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Die Abraham-Abkommen: Ein Paradigmenwechsel und die deutsche Reaktion (2/2)

Heiko scheint aus den Abraham-Abkommen keinerlei Schlüsse zu ziehen. (© imago images/photothek)
Heiko scheint aus den Abraham-Abkommen keinerlei Schlüsse zu ziehen. (© imago images/photothek)

Für die deutsche Nahostpolitik gilt trotz der Abraham-Abkommen und der Veränderungen in der Region: Weiter wie bisher! Zweiter Teil einer Serie von Jörg Rensmann.

Wie im ersten Teil dieses Artikels ausgeführt, spielte die iranische Bedrohung für das Zustandekommen der Abraham-Abkommen eine entscheidende Rolle – eine globale und regionale Bedrohung, deren Bedeutung von der deutschen Politik nach wie vor falsch eingeschätzt und bestenfalls teilweise erkannt wird.

Dass iranische Oppositionelle in Europa an Leib und Leben gefährdet sind, spielt in der öffentlichen wie politischen Wahrnehmung in Europa nahezu keine Rolle. Der Iran betreibt staatlichen Terrorismus; seine Pseudo-Diplomaten sind als Agenten zur Vorbereitung von Terroranschlägen in ganz Europa unterwegs.

Insbesondere der tiefsitzende Antisemitismus des iranischen Regimes wird oftmals als bloße Rhetorik abgetan und als handlungsleitendes Motiv nicht ernst genommen. Dabei sollte man die Wirkungsmacht des Antisemitismus aus der deutschen Geschichte heraus besser kennen: Gerade der Nachfolgestaat des Nationalsozialismus sollte sich die Frage stellen, ob er realpolitisch tatsächlich genug tut, um einen atomar bewaffneten Iran, der eine existentielle Bedrohung für den jüdischen Staat darstellen würde, zu verhindern. Das Argument, das oberste Ziel müsse die Vermeidung eines Krieges sein, greift nicht, denn der Krieg zwischen Israel und dem iranischen Regime mitsamt seinen Stellvertretern (etwa im Libanon und in Syrien) findet ja längst schon statt.

Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik hat in einem Arbeitspapier vom Januar dieses Jahres für die Bundesakademie für Sicherheitspolitik deutlich ausgesprochen, was eigentlich Common Sense sein sollte:

„Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler haben in den letzten Jahren häufig argumentiert, dass es in erster Linie gelte, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Iran und seinen Gegnern zu verhindern. Das noch wichtigere Interesse der Bundesrepublik sollte aber sein, eine nukleare Bewaffnung von Regionalstaaten zu verhindern.

Notwendige Konsequenz dieser Interessendefinition könnte es im Extremfall sein, auch einen Militärschlag der USA und/oder Israels gegen Iran zu unterstützen, falls dieser notwendig werden sollte, um eine nukleare Bewaffnung des Landes zu verhindern. Eine deutlichere Formulierung dieses Interesses könnte auch dazu dienen, den Druck auf Iran zu erhöhen, der in den letzten Jahren allzu oft versucht hat, Uneinigkeit zwischen Europa und die USA zu schüren.“

Europa blieb außen vor – und Deutschland?

Die europäische Außenpolitik war an den jüngsten Fortschritten im Nahen Osten, konkret an den Abraham-Abkommen, nicht beteiligt. Kerstin Müller, ehemalige Staatsministerin im Auswärtigen Amt und Senior Associate Fellow der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, bezeichnete die Vereinbarungen zwischen Israel, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain als „Meisterstück der Diplomatie“, das gezeigt habe, dass die EU im Nahen Osten außen vor geblieben und „von der Entwicklung überrollt“ worden sei.

Doch ist diese Einsicht bislang eine Minderheitenposition geblieben. Speziell die deutsche Außenpolitik macht im Hinblick auf den Nahen Osten weiter, als habe es die tiefgreifenden Veränderungen der letzten Jahre und die Abraham-Abkommen nicht gegeben. Das wird deutlich, wenn man auf zwei wichtige Themen in der Nahostpolitik wirft: auf den Atomstreit mit dem Iran und auf den palästinensisch-israelischen Konflikt.

