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50 Jahre Olympia 1972 in München – ein Grund zum Feiern?

Sarg eines der elf bei den Olympischen Spielen 1972 in München ermordeten israelischen Sportlers
Sarg eines der elf bei den Olympischen Spielen 1972 in München ermordeten israelischen Sportlers (© Imago Images / Heinz Gebhardt)

Vor fünfzig Jahren fanden in München die XX. Olympischen Spiele statt, bei denen elf israelische Sportler von palästinensischen Terroristen ermordet wurden. Trotz dieses katastrophalen Ereignisses wurden die Spiele nicht abgebrochen – und heuer von der Stadt München groß gefeiert.

Am 5. September 1972 ermordeten palästinensische Terroristen elf Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft: die Gewichtheber David Mark Berger, Josef Romano und Zeev Friedman, den Ringer-Kampfrichter Yossef Gutfreund, die Ringer Eliezer Halfin und Mark Slavin, den Fechttrainer André Spitzer, den Leichtathletiktrainer Amitzur Schapira, den Schützentrainer Kehat Shorr, den Gewichtheber-Kampfrichter Yakov Springer und den Ringertrainer Mosche Weinberg.

Zudem wurde der deutsche Polizist Anton Fliegerbauer bei der missglückten Geiselbefreiung am Olympia-Flughafen Fürstenfeldbruck getötet. Die Fatah von Mahmud Abbas lobt das Massaker noch heute als eine »Qualitätsoperation«.

Und die Stadt München? Sie feiert derzeit das 50. Jubiläum der Olympischen Spiele 1972 mit einem mehrwöchigen, bunten Unterhaltungsprogramm. Das Jubiläumsmotto lautet: »Auf dem Weg in die Zukunft 1972 – 2022 – 2072«.

Bei der Eröffnungsfeier schwelgten Zeitzeugen in »fröhlichen Erinnerungen«, berichtete der Bayerische Rundfunk (BR). IOC-Präsident Thomas Bach habe »nur positive Worte über die Olympischen Spiele in München« gefunden, sie ein »unvergessliches Erlebnis« genannt und auch »das nachhaltige Konzept« gelobt. Der BR-Journalist resümiert:

»Die Bilder von den Spielen 1972 machen Lust auf das größte Sportevent in München seit damals, die European Championships. Sie starten am 11. August.«

Neben den »ganzen fröhlichen Erinnerungen« seien es »aber auch die tragischen Ereignisse des 5. September, die bei allen Zeitzeugen noch sehr präsent« seien:

»Sie berichten darüber, wie sie das Attentat auf die israelische Olympia-Mannschaft miterlebt haben. An die Opfer wurde mit einer Schweigeminute erinnert. Die Sängerin Polina Lapkovskaja trug außerdem ein israelisches Lied des Gedenkens vor.«

Balance zwischen Heiterkeit und Tragik

Ich schrieb an die Pressestelle der Stadt München:

»Ich war ziemlich erschrocken – ja, ungläubig staunend –, als ich las, dass die Stadt München das Jubiläum der Olympischen Spiele von 1972 feiert. Ich musste mich versichern, dass ich nicht auf einer Fake-News-Website war, sondern auf der des Bayerischen Rundfunks.

Die meisten Menschen assoziieren mit München 1972 die Ermordung von elf israelischen Athleten, das totale Versagen der politisch Verantwortlichen und das beschämende ›The games must go on‹. Warum ist die Stadt München der Meinung, dass diese Spiele 50 Jahre später ein Grund zum Feiern sind? Wurde mit der israelischen Partnerstadt Be’er Sheva darüber gesprochen? Gab es im Stadtrat Stimmen, die dagegen waren, oder war das eine einhellige Entscheidung?«

Die Antwort kam überraschenderweise nicht von der Presseabteilung der Stadt München, sondern von einem Organisationsteam der Fa-Ro Marketing GmbH. Die PR-Firma wurde vom Kulturreferat der Stadt München mit der Organisation der Jubiläumsfeier beauftragt. In der E-Mail heißt es:

»Was wir herausstellen möchten, ist, dass bereits in den Stadtratsbeschlüssen zur Umsetzung des Festivals das Attentat eine wesentliche Rolle gespielt hatte. So wurden sowohl die heiteren als auch die tragischen Spiele stets in den Mittelpunkt gestellt (siehe Ankündigungstext auf der Website des Jubiläums muenchen1972-2022.de) als wesentliche Geschehnisse, die nicht voneinander zu trennen sind. Diesen Ansatz haben die Verantwortlichen der Programmplanung während des gesamten Jahres beherzigt und im Veranstaltungsprogramm zur Geltung gebracht.

