Die iranische Achse könnte durch eine neue Pro-Hamas-Allianz unter der Führung des türkischen Präsidenten ersetzt werden.
Giovanni Giacalone
Türkische Funktionäre erklärten kürzlich, Israel sei zu Unrecht skeptisch gegenüber der neuen Übergangsregierung in Damaskus unter der Führung von Hayat Tahrir al-Sham-Anführer Ahmad al-Sharaa, früher bekannt unter seinem Kampfnamen Abu Mohammad al-Jolani. Laut Ankara ist die Zusammenarbeit mit Damaskus wichtig, um die Stabilität in Syrien aufrechtzuerhalten und dem iranischen Wunsch entgegenzuwirken, das Land in einen neuen Bürgerkrieg zu stürzen.
Ein friedliches und politisch stabiles Syrien wäre in der Tat eine schlechte Nachricht für das iranische Regime. Die sogenannte »Achse des Widerstands«, die den Iran mit dem Libanon verbindet, wurde durch die Offensive der Milizen, die zum Sturz des langjährigen Präsidenten Baschar al-Assad führte, sowie durch die Militäraktion Israels im Libanon, welche die Hisbollah dezimierte, durchbrochen.
Das Mullah-Regime in Teheran ist in der schwächsten Verfassung seit seiner Etablierung im Jahr 1979. Es ist zumindest derzeit nicht in der Lage, den Nahen Osten zu destabilisieren, wie es dies bis vor nicht allzu langer Zeit noch getan hat. Der Druck auf Teheran muss nicht nur aufrechterhalten, sondern noch verstärkt werden, bis das Regime dem Weg Assads folgt. Wie Israels Premierminister Benjamin Netanjahu jüngst in einer Online-Ansprache an die iranische Bevölkerung sagte: »Ihr werdet früher frei sein, als ihr denkt.« Dies ist ein Traum, auf den alle Befürworter von Freiheit und Demokratie hoffen sollten.
Künftiger Staat der Muslimbruderschaft?
In der Zwischenzeit ist gegenüber der neuen Führung in Syrien und ihrem türkischen Unterstützer, der von der AKP geführten Regierung von Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, äußerste Vorsicht geboten. Erst kürzlich hat der israelische Außenminister Gideon Sa’ar einen wesentlichen Aspekt in Bezug auf Erdoğans Türkei und ihre ideologische Verbindung zur Hamas und zu Katar hervorgehoben.
»Es ist wichtig zu verstehen, dass die Distanz zwischen der Hamas und Katar sehr gering ist«, sagte er in einem Interview mit The Jerusalem Post. »Sie befinden sich nicht an entgegengesetzten Enden des Spektrums. Dies muss eingestanden werden, insbesondere angesichts der Ausrichtung Katars auf die Türkei und ihrer gemeinsamen Ideologie der Muslimbruderschaft. … Dies ist etwas, das wir genau beobachten müssen, da es das Potenzial hat, die regionale Dynamik zu beeinflussen.«
Sa’ar meinte auch, dass das Regime in Damaskus im Wesentlichen eine Bande und keine legitime Regierung sei. Es sei nicht in der Lage, einen nachhaltigen Rahmen für das syrische Volk zu schaffen, und das Land sei instabil, da große Gebiete von islamistischen Extremisten kontrolliert würden.
Der Direktor des in Großbritannien ansässigen Thinktanks Islamic Theology of Counter-Terrorism Noor Dahri legte ein klares Profil von al-Sharaa vor und sagte, dieser sei eine »islamistische Führerfigur und nicht säkular«. Der Übergangspräsident werde eine dem syrischen Volk und der Welt gemäßigt erscheinende islamische Verfassung einführen, tatsächlich sei eine solche nichts anderes als eine Muslimbruderschaft–Version des Islams.
Trotz der Aussagen al-Sharaas bezüglich seiner bekundeten Absicht, den Frieden mit Israel aufrechtzuerhalten, darf seine Herkunft aus dem islamistischen Milieu um al-Qaida und seiner Unterstützung seitens der Türkei und Katars nicht vergessen werden.
Ebenfalls zu berücksichtigen ist, dass Erdogan die Hamas offen unterstützt und damit die Beziehungen zwischen Israel und der Türkei mindestens seit dem Jahr 2010 untergräbt. Nach dem von der Hamas angeführten Massaker vom 7. Oktober 2023 hat Erdogan mehrere ihrer Anführer auf türkischem Boden empfangen und die palästinensischen Terroristen als »Freiheitskämpfer«, Mitglieder einer »Befreiungsorganisation« und »Mudschaheddin, die einen Kampf zum Schutz ihres Landes und ihres Volkes führen« bezeichnet. Der türkische Staatschef verglich auch Benjamin Netanjahu mit Adolf Hitler. Die Hamas wiederum, deren Mitglieder laut Erdogan in türkischen Spitälern behandelt werden, ist der palästinensische Ableger der Muslimbruderschaft.
Der sunnitische Geistliche Scheich Osama El-Rifai, der in den Medien oft als »Großmufti der syrischen Opposition« bezeichnet wurde, steht ebenfalls in Verbindung mit der syrischen Muslimbruderschaft. El-Rifai emigrierte im Juni 2012 in die Türkei und begann sowohl hier als auch in Teilen Nordsyriens, die unter der Kontrolle der türkischen Streitkräfte stehen, mit der Regierung Erdogans zusammenzuarbeiten, um ein Narrativ zu fördern, das mit dem politischen islamistischen Diskurs der AKP übereinstimmt.
Neue Achse?
Die Türkei und Katar als weiterer wichtiger Unterstützer der Muslimbruderschaft verurteilten die Besetzung einer Pufferzone in Syrien durch Israel aufs Schärfste und bezeichneten die Aktion als »eine gefährliche Entwicklung«. Dies ist eine interessante Position, bedenkt man, dass Ankara in den letzten Jahren ständig gegen die territoriale Souveränität Syriens verstoßen hat, indem es Truppen stationiert hat, die kurdische Gebiete ins Visier nehmen können, und gleichzeitig pro-türkische und islamistische bewaffnete Gruppen unterstützt.
Es besteht die Gefahr, dass die antiisraelische »Achse des Widerstands« aus dem Iran durch eine neue Pro-Hamas Allianz der Muslimbrüder unter Erdogans Führung ersetzt wird, der sich als neuer Paladin der palästinensischen Sache präsentieren möchte. Dies könnte schließlich zu einer neuen Front gegen Israel von Syrien aus führen, wobei Dschihadisten und bewaffnete pro-türkische Gruppen eingesetzt werden, während Erdogan seinen Einfluss innerhalb der neuen Regierung des Landes festigt.
Es sei daran erinnert, dass der Versuch, Dschihadisten und islamische Extremisten, die mit der Muslimbruderschaft in Verbindung stehen, zu legitimieren, bereits während des sogenannten Arabischen Frühlings unternommen wurde und in Ägypten, Libyen und Tunesien katastrophale Folgen nach sich zog. Es wäre wünschenswert, nicht denselben Fehler noch einmal zu begehen. Israel ist daher zu Recht äußerst vorsichtig gegenüber der Regierung al-Sharaas. Ebenso richtig ist es, dass Israel militärisch in Syrien interveniert, um eine Pufferzone zu schaffen, die seine Sicherheit gewährleistet.
Giovanni Giacalone ist ein in Italien ansässiger Sicherheitsanalyst und Forscher zu islamistischem Extremismus und Terrorismus in Europa. (Der Text erschien auf Englisch zuerst beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)