Beispiel Iran

In einem Interview äußerte sich der deutsche Außenminister Maas Ende letzten Jahres zum Konflikt über das iranische Atomprogramm: „Es muss ein Signal geben“, gab er gegenüber dem Spiegel zu Protokoll: „Entscheidend wird sein, ob die USA die Wirtschaftssanktionen gegen Iran lockern.“ Vorbedingung für Gespräche müsse also ein einseitiger Schritt der USA sein, die hier in der Pflicht stehen sollen. Von konkreten iranischen Schritten war hingegen nicht die Rede.

Zwar betonte Maas, dass eine „Rückkehr zum bisherigen Abkommen (…) ohnehin nicht ausreichen“ werde und es „eine Art ‚Nuklearabkommen Plus‘“ geben müsse, doch machte er nicht die leiseste Andeutung, wie ein solches zu erreichen wäre. Kein Atomprogramm, kein Programm für ballistische Raketen, und eine „andere Rolle“ des iranischen Islamisten in der Region, all das wäre schön. Aber wie das erreicht werden und worin diese „andere Rolle“ für das theokratische Regime bestehen soll, darüber äußerte Maas sich mit keinem Wort – außer dass er überzeugt ist, dass der Weg der USA, das Regime unter Druck zu setzen, falsch sei.

Darüber hinaus ging er darüber hinweg, dass man nicht mehr darüber spekulieren muss, was passieren wird, wenn die Sanktionen gegen den Iran aufgehoben würden, denn die Probe aufs Exempel wurde nach dem Atomabkommen von 2015 gemacht: Das iranische Regime hat noch mehr Geld und Ressourcen in seine regionalen Hegemonialpläne gepumpt und ist deutlich aggressiver aufgetreten. Warum er davon ausgeht, dass die erneut freiwerdenden finanziellen Mittel beim zweiten Mal anders als zur Durchsetzung der destruktiven Agenda des Regimes genutzt würden, bleibt Maas‘ Geheimnis.

Und selbstredend erwähnte der Außenminister die vom Iran und seinen Stellvertretern wie der Hisbollah im Libanon angestrebte Auslöschung jüdischer Souveränität nicht.

Kurz gesagt: Maas gesteht zwar ein, dass eine Rückkehr zum Atomabkommen von 2015 nicht ausreichen kann, hat aber keinerlei sinnvolle Vorschlag zu bieten, wie darüber hinaus gegangen werden könnte. Im Atomstreit mit dem Iran steht die deutsche Außenpolitik praktisch genau dort, wo sie schon vor sechs Jahren gestanden ist. Lerneffekte aus den Erfahrungen seither? Gleich null.

Vier angeblich wichtige Außenminister

Ein ähnlicher Befund muss auch der deutschen Haltung im palästinensisch-israelischen Konflikt ausgestellt werden – wobei die Weigerung, die zum Teil erheblich veränderten Rahmenbedingungen zur Kenntnis zu nehmen und sich von hoffnungslos überholten Vorstellungen zu verabschieden, hier sogar noch absurder anmutet.

Die Bundesregierung hat auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2020 das sogenannte Format der „Münchner Vier“ miteingerichtet, um mit Frankreich, Jordanien und Ägypten im Rahmen regelmäßiger Treffen Fortschritte im nahöstlichen Friedensprozess zwischen Israelis und Palästinensern zu erörtern. Im Rahmen dieses Formats hat man sich bisher mehrmals getroffen, zuletzt Anfang des Jahres in Kairo, das nächste Treffen soll in Paris stattfinden. In der Nahostpolitik der Bundesrepublik spielen diese Zusammenkünfte eine nicht unbedeutende Rolle, bieten sie doch zumindest die Gelegenheit, auf internationaler Bühne Eckpunkte dieser Politik zu betonen.

Deshalb ist es nicht uninteressant, sich das Abschlussdokument des Treffens in Kairo anzusehen, das am 11. Januar 2021 stattfand, also gut vier Monate nach der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen in Washington. Ob dieser Paradigmenwechsel sich in der Verlautbarung der vier Außenminister niedergeschlagen hat?