So finden bereits seit Januar Gedenkveranstaltungen zu den Opfern des Attentats in München, dem Landkreis und in Fürstenfeldbruck statt, ebenso wurden die Gedenkveranstaltungen bei allen Pressekonferenzen und Pressemitteilungen kommuniziert. Den Veranstaltern geht es dabei um verschiedene, auch neue Formen und Ansätze des Gedenkens, die in Gesprächen im Vorfeld und laufend zum Veranstaltungsjahr erörtert und festgelegt wurden.

Wir, Projektleitung und ausführende Agentur, haben uns besonders gefreut, dass auch Frau Generalkonsulin Carmela Shamir bei der Eröffnungsfeier am 1. Juli auf der Bühne zu den Geschehnissen sprach und die Präsidentin der israelischen (sic!) Kultusgemeinde, Frau Dr. Knobloch, an der Veranstaltung teilnahm. So wurde auch mit einer Schweigeminute sowie Programmelementen das Erinnern in den Ablauf der Eröffnungsfeier eingebunden.

Wir sind der festen Überzeugung, dass die Balance zwischen Erinnern an die heiteren und Erinnern an die tragischen Spiele während des gesamten Jahres einen würdigen Platz gefunden hat. Natürlich werden bei diesem Jubiläum auch die sportlichen Leistungen, besonders aber auch die künstlerischen und gesellschaftlich-partizipatorischen Entwicklungen aufgegriffen, die die XX. Olympiade hervorgebracht hat.

Für München war die Olympiade mit U-Bahn-Bau und Stadtteilentwicklungen ein Aufbruch zu der Großstadt, wie wir die Landeshauptstadt heute kennen und wie sie in der Welt wahrgenommen wird. Auch das spielt eine wichtige Rolle in diesem Jubiläumsjahr.«

Soweit die offizielle bzw. semi-offizielle Seite. Gibt es auch Kritik an der Veranstaltung? Ich habe drei Personen nach ihrer Meinung zu der Olympia-Jubiläumsfeier gefragt:

  • Elvira Groezinger (geb. 1947), Schriftführerin der Organisation Scholars for Peace in the Middle East (SPME), wohnhaft in Berlin,
  • die Münchener Jüdin Yehudit de Toledo-Gruber (geb. 1944), die im vorigen Jahr die Straßenbahn »Schalom München« aus Anlass des Festjahres »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« initiierte,
  • den Filmemacher Joachim Schroeder (geb. 1964), der 2017 zusammen mit Sophie Hafner die Dokumentation »Auserwählt und ausgegrenzt. Der Hass auf Juden in Europa« produzierte.

Unvergessener Tag der Trauer und Wut

Elvira Groezinger schrieb mir per E-Mail:

»Der 5. September 1972 bleibt für mich ein unvergessener Tag der Trauer und der Wut. Mein Mann und ich reisten damals gerade zurück aus Israel auf einem griechischen Schiff und hörten schockiert die Nachrichten aus München. Wir erwarteten, dass die Olympiade umgehend abgebrochen wird, aber nichts geschah. Die elf ermordeten israelischen Sportler und der tote deutsche Polizist waren der Politik und den Sportfunktionären nicht genug wert, um das lukrative Spektakel zu beenden.

Dass fünf Jahre nach dem Sechs-Tage-Krieg die radikalen palästinensischen Araber der Gruppe ›Schwarzer September‹ auch in Deutschland zuschlagen würden, wo der PLO-›Gesandte‹ Abdallah Franji und die RAF-Terroristen ihre Netze knüpften, entging offenbar den Sicherheitsbehörden. Meine Assoziationen waren damals und sind bis heute: Die Olympiade von 1936 in Hitlers Berlin und die von 1972 in der ›Hauptstadt der Bewegung‹ standen nicht unter einem guten Stern.

