Seit Präsident Abdel Fatah Al-Sisi im Jahr 2013 an die Macht kam, jagt ein Mega-Bauprojekt das nächste. Kritiker bemängeln, dass es sich dabei um Luxusprojekte handle und das Geld an anderer Stelle besser investiert wäre.
Die Kosten für den von Präsident Al-Sisi angeordneten Bauboom können als exorbitant bezeichnet werden. Die neue Hauptstadt aus dem Wüstenboden zu stampfen, ist mit 58 Mrd. Dollar veranschlagt. Der mit russischer Hilfe gebaute Atomreaktor an der Mittelmeerküste wird 25 Mrd. kosten, der Ausbau des Suezkanals hat acht Milliarden verschlungen. Landesweit sollen zweitausend Kilometer Schienennetz mit Hochgeschwindigkeitszügen befahren werden, die Kosten dafür betragen 23 Mrd. Dollar.
Diese und andere Großprojekte wie der welthöchste Turm oder Afrikas größte Kirche mögen ihren »Wow«-Effekt haben. Die Frage ist, ob diese Ausgaben in einem Land mit einer Armutsquote von dreißig Prozent tatsächlich gerechtfertigt sind.
Wer glaubt, der Bauboom käme dem Privatsektor zugute, irrt. Es ist in erster Linie das Militär, das die lukrativen Aufträge abschöpft. Seit Al-Sisis Machtübernahme im Jahr 2013 sind nicht nur die Waffeneinkäufe der ägyptischen Armee rasant angestiegen – sie zählt heute zu den Top fünf der Waffeneinkäufer weltweit –, sondern die Armee weitet ihre Wirtschaftsaktivitäten in immer neue Sektoren aus. Die Palette reicht von Lebensmitteln über Haushaltswaren bis zum Goldabbau und die Baubranche. Vom Militär betriebene Baufirmen waren beim Ausheben der zweiten Fahrrinne am Suezkanal ebenso beteiligt wie seit dem Jahr 2015 am Bau der neuen Verwaltungshauptstadt sechzig Kilometer östlich von Kairo.
Ägypten braucht Devisen
Finanziert wird dieser Bauboom auf Pump, das Geld kommt aus China, Russland oder von der Arabischen Halbinsel. Um ökonomisch überleben zu können, sei Ägypten zusehends von diesen ausländischen Krediten abhängig, schreibt der Thinktank Project on Middle East Democracy (POMED). Die Gesamtverschuldung des Landes betrage 370 Mrd. Dollar und habe sich seit 2010 vervierfacht, sodass die Rückzahlung dieser Schulden an nationale und internationale Geber ein Drittel des Budgets verschlinge. Deshalb kommt POMED zu dem Schluss:
»Ägypten wurde unter Präsident Abdel Fattah Al-Sisi zu einem Bettlerstaat, seine Wirtschaft ist immer stärker von ausländischer Unterstützung, insbesondere von Krediten, abhängig.«
Um seine Schuldner zu bedienen, ist Ägypten auf Devisen angewiesen. Diese spült allen voran der Tourismus in die Staatskasse, gefolgt von Rücküberweisungen ägyptischer Arbeitsmigranten und Einnahmen aus dem Suezkanal. Doch mit dem Tourismus steht es gerade nicht so gut. Nachdem er im Jahr 2019 wieder das Niveau der Jahre vor dem Arabischen Frühling erreichte, stürzten die Einnahmen mit Auftreten der Corona-Pandemie erneut ab. Der Krieg in der Ukraine ließ die Buchungen russischer und ukrainischer Urlauber einbrechen, was ein schwerer Schlag für die Branche ist, machten sie doch vierzig Prozent der Touristen an Ägyptens Stränden aus.
Nachdem diese Devisenquellen nicht mehr ausreichen, setzt Kairo zusehends auf den Ausverkauf des Familiensilbers. Bereits im Jahr 2020 verkaufte Ägypten die Inseln Tiran und Sanafir für vermutete 25 Mrd. Dollar an Saudi-Arabien. Diese unbewohnten Inseln im Roten Meer sind strategisch wichtig: Wer sie besitzt, kann die Einfahrt in den Golf von Aqaba kontrollieren, wo sich der jordanische Hafen Aqaba und Israels Hafenstadt Eilat befinden. Zusätzlich sollen Anteile an Staatsbetrieben und staatliche Projekte im Wert von 40 Mrd. Dollar innerhalb der nächsten drei Jahre privatisiert werden. Dazu zählen neben den Sektoren Transport, Elektrizität und Immobilien auch die Privatisierung der Abwasserent- und Trinkwasserversorgung. Im Ausgleich erhofft sich Kairo neue Kredite vom Internationalen Währungsfonds (IWF), der Privatisierungsprozesse zur Bedingung seiner Kreditvergabe macht.
