Jugend im Iran hat keine Angst mehr

Frau ohne Kopftuch demonstriert vor dem Azadi (Freiheit) Turm int Teheran
Frau ohne Kopftuch demonstriert vor dem Azadi (Freiheit) Turm in Teheran (© Imago Images / ZUMA Wire)

In dem Kampf, den die iranischen Demonstranten gegen das Regime führen, geht es nicht um Sicherheitsfragen, sondern um die Zukunft des Landes und damit der gesamten Region.

Yoav Limor

Das meiste von dem, was der Geheimdienstchef der Israelischen Verteidigungskräfte (IDF), Generalmajor Aharon Haliva, vergangene Woche sagte, war bereits bekannt. Der Iran geht langsam, aber sicher den Weg, die Urananreicherung zu erhöhen und gleichzeitig die Bemühungen des Westens zur Eindämmung des Atomprogramms ständig zu auszutesten. 

Dazu gehören auch die laufenden Überlegungen im Iran, ob mit der Anreicherung auf einen waffenfähigen Reinheitsgrad von neunzig Prozent begonnen werden soll. Gleichzeitig stichelt die Islamisch Republik weiterhin gegen den Westen, der eine Rückkehr zum Atomabkommen von 2015 anstrebt.

Einige neue Einblicke bot Haliva aber doch. Er sagte, der Iran verfüge bereits über genügend angereichertes Uran für vier Atombomben und könnte Terroranschläge in Großbritannien und den USA verüben. Außerdem deutete er erneut an, Israel könnte eines Tages einen Schlag gegen den Iran führen und wies darauf hin, der Besuch von IDF-Stabschef Aviv Kochavi in den USA sei von entscheidender Bedeutung, um klarzumachen, dass es in dieser Frage keinen Zweifel gibt. 

Es hat den Anschein, dass Haliva damit andeuten wollte, Israel könnte einen Alleingang wagen, sollten seine Sicherheitsforderungen nicht erfüllt werden. Genauer gesagt, wollte er dem Westen folgende Botschaft übermitteln: Erzielt ein besseres Nuklearabkommen, das die Aktivitäten des Irans wirklich einschränkt, sonst …

Diese Botschaft unterscheidet sich nicht von früheren Botschaften der israelischen Sicherheitsbehörden und der Politik in den letzten Monaten, die nur sehr begrenzten Erfolg hatten.

Nüchterne Einschätzung

Haliva legte auch seine Einschätzungen zu den anhaltenden Protesten im Iran dar. Der israelische Geheimdienst hat zwar in den letzten Jahrzehnten keine glänzende Erfolgsbilanz vorzuweisen, wenn es darum ging, die unterschwelligen sozialen Strömungen in der Region und insbesondere im Iran zu verstehen. Dennoch konnte man bei Halivas Ausführungen konnte man den Eindruck gewinnen, seine Organisation habe liege diesmal genau richtig, sowohl was die nüchterne Einschätzung der innenpolitischen Lage im Iran als auch ihre vorsichtige Herangehensweise an die Situation angeht.

Interessant ist, dass der israelische Militärgeheimdienst die Demonstrationen als »Aufstand« der Zivilbevölkerung bezeichnet hat, was an der Zahl der Getöteten und Festgenommenen sowie an den Angriffen auf staatliche Einrichtungen deutlich zu erkennen sei. Es scheine, das iranische Regime ist wirklich besorgt über die ausgedehnten Proteste. Allerdings sehe es zum aktuellen Zeitpunkt keine wirkliche Bedrohung für sein Überleben. So konnte es das Regime bislang vermeiden, unter dem täglichen Druck nachgeben zu müssen, und zwar trotz des Schadens, den sein Image erlitten hat.

Ein neuer Höhepunkt des Protests wurde am Montag erreicht, als sich die iranische Nationalmannschaft weigerte, zu Beginn des Fußballspiels bei der FIFA-Weltmeisterschaft gegen England die Hymne der Islamischen Republik zu singen. Das war ein mutiger Schritt, denn die Mannschaft hat sich dazu entschlossen, dies während des weltweit meistgesehenen Ereignisses zu tun, das auch im Iran live übertragen wurde – wohl wissend, dass sie nach ihrer Rückkehr mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen muss (zumal sie mit 2:6 verloren haben). 

Dies zeigt zwar, dass die Jugend im Iran keine Angst mehr hat, aber ein Regimewechsel ist dennoch weit entfernt.

Israel will die Ayatollahs als Bedrohung für die Sicherheit der Welt darstellen und verweist dabei auf das iranische Atomprogramm, den Terrorismus und die Bewaffnung von Schurkenstaaten. Aber es sieht so aus, als ginge es beim gerade stattfindenden Kampf gegen das iranische Regime nicht um Sicherheitsfragen, sondern um die Zukunft des Landes. Israel täte gut daran, sich nicht offen einzumischen, um diese Entwicklung nicht zu beeinträchtigen und die Erfolgschancen der Demonstranten nicht zu gefährden.

Yoav Limor ist Journalist und Verteidigungsexperte. (Der Artikel erschien auf Englisch beim Jewish News Syndicate. Übersetzung von Alexander Gruber.)

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