Wenn dieses Jahr der 50. Jahrestag der Olympiade gefeiert‹, das Massaker aber nur als eine Episode betrachtet wird, dann wirft es ein bezeichnendes Licht auf unser Land heute: Der Judenhass und der israelbezogene Antisemitismus sind, trotz aller guten Vorsätze, zu denen die Antisemitismusbeauftragten zählen, allgegenwärtig. Die Welt wird am Jahrestag auf Deutschland schauen, das Kainsmal lässt sich nicht wegwischen. Wird die Stadt München diesmal mit der Tragödie würdiger umgehen? Das wäre allen Beteiligten anzuraten.«

Schweigeminute ist lächerlich

Yehudit de Toledo-Gruber kontaktierte ich telefonisch. Ich fragte sie, wann sie erfahren habe, dass die Stadt München plant, das 50-jährige Jubiläum der Olympischen Spiele von 1972 zu feiern. Das sei noch gar nicht lange her, antwortete sie:

»Das habe ich letzte Woche über den Bayerischen Rundfunk gehört. Daraufhin habe ich die Wochenendausgabe der Süddeutschen Zeitung gekauft, um mehr darüber zu erfahren. Da war ein ganzseitiger Bericht. Was ich da las, konnte ich gar nicht glauben – diese schwärmerische Begeisterung, dieser Enthusiasmus und kein Wort über die schrecklichen Attentate.«

Bis heute verstehe sie nicht, dass die Olympischen Spiele nach diesen Morden nicht beendet wurden, sondern weitergingen.

»Diese vielen Toten, dieses Behördenversagen, das muss doch wie Blei auf den Spielen gelegen haben. Und dass dann ein Oberbürgermeister guten Gewissens entscheidet, dass die Spiele weitergehen und die Sportler fröhlich ihren Disziplinen nachgegangen sind, das kann ich alles nicht nachvollziehen. Das war und ist für mich eine ganz schlimme Entscheidung.«

Diese Olympischen Spiele hätten sie »schon immer« beschäftigt, sagt sie.

»Aber ich hatte aus dem Blick verloren, dass nun der 50. Jahrestag naht. An die Geiselnahme und Ermordung der elf israelischen Athleten denken viele Leute heute gar nicht mehr.«

Ist es ein pietätvoller Umgang mit den Ermordeten, eine Schweigeminute für sie in eine Feier einzubetten? Frau de Toledo-Gruber findet das »lächerlich«:

»Was sich da während des Attentats abgespielt hat, ist mit nur einer Schweigeminute überhaupt nicht abgetan, das ist für mich ein Hohn. Mich wundert, dass sich heutige Politiker und maßgebliche Persönlichkeiten des Kulturreferats der Stadt München und des Stadtmuseums München auf diese gesamten Feierlichkeiten eingelassen haben, statt viel mehr Rahmen zu lassen für das Erinnern an diese schrecklichen Attentate. Das ist für mich unpassend und peinlich.«

Warum ist »50 Jahre Olympia 1972« überhaupt ein Grund zum Feiern? – »Da haben Sie vollkommen Recht«, pflichtete de Toledo-Gruber bei:

»Das kommt ja noch hinzu: Diese Feierwütigkeit, warum das überhaupt ein Anlass ist, Trachtengruppen aufzustellen und Feiern zu veranstalten, noch dazu in diesen Zeiten, das ist für mich vollkommen unverständlich.«

Frau de Toledo-Gruber berichtete von ihren Erfahrungen mit der Schalom-Trambahn durch München:

»Die endgültige Genehmigung, überhaupt eine Antwort zu erhalten nach acht Monaten vom Sekretariat des Oberbürgermeisters Dieter Reiter die Hindernisse, Blockaden und die peinlichen Volten seitens der Kulturabteilung unserer IKG (Israelitische Kultusgemeinde) in München sind mir unvergesslich. Die Tram ist mir schließlich doch noch gelungen.«

Sie erzählte, dass sie mit einigen älteren Menschen, »die mit Judentum nichts am Hut haben«, über Olympia 1972 gesprochen habe:

