Am 16. März 1988 griffen Truppen des irakischen Baath-Regimes die kurdische Stadt Halabja mit Giftgas an, die Folgen sind bis heute zu spüren.
Khazan Jangis, Rudaw
Die neunjährige Shno Hamamin Salih und ihre Familie stiegen erschöpft aus ihren Betten. In der Nacht zuvor waren Bomben vom Himmel über Halabja gefallen. „Wir hatten Angst, wir haben alle geweint und geschrien“, erinnert sie sich. Doch auch am nächsten Tag sollten sie nicht zur Ruhe kommen. Am 16. März 1988 begann ein neues Bombardement auf die Stadt (…)
Im Jahr 1988 plante das baathistische Regime im Irak eine achtstufige Operation, die Teil seiner Anfal-Kampagne gegen die Kurden war. Sie begann Ende Februar in Halabja und endete im September in Badinan. Etwa 5.000 Menschen, darunter auch Shnos Mutter, wurden getötet, als das Regime von Saddam Hussein am 16. März Senfgas auf die Stadt Halabja abwarf.
„Wir waren in unserem Haus, als die Katastrophe passierte“, sagte Shno, eine der verbliebenen Vier ihrer einst achtköpfigen Familie. „Die ganze Familie war im Keller, als Halabja bombardiert wurde, Senfgas traf unsere Nachbarschaft. Mein Vater sagte, lass uns das Haus verlassen und nach Süden gehen. Wir kamen raus und sahen, dass die Nachbarschaft zerstört war.“
„Wir gingen nach Süden und wussten nicht, dass wir geradewegs auf die Chemikalien zusteuerten. Wir sahen, dass einige Leute hingefallen waren, dann sind wir bewusstlos geworden.“ Nach dem Angriff blieb die Familie 13 Tage lang auf der Straße, bis Shnos Onkel sie suchte und zur Behandlung in den Iran schickte. (…)
Einer ihrer Brüder starb im vergangenen Jahr an den Nachwirkungen des Chemiewaffenangriffs; der andere erhängte sich drei Monate später in einem öffentlichen Park in Halabja, wegen dem, was Shino als familiäre Probleme beschreibt.
Später im Jahr 1988 zogen diejenigen, die von der Familie übriggeblieben waren, zurück nach Halabja, nachdem ihnen gesagt worden war, die Stadt sei in Ordnung gebracht worden. Aber bald darauf wurden sie von der irakischen Regierung verhaftet und in das berüchtigte Gefangenenlager Nugra Salman gebracht, wo Tausende von Menschen mit außergewöhnlicher Grausamkeit behandelt wurden.
„Sie töteten und folterten viele Menschen vor den Augen ihrer Eltern … Dann schmissen sie sie aus dem Gefängnis und verfütterten sie an Hunde“, sagte Shino. Sie erinnert sich daran, dass ihr 10-jähriger Bruder Zana von Baathisten mit Kabeln gefoltert wurde. Sechs Monate mussten sie im Gefängnis bleiben und lebten von einer Handvoll „schmutzigem, salzigem Wasser und abgelaufenem, hartem Brot“. (…)
Überlebende des Chemiewaffenangriffs von Halabja leiden unter langfristigen Gesundheitsproblemen. 2019 eröffnete die Regionalregierung von Kurdistan das erste Krankenhaus, das speziell für die Behandlung der Opfer des Angriffs ausgestattet ist. Doch Shino, die durch das Giftgas Lungen- und Augenschäden erlitten hat und operiert werden muss, sagt, dass die Regierung nicht hilfreich war. (…)
Viele der Überlebenden des Genozids, von denen einige inzwischen verstorben sind, haben die Regierungen der Region Kurdistan und des Irak um Behandlungen gebeten, wurden aber übergangen, sagt Shno (…)
Sie lebt jetzt in dem Viertel, in dem sie ihre Kindheit verbracht hat. Es heißt jetzt Omar Khawar, benannt nach dem kurdischen Vater, der starb, während er seinen Säugling in den Armen hielt. Er was Shnos Nachbar, der später zu einem Symbol für das Leiden in Halabja wurde. „Niemand, der in der Nachbarschaft gelebt hat, ist dort geblieben“, sagt Shno: „Alle sind entweder gestorben, weggegangen oder es gibt nur noch ein oder zwei von ihnen in einer Familie.“
(Aus dem Artikel „Halabja genocide: ‘Our wounds are reopened’“, der bei Rudaw erschienen ist. Übersetzung von Alexander Gruber.)