Punkt 2 der Erklärung lautet:

„Sie [die Außenminister Deutschlands, Frankreichs, Jordaniens und Ägyptens, JR] erinnerten an die in ihrer gemeinsamen Erklärung vom 24. September 2020 anlässlich ihres Treffens in Amman niedergelegten Grundsätze und brachten ihre feste Entschlossenheit zum Ausdruck, alle Bemühungen zur Herbeiführung eines gerechten und dauerhaften Friedens auf der Grundlage des Völkerrechts, der einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen und der vereinbarten Parameter, wie in der Arabischen Friedensinitiative in Erinnerung gerufen, zu unterstützen.“

Mit der arabischen Friedensinitiative ist, wie im ersten Teil dieses Artikels erwähnt, die Initiative der Arabischen Liga von 2002 gemeint, die ursprünglich von Saudi-Arabien initiiert wurde. Sie enthielt keine eindeutige Zurückweisung der palästinensischen Forderung nach einer „Rückkehr“ von inzwischen 5,7 Millionen Palästinensern – Flüchtlingen und Generationen von Nachkommen – in den Staat Israel, was nichts anderes als das Ende jüdischer politischer Souveränität bedeuten würde.

Warum stützt sich das Auswärtige Amt so prominent auf eine fast 20 Jahre alte arabische Initiative, in der das angebliche Rückkehrrecht zumindest nicht als obsolet betrachtet wird? Die dauerhafte Integration der Palästinenser in die arabischen Länder, in denen sie seit Generationen leben, lehnte die arabische Friedensinitiative explizit ab, obwohl sich die meisten unbefangenen Beobachter einig sind, dass dies der erfolgversprechendste, wenn nicht gar einzige realistische Weg zur Lösung des palästinensischen „Flüchtlingsproblems“ wäre. Warum verleiht das Auswärtige Amt Forderungen den Anschein von Legitimität, die nichts zum Frieden, dagegen aber viel zur Aufrechterhaltung des Konflikts beitragen?

Unter Punkt 3 des Abschlussdokuments vom 11. Januar ist zu lesen:

„Sie [die Außenminister, JR] betonen, dass die Beilegung des israelisch-palästinensischen Konflikts auf der Grundlage der Zweistaatenlösung eine unabdingbare Voraussetzung für einen umfassenden Frieden in der Region ist. Sie betonten ferner ihr Eintreten für eine verhandelte Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen vom 4. Juni 1967 und der Resolutionen des VN-Sicherheitsrats, die die Entstehung eines unabhängigen und lebensfähigen palästinensischen Staates gewährleistet, der neben einem sicheren und anerkannten Staat Israel besteht.“

Dumm nur, dass die Abraham-Abkommen nur wenige Monate vorher das Gegenteil bewiesen haben: dass nämlich die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und arabischen Staaten eben nicht an eine Lösung des palästinensisch-israelischen Konfliktes geknüpft ist, so wünschenswert letztere auch sein mag.

Die Außenminister sprechen zwar vom „sicheren und anerkannten Staat Israel“, führen das aber ad absurdum, indem sie sich auf die „Grenzen vom 4. Juni 1967“ berufen. Damit ist die sogenannte Grüne Linie zwischen Israel und dem vor dem Sechstagekrieg 1967 von Jordanien widerrechtlich annektierten Westjordanland gemeint.

Ein restloser israelischer Rückzug auf diese Linie, der neben der Aufgabe sämtlicher israelischer Siedlungen auch das Ende einer israelischen Militärpräsenz im Jordantal und an anderen neuralgischen Punkten bedeuten würde, ist mit der Wahrung der israelischen Sicherheit nicht in Einklang zu bringen. Denn er würde das Verschwinden jenes Sicherheitspuffers bedeuten, auf den Israel angesichts der fehlenden strategischen Tiefe des israelischen Kernlandes angewiesen ist, das an seiner engsten Stelle gerade einmal 14 Kilometer breit ist.

Erziehung zum Hass – mit freundlicher Unterstützung aus Deutschland

Unter Punkt 10 des Statements der Außenminister in Kairo heißt es über die für Palästinenser zuständige Flüchtlingsorganisation:

„Sie [die Außenminister, JR] brachten ihre Wertschätzung der unverzichtbaren Rolle des Hilfswerks der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) bei der Bereitstellung humanitärer Hilfe und grundlegender Dienste für die palästinensischen Flüchtlinge zum Ausdruck. Sie riefen die internationale Gemeinschaft auf, ihre Zusagen gegenüber dem UNRWA auch zu erfüllen und der Organisation damit zu helfen, die derzeit bestehende dramatische Unterfinanzierung zu überwinden.“

Das überrascht insofern nicht, als Deutschland stolz darauf ist, einer der größten staatlichen Spender für diese als „unverzichtbar“ bezeichnete UN-Organisation zu sein. Ausgeblendet wird dabei allerdings, dass es neben der Bereitstellung humanitärer Hilfe bekanntlich auch eine viel dunklere Seite der UNRWA gibt.