»Ich habe sie gefragt, ob sie sich an den Terror von München erinnern. Der O-Ton war meistens: ›Ach, ja, stimmt, da war ja was, ich erinnere mich dunkel‹.«

Die Morde an den israelischen Athleten seien weitgehend in den Hintergrund getreten und von der Bevölkerung vergessen, glaubt sie:

»Sie werden zugefeiert – und das ist schon sehr traurig und bezeichnend.«

Ignoranz und Kälte erleben Fortsetzung

Der Filmemacher Joachim Schroeder, der lange in München gelebt und gearbeitet hat, versteht, dass München stolz ist auf die architektonischen Leistungen von damals, sagte er mir am Telefon:

»Das Olympia-Gelände ist das einzige Mal, dass der Stadt München moderne Architektur gelungen ist. München ist ja in dieser Hinsicht furchtbar spießig und fast schon kleinbürgerlich. Alle anderen Versuche moderner Architektur in München endeten in purer Hässlichkeit oder Belanglosigkeit. Architektonisch ist damals also ein großer Wurf gelungen.«

Wenn man nun aber an die Olympischen Spiele von 1972 selbst erinnere, gehörten dazu die Terroranschläge und das Versagen der Behörden, so Schroeder:

»Das hat ja anschließend zur Gründung der Eliteeinheit GSG 9 geführt, die von Israelis trainiert wurde und die bei der Ausbildung eng mit Israel zusammenarbeitet. Aber damals waren die Verantwortlichen in Deutschland zu arrogant und borniert, die Israelis den Job übernehmen zu lassen, haben stattdessen ihre Hilfstruppen eingesetzt, was ja ein Grund dafür war, warum die Aktion mit dem Tod so vieler israelischer Sportler endete.«

Die Spiele hätten nach der Ermordung der Sportler abgebrochen werden müssen, meint Schroeder und sieht Ähnlichkeiten zwischen damals und heute:

»Die Ignoranz und die Kälte erleben nun eine Fortsetzung fünfzig Jahre später. Dummerweise – aber das kapieren sie natürlich in ihrer Blödheit nicht – kann man einen Terrorangriff auf Olympische Spiele nicht vergleichen mit Toten bei einem Formel-1-Unfall.

Da könnte man argumentieren: Das ist tragisch und furchtbar für die Angehörigen, doch ein solches Risiko gehört zu dem Sport dazu. Wenn aber unschuldige Sportler öffentlich hingerichtet werden und die Polizei und Sicherheitsorgane der Stadt München und Bayern komplett versagen, dann ist das nicht wie bei einem Sportunfall. Darum kann man das nicht erledigen mit einer Gedenkminute und einer Künstlerin, die irgendwas auf der Blockflöte spielt.«

Man könne nicht die »fröhlichen« Seiten der Olympischen Spiele 1972 herausnehmen und feiern:

»Man kann nicht sagen: Wenn das nicht gewesen wäre, wäre alles super. München 1972 ist ein Trauma für die Israelis. Es war ein Angriff auf das ganze Land – so haben die Israelis das ja auch verstanden – und ein komplettes Versagen, wenn auch nicht absichtlich, der Sicherheitskräfte hier: unerfahrene, bornierte Münchener und Bayern. Das kann man meiner Meinung nach nicht mit einer Minute und ein bisschen Blockflöte im Erinnerungsrausch erledigen.

Der ganze Erinnerungsquatsch hat natürlich auch damit zu tun, dass man, wenn man nach vorne schaut, nur Albträume sieht und deshalb wird so gerne zurückgeguckt und nostalgisch verklärt. Für die meisten ist das Attentat ja wahrscheinlich weit weg. Das zeigt zum x-ten Mal, dass es dafür keine Empathie gibt und dass es den Leuten – und vor allem den Verantwortlichen bei diesen Folklorekäseveranstaltungen – eigentlich auch völlig am Arsch vorbeigeht.«

Es sei ein Fehler gewesen, damals die Spiele nicht abzubrechen, wiederholt Schroeder, und fügt hinzu:

»Aber das hätte ihnen die nostalgische Erinnerung heute natürlich etwas verbaut. Dadurch, dass sie die Spiele damals nicht abgebrochen haben, können sie sich die Gefühlskälte nun ein zweites Mal leisten.«

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