Die Kritik an der Einladung von Achille Mbembe zur – mittlerweile wegen Corona abgesagten – Ruhrtriennale nimmt zu. Denn der Historiker und Philosoph dämonisiert Israel und relativiert durch einen fragwürdigen Vergleich den Holocaust. Zugleich wird er in einigen Medien in Schutz genommen – mit wenig überzeugenden Argumenten.
Der kamerunische Historiker und Philosoph Achille Mbembe soll bekanntlich auf dem alljährlichen Kulturfestival Ruhrtriennale am 14. August in Bochum die Eröffnungsrede halten.
Dabei hält er Israel in seinen Schriften für einen Apartheidstaat, der „weitaus tödlicher“ agiere als einst Südafrika; er rückte den jüdischen Staat in die Nähe des nationalsozialistischen Deutschland; er fordert eine „weltweite Isolation“ Israels, und er nimmt durch eine Analogiebildung zwischen Shoa und Apartheid eine Relativierung des Holocaust vor (MENA-Watch berichtete).
Nun wird in Politik und Medien die Kritik an seiner Einladung immer lauter.
Auf tönernen Füßen
Mbembe selbst kann das nicht nachvollziehen. „Ich bin kein Mitglied oder Unterstützer des BDS oder sonst einer Organisation, die im israelisch-palästinensischen Konflikt involviert ist“, zitiert ihn die Süddeutsche Zeitung. Er halte „nichts von einem allgemeinen Boykott israelischer Akademiker“ und kenne „keinen ernsthaften Wissenschaftler, der das Apartheidsystem in Südafrika mit dem Holocaust vergleichen“ würde.
Was seine Kritik an der „kolonialen Besatzung“ angehe – damit meint er die Politik Israels im Westjordanland und im Gazastreifen –, ist er überzeugt: „Auch mit sehr viel Fantasie lässt sich daraus kein Antisemitismus ableiten.“
Diese Entgegnung steht auf tönernen Füßen, um es zurückhaltend zu formulieren. Mbembe mag keiner Vereinigung angehören, die zur BDS-Bewegung zählt, aber es ist gewiss nicht so, dass er mit dieser Bewegung so gar nichts zu tun hat und einen Boykott Israels an den Hochschulen ablehnt. Im Jahr 2010 beispielsweise unterzeichnete er einen Aufruf an die Universität in Johannesburg, jede Verbindung zur Ben-Gurion-Universität im Negev abzubrechen. Der akademische Boykott Israels gehört zu den Hauptaktivitäten von BDS.
Zudem geht der Erlös aus dem Buch „Apartheid Israel“, zu dem Mbembe das Vorwort beigesteuert hat, ausweislich des Impressums an die Palestinian Campaign for the Academic and Cultural Boycott of Israel (PACBI), die ein Gründungsmitglied des palästinensischen BDS-Nationalkomitees ist – und damit eine der führenden Vereinigungen der BDS-Bewegung.
Haltlose Kritik mit unlauteren Tricks?
Überdies stützt Mbembe Thesen wie jene, Israel wolle das Leben der Palästinenser in einen „zur Säuberung bestimmten Müllhaufen“ verwandeln, wende „Techniken der materiellen und symbolischen Auslöschung“ an und betreibe eine „fanatische Zerstörungspolitik“ – allesamt vertreten in seinem Aufsatz „The society of enmity“ („Die Gesellschaft der Feindschaft“) – auf BDS-Unterstützerinnen wie Saree Makdisi und Judith Butler.
Den Vergleich zwischen der Apartheid in Südafrika und der Shoa wiederum, den angeblich kein ernsthafter Wissenschaftler vornimmt, hat Mbembe höchstselbst angestellt, im selben Text nämlich, der zugleich das zweite Kapitel seines 2017 bei Suhrkamp erschienenen Buches „Politik der Feindschaft“ bildet. Dieser Vergleich hat ihm beispielsweise vonseiten des deutschen Antisemitismusbeauftragten Felix Klein den Vorwurf eingetragen, den Holocaust zu relativieren.