Denn das Hilfswerk ist neben seinen wohltätigen Aufgaben auch für die Bildung der unter seinem Dach versammelten Palästinenser zuständig. Sie betreibt eigene Schulen und setzt in den palästinensischen Gebieten sowohl eigenes Lehrmaterial ein wie solches, das vom Bildungsministerium der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) verantwortetet wird. Die PA handelt hier vollkommen autonom und in eigener Verantwortung. Das Geld für den palästinensischen Bildungssektor kommt aus Europa, die deutsche Bundesregierung zahlt etwa palästinensische Lehrergehälter und fördert auch einzelne Bildungsprojekte in den palästinensischen Gebieten.

Sowohl die PA als auch die UNRWA setzen allerdings im besonders sensiblen Bereich der Schulbildung für Kinder und Jugendliche Lehrmaterialien ein, die nach wie vor den international anerkannten UNESCO-Kriterien für Schulbücher nicht genügen. Studien belegen zweifelsfrei, wie palästinensische Schüler systematisch zum Hass auf Israel, zur Befürwortung von Terror und Gewalt sowie zur Ablehnung von Frieden und Koexistenz erzogen werden. Der antiisraelische Hass wird in Zeiten der Corona-Krise auch online verbreitet. [1]

Der Bundesregierung sind diese Zustände seit spätestens vier Jahren bekannt, dagegen getan hat sich bisher nichts. Weiterhin gibt sie viel Geld aus, ohne von ihren palästinensischen Partnern eine verbindliche und überprüfbare Reform des palästinensischen Schulcurriculums einzufordern. Während sich nach der Unterzeichnung der Abraham-Abkommen die Lehrpläne und -inhalte mehrerer arabischer Länder zum Besseren zu verändern beginnen, bleibt bei den Palästinensern alles beim Alten.

Und statt auf eine Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems hinzuarbeiten, ist die Bundesregierung stolz auf ihre Förderung der UNRWA, die genau das Gegenteil tut, indem sie eine palästinensische Generation nach der anderen indoktriniert, dass die einzige Lösung für sie in der „Rückkehr“ nach Israel bestünde.

Die Frage, wie eine Friedenslösung gelingen soll, wenn die palästinensische Bevölkerung bereits von Kindesalter an von der eigenen politischen Führung – und von der größten Unterorganisation der Vereinten Nationen – zu Hass und Gewalt erzogen wird, beantwortet die Bundesregierung nicht.

Nach den Abraham-Abkommen

Um dem sich aufdrängenden Eindruck entgegenzuwirken, Deutschland spiele im Nahost-Friedensprozess überhaupt keine Rolle, wies Außenminister Maas in seinem Spiegel-Interview darauf hin, dass es ja nach dem Abschluss der Abraham-Abkommen ein Treffen mit seinen Amtskollegen aus den Emiraten und aus Israel am Holocaust-Mahnmal in Berlin gegeben habe. Dazu bemerkte er auch im Rahmen eines Grußwortes an eine Konferenz des israelischen Institute for National Security Studies am 27. Januar dieses Jahres, dem Holocaust Gedenktag:

„Ohne dass es vieler Worte bedurfte, konnten wir unseren Freunden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten zeigen, wo der Staat Israel seinen Ursprung hat.“

Die den Grußworten von Maas zuhörenden Israelis war wahrscheinlich einigermaßen erstaunt von dieser Aussage. Der Staat Israel hat sich nach der von Deutschland in Gang gesetzten systematischen Ermordung der europäischen Juden als umso dringendere Notwendigkeit erwiesen, als die Zionisten es schon vor dem Holocaust wussten. Aber er hat seinen Ursprung ganz gewiss nicht in der Shoah, sondern in der jahrtausendealten jüdischen Präsenz in und der historisch-religiösen Verbindung der Juden zu dem Land, die im Zionismus als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts der jüdischen Nation als Reaktion auf den europäischen Antisemitismus Ausdruck fand.

