Auch die Hamas weiß, dass der wahre Grund für die Absage die Angst von Mahmud Abbas war, die Wahlen wie schon 2006 wieder zu verlieren.
Yaakov Lappin
Die vergangene Woche vom Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), Mahmoud Abbas, getroffene Entscheidung, die Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat zu „verschieben“ – sie also im Grunde genommen abzusagen – markiert den Beginn einer neuen Phase sich verschlechternder Beziehungen zwischen den beiden rivalisierenden Bewegungen Fatah und Hamas.
In den letzten Tagen haben ranghohe Mitglieder der Terrororganisation Hamas bereits damit begonnen, ihre aufrührerischen Äußerungen zu verstärken und um gegen die von der Fatah geführte PA zu hetzen.
Hamas will das Westjordanland übernehmen
„Die Hamas hat ihre Bemühungen nie eingestellt, die Palästinensische Autonomiebehörde zu untergraben und sich im Westjordanland zu konsolidieren. Und sie hat auch ihre militärischen und terroristischen Aktivitäten nie aufgegeben“, sagt Professor Boaz Ganor, Gründer und geschäftsführender Direktor des International Institute for Counter-Terrorism in Herzliya, gegenüber JNS.
Während die Hamas Pragmatismus zeigen kann und ihre Politik – im Gegensatz zu ihrer fundamentalistischen Ideologie – von Zeit zu Zeit den momentanen Gegebenheiten anpasst, ist sie nie von ihrem Ziel abgewichen, die Westbank zu infiltrieren und zu übernehmen. Das feste Ziel der Hamas nach der gewaltsamen Übernahme des Gazastreifens 2007 ist es laut Ganor, „die Institutionen der PA und der PLO im Westjordanland zu übernehmen und damit die totale Hegemonie in den palästinensischen Gebieten zu erlangen.“
Die Hamas arbeitet ständig auf diese Ziele hin, auch wenn sie gleichzeitig mit den Auswirkungen des Coronavirus im Gazastreifen ebenso zu kämpfen hat wie mit der hohen Arbeitslosigkeit und innerer Kritik an ihrer Verwaltung der Küstenenklave mit zwei Millionen Einwohnern. Unter diesen Bedingungen kann sich die Hamas nicht in eine neue militärische Auseinandersetzung mit Israel stürzen, sondern sie arbeitet geduldig daran, ihre Macht in der Westbank zu konsolidieren.
„Mehr als alles andere ist es die Zersplitterung der Fatah-Bewegung, der Mangel an Führung durch Abbas sowie sein fortgeschrittenes Alter und sein Gesundheitszustand – und die Tatsache, dass er keinen Nachfolger ernannt hat –, die in den Augen vieler den Sieg der Hamas sicherstellen, selbst wenn er nicht zum erwarteten [Wahl-]Termin eintritt“, sagte Ganor.
Dennoch hält die Hamas an ihrer Forderung fest, dass die Wahlen abgehalten werden müssen und sieht Abbas’ Entscheidung, sie zu verschieben, als einen Versuch, das Ende der Fatah-Herrschaft hinauszuzögern, fügte er hinzu.
In diesem Zusammenhang, so Ganor weiter, „befeuert Hamas die Kritik an Abbas an und versucht, sich an ihrer Spitze zu setzen die palästinensische Straße im Westjordanland zu entflammen. Der Fastenmonat Ramadan und der nächste Woche stattfindende Jerusalem-Tag bieten der Hamas hervorragende Gelegenheiten, das Feuer zu schüren. Jerusalem und die Al-Aqsa-Moschee haben sich immer wieder als wirksame Auslöser für Terrorwellen und gewalttätige Proteste erwiesen.“
„Dementsprechend scheint es, dass die Hamas in der Westbank in den kommenden Wochen an zwei Fronten operieren wird – die Kritik und die Proteste gegen die Palästinensische Autonomiebehörde zu verschärfen und eine militärisch-terroristische Eskalation gegen Israel einzuleiten“, fügte Ganor hinzu. Die dienstags veröffentlichte direkte Botschaft des Kommandanten des militärischen Flügels der Hamas, Muhammed Deif, in der er Israel warnte, weitere Unruhen in Ost-Jerusalems würden dazu führen, dass Israel einen „schweren Preis“ zahlen wird, ist „Ausdruck der Eskalationsbereitschaft der Hamas und ein Versuch, die Fatah auszumanövrieren“, sagte Ganor.
Warum die USA über die Wahlverschiebung nicht besorgt sind
Ely Karmon, ein leitender Wissenschaftler am International Institute for Counter-Terrorism, schätzt ebenfalls, dass die Chancen hoch sind, dass sich die Beziehungen zwischen Hamas und Fatah verschlechtern werden. „Die Hamas hatte angesichts der Spaltung in den Reihen der Fatah bereits einen Wahlsieg ins Auge gefasst“, sagt Karmon und bezieht sich dabei auf das geplante Antreten von drei verschiedenen und rivalisierenden Listen der Fatah-Partei, bevor die Wahlen schließlich abgesagt wurden.
Karmon erinnerte daran, dass die Hamas 2006 die Wahl zum palästinensischen Parlament gewann und die Fatah schlug. „Gegen Ende der Trump-Ära brachte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan die beiden Seiten nach Ankara, um eine Vereinbarung zwischen ihnen zu vermitteln. Diese war fast unterzeichnet, aber sobald [Joe] Biden zum [US-Präsidenten] gewählt wurde, machte Abbas eine ‚Kehrtwende‘, weil er wusste, dass sich die amerikanische Position geändert hatte, was er als Vorteil für sich betrachtete.“
Es war ein Gefühl der Isolation unter der Trump-Administration, dass Abbas dazu brachte, sich der Hamas anzunähern, bevor er sich unter Biden wieder von ihr entfernte. „Die USA scheinen momentan nicht allzu besorgt über die Absage der Wahlen zu sein. Vielleicht haben die US-amerikanischen und israelischen Geheimdienste die politischen Entscheidungsträger davon überzeugt, dass die sehr reale Gefahr besteht, die Hamas könnte durch einen Wahlsieg die Westbank erobern. Auch Ägypten scheint über die Absage nicht sonderlich beunruhigt zu sein, obwohl sie zwischen den beiden Seiten vermitteln.“
Derzeit seien „die Möglichkeiten der Hamas im Westjordanland begrenzt“, sagte Karmon, vor allem wegen der bestehenden Sicherheitskooperation zwischen der PA und Israel.
Der inhaftierte Fatah-Terrorist Marwan Barghouti, der eine eigene Fatah-Liste gründete, und der in Abu Dhabi lebende Muhammad Dahlan, ein ehemaliges Fatah-Mitglied und Ex-Chef der Fatah-Sicherheitskräfte in Gaza, der ebenfalls eine eigene Liste gründete, sind von der Absage wahrscheinlich enttäuscht, obwohl nicht klar ist, wie es ihnen im Falle eines Wahlsiegs der Hamas ergangen wäre.
Karmon zieht den Schluss, dass „die Absage der Wahlen ein notwendiger Schritt für die Stabilität der PA-Herrschaft war, besonders für Abbas persönlich. Er hätte bereits viel früher absagen können, aber es ist einfacher für ihn, die Absage auf Israels Weigerung zu schieben, Wahlen in [Ost-]Jerusalem zuzulassen.“
(Der Artikel „After Abbas cancels elections, relations between Fatah and Hamas set to deteriorate“ ist zuerst beim Jewish News Syndicate erschienen. Übersetzung von Alexander Gruber.)