Mbembe zur Seite gesprungen ist dagegen unter anderem René Aguigah, der Leiter des Ressorts „Literatur, Philosophie, Religion“ bei Deutschlandfunk Kultur. Er findet die Kritik an Mbembe „haltlos“ und sagt, dieser habe keine Gleichsetzung von südafrikanischer Apartheid und Holocaust betrieben.
Mbembe habe zwar geschrieben, beide seien „Manifestationen“ eines „Trennungswahns“, dabei aber deutlich gemacht, dass die Shoa eine „ganz andere Größenordnung“ gehabt und „in einem anderen Kontext“ stattgefunden habe. Damit richtete sich Aguigah unter anderem gegen den Journalisten Alan Posener und dessen Beitrag für Welt Online mit dem Titel „Es reicht mit dem steuerfinanzierten Israelhass!“.
Aguigah wirft Posener „seltsame Lese-Taschenspielertricks“ und einen „verantwortungslosen Umgang mit Zitaten“ vor, weil dieser Mbembes Hinweis auf die „andere Dimension“ der Shoa nicht erwähnt habe.
Posener schreibt allerdings gar nicht, wie Aguigah behauptet, von einer Gleichsetzung der Apartheid mit dem Holocaust bei Mbembe. Vielmehr kritisiert er, dass Mbembe die „besondere Rolle des Antisemitismus im Christentum, Islam und der Moderne“ verkenne, was „eine Verniedlichung des Judenmords“ darstelle, also eine Relativierung.
Das Unterscheiden ist keine Stärke von Mbembe …
Diesen Vorwurf muss sich Achille Mbembe in der Tat gefallen lassen, zumal es offensichtlich ist, dass es ihm bei seinem Vergleich deutlich mehr um die vermeintlichen Gemeinsamkeiten geht als um die Unterschiede.
Daran ändert auch sein kurzer Einschub zur „anderen Größenordnung“ und zum „anderen Kontext“ der Shoa nichts, zumal er dabei nebulös bleibt und der Hinweis schon deshalb wie eine lästige Pflichtübung wirkt.
Darüber hinaus lässt die Formulierung darauf schließen, dass es für Mbembe bloß einen quantitativen aber keinen qualitativen Unterschied zwischen einem auf Separation ausgerichteten Ausbeutungs- und Unterdrückungssystem und der industriell betriebenen Vernichtung von Menschen gibt – womit sich die von Posener konstatierte Relativierung des Holocausts bewahrheitet.
Ohnehin ist das Unterscheiden nicht eben Mbembes Stärke; Analogie sei bei ihm „die höchste Form des Denkens“, wie Jürgen Kaube in einem lesenswerten Beitrag in der FAZ kritisiert.
Und so schreibt Mbembe in „The society of enmity“ auch, „Neger“ und „Jude“ seien früher die bevorzugten „Namen“ für auszugrenzende „Objekte“ gewesen; heute dagegen kenne man „Neger“ und „Juden“ unter anderen Namen: „Islam, der Muslim, der Araber, der Ausländer, der Einwanderer, der Flüchtling, der Eindringling, um nur einige zu nennen“.
Rassismus und Antisemitismus, Apartheid und Auschwitz, Trennzaun und Vernichtungslager, es kommt alles irgendwo auf das Gleiche hinaus bei ihm. Einen Verweis auf „gemeinsame Grundprinzipien“ nennt das Jörg Häntzschel in der Süddeutschen Zeitung, der gleich noch ein paar Auszeichnungen erwähnt, die Mbembe erhalten hat, als angeblichen weiteren Beleg dafür, dass dieser kein Antisemit sein kann. Als ob es so einfach wäre.
… es sei denn
Wenn es um den jüdischen Staat geht, wird Achille Mbembe dann aber eben doch konkret und unterscheidungsfreudiger. Die „apokalyptischen und katastrophalen Elemente“, die dem „israelischen Trennungsprojekt“ zugrunde lägen, die „Auswirkungen des israelischen Projekts auf den palästinensischen Körper angesichts seines ‚Hi-Tech‘-Charakters“, die israelischen Techniken der Zerstörung und Auslöschung – all das sei „weitaus beeindruckender als die relativ primitiven Operationen“ des Apartheidregimes in Südafrika.
