A. B. Jehoschua: Tod eines großartigen Literaten

Abraham B. Jehoschua (© imago images/Independent Photo Agency Int.)
Abraham B. Jehoschua (© imago images/Independent Photo Agency Int.)

Mit Abraham B. Jehoschua hat Israel einen genialen Schriftsteller, überzeugten Israeli und kritischen Geist verloren.

Am vergangenen Dienstag verstarb der bekannte israelische Schriftsteller A. B. Jehoschua. Obwohl das Ableben des 85-Jährigen nicht unerwartet kam und er selbst seinen Tod mittlerweile sogar herbeigewünscht hatte, löste die Nachricht landesweit tiefe Trauer aus. Buli, wie Jehoschua von seinen Fans und Freunden liebevoll genannt wurde, erfreute sich in der israelischen Gesellschaft großer Beliebtheit. Das lag nicht nur an seinem eindrucksvollen Werk, das neben zahllosen Artikeln und Essays elf Novellen, drei Bücher mit Kurzgeschichten und vier Theaterstücke umfasste. Nein, es lag auch an seiner einzigartigen Persönlichkeit und seinem Engagement für Israel und alle Israelis.

Ein Familienmensch

Geboren wurde Buli 1936 in Jerusalem, wo seine Familie seit vielen Jahren ansässig war. Tatsächlich beschrieb er sich selbst immer als »Jerusalemer der fünften Generation«.

Von seiner Kindheit berichtete er wenig. Sie sei, so versicherte er stets, völlig unauffällig verlaufen. Dem Vater, einem anerkannten Orientalisten, der selbst ein Dutzend Bücher verfasst hatte, stand er nahe, führte ihn später als wichtige Inspiration an. Der Mutter war er ebenfalls verbunden. Das distanzierte Verhältnis zwischen seinen Eltern nahm er allerdings zum Anlass, dem eigenen Leben eine andere Richtung zu geben. »Meine Frau werde ich lieben«, habe er sich schon als Kind fest vorgenommen. Mit der Psychoanalytikerin Rivka Kirsninski erlebte er dann auch 56 erfüllte Jahre. Als sie 2016 starb, verlor der ehedem vor joie de vivre überschäumende Schriftsteller die Lust am Leben.

Überhaupt waren ihm Frau und Kinder höchste Priorität. Er hätte sich, so versicherte er erst kürzlich in einem Interview, vom Schreiben nicht »zuschütten« lassen, habe der Arbeit nur gewisse Stunden gewidmet. An erster Stelle wäre für ihn immer die Familie gestanden.

Bedeutender Schriftsteller

Trotzdem schuf Jehoschua ein außerordentlich reiches Oeuvre und brachte, gemeinsam mit seinen beiden vorrangigen Kollegen und Freunden, Amos Oz und David Grossman, die israelische Literatur auf die internationale Bühne. Seine Bücher wurden in 28 Sprachen übersetzt und erfreuten sich weltweit großer Beliebtheit. Er selbst hielt Die Manis, eine Familiensaga, die fünf Generationen umspannt, für sein bestes Werk.

Großen Anklang fanden auch sein erster Roman, Der Liebhaber, der unter anderem von einer Liebesbeziehung zwischen einem arabischen Jungen und einem israelischen Mädchen erzählt, die Späte Scheidung, die von einem Auswanderer berichtet, der nach Israel zurückkehrt, um sich von seiner entfremdeten Ehefrau scheiden zu lassen, und Die fünf Jahreszeiten des Molcho, ein Roman, der von der treuen Pflege eines todkranken Ehepartners und der gleichzeitigen Sehnsucht nach Befreiung handelt.

Für sein Werk wurde Jehoschua, der Faulkner, Kafka und Agnon als seine großen Vorbilder ansah, mit prestigereichen Preisen überhäuft. Den Nobelpreis erhielt er zwar nicht, dafür verglich ihn der notorisch-strenge Literaturkritiker Harold Bloom aber mit Faulkner und Joyce und bescheinigte ihm ein »authentisches Geschichtenerzählen«, das die »sozialen Realitäten« in Israel wiederspiegele und »durchweg von außergewöhnlichen psychologischen Einsichten geprägt« war.