Im gleichen Grußwort führte der deutsche Außenminister zum palästinensisch israelischen Konflikt aus:

„Wir sehen sehr wohl, wie die Chancen für eine Zweistaatenlösung mit jedem Akt oder Aufruf zur Gewalt schwinden – und auch mit jedem neuen Gebäude, das in den Siedlungen im Westjordanland errichtet wird. Deshalb fordern wir die Einstellung der Aktivitäten in Giv‘at HaMatos [ein Teil von Ost-Jerusalem, JR].“

Man beachte die Akzentsetzung: Der palästinensische Terrorismus wurde von Maas nicht klar benannt, dafür scheint er den Bau von Häusern als zumindest genauso großes Friedenshindernis zu bewerten wie die Ermordung unschuldiger Menschen.

Warum hat Maas, wenn er die Einstellung von israelischen Siedlungsaktivitäten forderte, nicht auch konkret von der Palästinensischen Autonomiebehörde verlangt, ihre Förderung und Finanzierung des Terrors gegen Israel einzustellen? Die von Maas an den Tag gelegte Ausgewogenheit verdeckt die Realität: Gehören etwa Aufrufe zur Gewalt und die Rechtfertigung von Terrorismus genauso zum israelischen Schulcurriculum, wie sie in palästinensischen Schulen gang und gäbe sind?

Und wie gedenkt die Bundesregierung mit der PA für den Fall umzugehen, sollte die Hamas die anstehende Parlamentswahl genauso so gewinnen, wie sie es schon 2006 getan hat? Würde Deutschland mit einer PA-Regierung zusammenarbeiten, an der die Hamas beteiligt ist, die immerhin auch von der EU als Terrororganisation eingestuft wird und in ihrer Charta keinen Zweifel an ihren antisemitischen Zielen aufkommen lässt? Oder werden Deutschland und die EU die Kooperation beenden sowie die Finanzierung einer von Terroristen geführten Regierung stoppen?

Gefangen im Gestern

Egal, ob es um das iranische Atomprogramm oder um den palästinensisch-israelischen Konflikt geht: Zu beiden Themen vertritt die deutsche Außenpolitik Positionen, die nicht auf der Höhe der Zeit sind.

Im Atomstreit mit dem iranischen Regime kann die von Außenminister Maas vertretene Linie im besten Fall bloß dazu führen, in irgendeiner Form zu einem Abkommen zurückzukehren, das schon zum Zeitpunkt seines Abschlusses 2015 massive Mängel aufwies und ein untaugliches Mittel bleibt, den Iran davon abzuhalten, die Bombe in seine Hände zu bekommen. Die Chancen, dass mit Maas‘ Politik eine Verbesserung, Ausweitung oder Verlängerung dieses Abkommens erreicht werden kann, sind gleich null, und er unternimmt nicht einmal den Versuch, der aggressiven Hegemonialpolitik des iranischen Regimes etwas entgegenzusetzen oder die Demokratiebewegung im Iran zu unterstützen.

Im Falle des palästinensisch-israelischen Konflikts ignoriert die deutsche Außenpolitik die tiefgehenden Veränderungen in der der Region, die in den Abraham-Abkommen Ausdruck fanden, und wiederholt die abgeschmackten Floskeln, die schon seit mindestens 20 Jahren eine nichts als Scheitern produzierende Politik begleiten. Deutschland bleibt einer Politik von gestern treu, die nichts zu einem möglichen Frieden beigetragen hat und deren Forderungen immer surrealer werden.

Als wichtiger Geldgeber für die PA und die UNRWA könnte Deutschland sein Gewicht in die Waagschale werfen, um dringend erforderliche Veränderungen insbesondere im palästinensischen Schuld- und Bildungssystem in die Wege zu leiten. Bisher nimmt es diese Verantwortung nicht wahr.

Die Änderungen, die in der Region vor sich gehen, finden ohne deutsche Beteiligung statt und erwecken, wie es manchmal den Eindruck macht, nicht einmal das Interesse der deutschen Außenpolitik.

(Jörg Rensmann ist Programmdirektor des Mideast Freedom Forum Berlin. Lesen Sie hier Teil 1 dieses Artikels.)


[1] Sehen Sie dazu Rensmann, Jörg: Erziehung zum Hass speziell in Coronazeiten, in: Schalom. Das Magazin der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Berlin und Brandenburg e.V. (2020), S. 18-19.

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