Auch im Vorwort zu „Apartheid Israel“ schreibt Mbembe, die gegenwärtige israelische „Apartheid“ sei „weitaus tödlicher“ als die südafrikanische in der Vergangenheit.
Eine dröhnende Dämonisierung Israels
„Die Besetzung Palästinas ist der größte moralische Skandal unserer Zeit“, heißt es dort weiter, so, als hätte es etwa den Bürgerkrieg in Syrien oder die Schlächtereien des Islamischen Staates zu der Zeit, als Mbembe seinen Text verfasste, nicht bereits gegeben.
Für den Autor folgt aus seinem Verdikt jedenfalls: „Da alles, was sie [die Besatzer Palästinas] anzubieten bereit sind, ein Kampf bis zum Ende ist; da sie bereit sind, den Weg bis an sein Ende zu gehen – Gemetzel, Zerstörung, schrittweise Vernichtung –, ist die Zeit für weltweite Isolation gekommen.“
Zumal der Gazastreifen, so hat es Mbembe in einem Vortrag am 12. Mai des vergangenen Jahres im Düsseldorfer Schauspielhaus formuliert, von Israel „in einer Weise abgeschottet“ werde, „die ihn letztlich zu einem Gefängnis macht“, begleitet „von periodischen militärischen Eskalationen und dem ständigen Einsatz extralegaler Tötungen“ sowie „einer speziellen Biopolitik der Bestrafung“.
Zu Recht hält Stefan Laurin in seinem Text für die Ruhrbarone dazu fest:
„Für einen Historiker ist das ein fast schon erschreckend unhistorischer Text, denn er hinterfragt nichts. Mbembe macht sich nicht die Mühe, nach Ursachen zu suchen, sondern arbeitet alleine mit Unterstellungen.
Die Menschen in Gaza leben in der Situation, in der sie leben, weil die Hamas Krieg gegen Israel führt, weil von Gaza aus Raketen abgeschossen werden, Terroristen durch Tunnel versuchen, auf das Territorium des Nachbarlandes zu kommen, um Anschläge zu verüben.
Israel hat an einer Blockade Gazas kein Interesse – sie ist ein Mittel in einem Krieg, den Israel nicht begonnen hat, aber nicht verlieren will. Israel hätte lieber Nachbarn wie Belgien, die Niederlande und Österreich statt Gaza.
Der Krieg ist eine Belastung für das Land, kein Quell irgendeines irgendwie gearteten rassistischen Frohsinns. Ein friedliches Gaza, in dem sich Unternehmen ansiedeln, Touristen, auch aus Israel, Bier an am Mittelmeer gelegenen Strandbars trinken und mit dem man Handel treiben kann, wäre viel mehr in Israels Interesse.“
Mbembe geht es um Versöhnung?
Es gehe Achille Mbembe „vor allem um so etwas wie Versöhnung“, glaubt René Aguigah in einem Gespräch mit Deutschlandfunk Kultur. Ein erstaunliches Fazit, wenn man liest, wie sich Mbembe über den jüdischen Staat auslässt, den er weltweit isolieren will: überaus dämonisierend und damit auch delegitimierend, den Rahmen jeder vernünftigen Kritik sprengend.
Auch mit sehr viel Fantasie lasse sich aus seinen Äußerungen kein Antisemitismus ableiten, behauptet der Historiker und Philosoph. Dabei benötigt es gar keine Fantasie, um den israelbezogenen Antisemitismus in seinen Ausführungen zu erkennen, wie auch eine Verniedlichung der Shoa durch eine Parallelisierung mit gleichsetzendem Charakter.
Dass er Israel durch seine dröhnende Dämonisierung, die im Vorwurf der Auslöschung und Vernichtung der Palästinenser gipfelt, faktisch die Praktiken der Nationalsozialisten vorwirft, kommt noch hinzu. Dass seine Verteidiger dazu nichts sagen, spricht Bände.