Israeli bis auf die Haut

Tatsächlich beschäftigte sich Jehoschua nicht nur in seinen Büchern und Texten mit Israel und dem jüdischen Schicksal. Er liebte das Land, sprach immer wieder davon, dass Israel das Endziel sei, die Heimat, der natürliche Lebensmittelpunkt für Juden.

Mit dieser Anschauung verärgerte er nicht wenige Diaspora-Juden, denen er vorwarf, ihre Identität, im Gegensatz zu Israelis, wie eine Jacke zu tragen, die sie je nach Bedarf an- und ausziehen würden. »Israeli zu sein ist meine Haut, es ist nicht meine Jacke«, sagte er 2006 über sich selbst bei einem Symposium des American Jewish Committee. Er war also durch und durch Zionist, stand so mancher Landespolitik aber kritisch gegenüber. Als selbst deklarierter »überzeugter Linker« plädierte er lange Zeit für eine Zwei-Staaten-Lösung. Weil ihm dieser Weg schließlich aber nicht mehr gangbar erschien, sprach er sich letztendlich für ein harmonisches, gleichberechtigtes Zusammenleben von Arabern und Juden in Israel aus.

Ein coronamüder Philosoph

In den letzten Jahren beschäftigte sich Jehoschua immer wieder mit dem Tod. Er beneide die Toten, weil sie das Corona-Finale und die dadurch bedingte Einsamkeit nicht miterleben mussten, meinte er. Es verschaffe ihm eine gewisse Beruhigung, so sinnierte er dann, dass es sich diesmal nicht um ein spezifisch jüdisches Unglück handle, sondern dass Juden jetzt ein Teil der in ihrer Gesamtheit betroffenen Menschheit seien. Zudem, so Jehoschua in einem seiner letzten Interviews in der Zeitschrift Yediot Achronot, zeige die Krankheit immerhin ein Mindestmaß an Barmherzigkeit, weil sie in erster Linie die Alten und nicht die Kinder dahinraffe.

Vieles sei aus Die Pest zu lernen. Jene im Camus’ Erzählung, die sich damit beschäftigten, den Sinn in der Epidemie zu suchen, seien kläglich gescheitert. Nicht nur, weil sie den Sinn der Krankheit nicht fanden, sondern, weil sie ihr auch erlagen. Jene aber, die die technische und praktische Solidarität mit anderen suchten, hätten unbeschadet überlebt. Es ginge auch in Corona-Zeiten um Zusammenhalt. Nach dem Abklingen der Pandemie gelte es denn auch jene Gruppen, die sich jahrelang abgesplittert hatten, etwa die Ultra-Orthodoxen und die Araber, besser in die israelische Gesellschaft einzugliedern und ihr Israeli-Sein zu stärken.

Überhaupt müsste sich post-Corona einiges ändern. Menschen sollten wieder mehr lesen, etwa die Klassiker und nicht nur die neuesten Bestseller. Dann würden sie, wie bei einem Schluck feinem alten Wein, echten Genuss verspüren. Kritik übte Jehoschua im Besonderen auch am neuen Trend, sich übermäßig mit Kochen und Essen zu beschäftigen. Die vielen Kochsendungen im Fernsehen sollten kulturträchtigen Programmen weichen. Es sei schließlich nicht unbedeutend, dass die Pandemie ihren Ursprung in einer ungewöhnlichen Mahlzeit genommen habe.

Mit Abraham B. Jehoschua verlor Israel einen genialen Literaten, einen ebenso kritischen wie bedingungslosen Patrioten, vor allem aber einen humorvollen, originellen, liebenswerten Menschen. »Meine Seele war mit der seinen verbunden«, gestand der ehemalige Staatspräsident Reuven Rivlin in seiner Trauerrede. Diesem Geständnis schlossen sich viele an.

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