„Es erscheint auf den ersten Blick schwer, sich in einem Land wie Ägypten der Religion zu entziehen. Fünfmal am Tag erschallen die Gebetsrufe von Tausenden von Minaretten. Die Moscheen sind voll, genauso die Kirchen. Koransuren sind fast überall zu vernehmen. Muslimische Männer stellen noch immer stolz ihre ‚Rosine‘, jenen braunen Fleck auf der Stirn, der durch das häufige Niederwerfen beim Gebet entstehen soll, zur Schau; koptische Christen ihr eintätowiertes Kreuz am Handgelenk. Weit davon entfernt, eine gottlose Gesellschaft zu sein, scheint die Frömmigkeit in Ägypten auch fünf Jahre nach der verhassten Herrschaft der Muslimbrüder hoch im Kurs zu stehen. Und dennoch schreckte vor einigen Jahren eine Umfrage die religiösen Autoritäten auf. Gut 12 Prozent der Ägypter, attestierte die Azhar-Universität im Jahr 2014, seien Atheisten. Die wichtigste sunnitische Institution des Landes hatte zuvor 6000 Bürger befragt.
Die Regierung in Kairo reagierte, indem sie im selben Jahr eine nationale Kampagne zur ‚Eliminierung des Atheismus‘ ins Leben rief. Kurz darauf erklärte eine staatsnahe Zeitung Atheisten zum zweitgrößten Feind des Landes nach der Muslimbruderschaft. Soziologen, Psychologen und andere Experten sollten sich mit den intellektuellen Wurzeln des ‚Problems‘ befassen, doch Vertreter des Regimes forderten bald drastischere Schritte. Ende 2017 stellte der Chef des Religionsausschusses im ägyptischen Parlament, Amr Hamroush, schließlich einen Gesetzesentwurf zur Kriminalisierung des Atheismus vor. Es stelle eine ‚Verachtung aller Religionen‘ dar, wenn jemand die Religion verlasse, an die er zuvor geglaubt habe, so Hamroush. Über das Strafmaß werde noch beraten. Atheismus, ein Straftatbestand? Bisher gibt es im ägyptischen Gesetz nur einen Blasphemie-Artikel, der die ‚Diffamierung von Religion‘ unter Strafe stellt. Er wurde schon öfters gegen Atheisten angewendet, etwa gegen den bekannten Blogger Albert Saber, der 2012 zu drei Jahren Haft verurteilt wurde, nachdem er auf seiner Website den Schmähfilm ‚The Innocence of Muslims‘ hochgeladen hatte. Weil er sich auf Facebook als Atheist geoutet hatte, landete 2015 auch der 21-jährige Student Karim al-Banna im Gefängnis. Als Zeuge gegen Banna sagte vor Gericht ausgerechnet sein Vater aus.“ (Daniel Steinvorth: „Jenseits von Himmel und Hölle“)