärtigen Umstände die Bedeutung einer Neustrukturierung der ägyptisch-türkischen Beziehungen und des Wiederaufbaus eines regionalen Sicherheitssystems unterstreiche.
Der Besuch, so al-Fattah abschließend, »könnte ein neues System regionaler Beziehungen begründen, in dem Ägypten und die Türkei die Interaktionen in der Region leiten, insbesondere, nachdem die Fragilität der Beziehungen in der Region offenkundig wurde«.
Der türkische Politologe Samir Salha ist jedoch der Ansicht, es sei noch zu früh, um von der Erzielung eines Konsenses zwischen den beiden Ländern in den zentralen Fragen zu sprechen. Gegenüber der amerikanischen Website Al-Hurra sagte er, »dass nach dem Handschlag nun Vertrauen erreicht werden muss, und danach werden sich die beiden Länder in Richtung Koordination bewegen«.
Salha erklärte, der erste Schritt sei zwar getan, es bestünden jedoch noch einige Differenzen. »Der wichtigste Punkt ist nun«, so der türkische Politologe, »wann die beiden Parteien diese Differenzen diskutieren werden«.
Der ehemalige Berater des türkischen Premierministers, Cahit Toz, sagte, Erdoğans Besuch konnte keine Fortschritte in heiklen Fragen erzielen wie auch kontroverse Themen zwischen den beiden Staaten nicht erörtert worden seien, wobei er jedoch glaube, »dass diese Themen bei den nächsten Treffen eingehender erörtert werden«. Die ägyptisch-türkische Annäherung werde »sich auf den Ebenen der Sicherheit, der Politik und der Wirtschaft positiv auf die Region im Allgemeinen auswirken und wesentlich zur Stabilität und Sicherheit beitragen«.
Ägypten lehnt die türkische Militärpräsenz in Libyen ebenso ab wie den Umstand, dass Ankara Führern der Muslimbruderschaft Unterschlupf gewährt. Gleichzeitig sind die beiden Länder in der Frage der Seegrenzen im östlichen Mittelmeer aneinandergeraten, insbesondere, nachdem Ägypten vor Jahren seine Seegrenzen mit Griechenland festgelegt hat.