Kritiker bemängeln, dass zu viele Anteile an Staatseigentum – oft unter ihrem Wert – an ausländische Geldgeber verkauft werden. So hat Abu Dhabi sich für zwei Milliarden Dollar in staatliche Unternehmen und Banken eingekauft. Die chinesische Hafengesellschaft Hutchinson ließ sich die Verwaltung der wirtschaftlich bedeutenden Häfen von Alexandria übertragen.
Bevölkerung verarmt
Die oben zitierte Studie des Thinktanks POMED belegt, wie der Staat einerseits massiv Geld für Luxusprojekte in die Hand nimmt und gleichzeitig die Bevölkerung verarmen lässt: Stagnierende Löhne stehen steigenden Haushaltsausgaben gegenüber, Privatisierungen und Schließungen staatlicher Unternehmen lassen die Zahl der Arbeitslosen steigen, wobei die Jugendarbeitslosenquote bei über 25 Prozent liegt. Gleichzeitig erhöht der Staat die Gebühren für öffentliche Dienstleistungen wie etwa im Bildungssektor beim Schuldgeld und den Lehrbüchern. Ein Fünf-Jahres-Stopp beim Einstellen neuer Lehrer und dem Bau neuer Schulen ließ die Klassenzahlen anschwellen: Die durchschnittliche Schülerzahl liegt bei 49, die meisten öffentlichen Schulen unterrichten wegen der großen Menge an Schülern in zwei Schichten vormittags und nachmittags.
Um mehr Gas am internationalen Markt verkaufen zu können, möchte Ägypten den eigenen Gasverbrauch reduzieren: Bereits im August traten daher Einsparungsmaßnahmen in Kraft, die vorsehen, die Beleuchtung in Straßen, Geschäften und Supermärkten ab dreiundzwanzig Uhr abzustellen. Die Temperaturen bei Klimaanlagen in Supermärkten sollen anstatt der üblichen bis zu zwanzig Grad die Marke von fünfundzwanzig Grad nicht unterschreiten. Ziel ist es, den landeseigenen Stromverbrauch um fünfzehn Prozent zu reduzieren, um dadurch Gas einzusparen, das zur Erzeugung von Strom in den Energiekraftwerken benötigt wird. – Gas, das als Flüssiggas zu einem zehnfach höheren Preis am internationalen Markt verkauft werden kann.
Zusätzlich belastet werden Kairos Staatskassen durch den Krieg in der Ukraine. Der lässt nicht nur die Tourismusindustrie austrocknen, sondern auch die Importpreise für Weizen steigen. Ägypten produziert nur etwa ein Drittel seiner Nahrungsmittel selbst. Im Jahr 2021 stand es an fünfter Stelle jener Länder, die am meisten Weizen importieren. Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich in Ägypten bereits mehr als verdoppelt. Die Situation lässt an die sogenannten »Brotaufstände« denken, die in Ägypten eine lange Geschichte haben. 1977, 2011 und zuletzt 2017 gingen die Menschen auf die Straße, weil die Streichung von Subventionen die Brotpreise explodieren ließ.
Die zitierte POMED-Studie bemängelt, dass die Regierung Al-Sisi den Großteil der Staatseinnahmen für Luxusprojekte und nicht für die Grundbedürfnisse einer wachsenden Bevölkerung verwendet. Al-Sisi verlasse sich auf den »Wow«-Faktor von Großprojekten und Waffeneinkäufen, um seine Legitimität zu untermauern. Sollten die internationalen Geldgeber und Investoren einmal zu dem Schluss gelangen, dass die Erhaltung dieser Regierung den finanziellen Aufwand nicht wert ist, würde das System Al-Sisi in einer Katastrophe mit weitreichenden Folgen enden.