Erweiterte Suche

20 Jahre zweite „Intifada“ (Teil 4): Ein jüdischer Student als Spielball im Medienkrieg

Ende September 2000 heizte ein dramatisches Foto in der New York Times die Stimmung gegen Israel weiter an. Es schien einen jungen Palästinenser zu zeigen, der auf dem Tempelberg von einem israelischen Polizisten blutig geschlagen wurde. Doch der vermeintliche Palästinenser war in Wahrheit ein jüdischer Student aus den USA, den der Polizist in einem arabischen Stadtteil vor einem palästinensischen Lynchmob schützte.

Die zweite „Intifada“ der Palästinenser, die vor 20 Jahren begann, wurde immer wieder auch von ihrer medialen Widerspiegelung befeuert. Zum einen durch verzerrte Darstellungen von bedeutsamen Ereignissen wie Ariel Sharons Tempelberg-Besuch, der anders, als es vielfach hieß, keineswegs die Gewalt ausgelöst oder gar verursacht hat, schließlich war die „Intifada“ da schon längst geplant. Zum anderen durch ikonische Bilder wie beispielsweise jenes, das den palästinensischen Jungen Mohammed Al-Dura in den Armen seines Vaters zeigt, scheinbar tödlich von israelischen Kugeln getroffen. Dass sich die Dinge ganz anders zugetragen hatten, stellte sich erst zu einem Zeitpunkt heraus, als die antiisraelischen Mythen, die sich um dieses Ereignis rankten, nicht mehr aus der Welt zu schaffen waren.

20 Jahre zweite „Intifada“ (Teil 4): Ein jüdischer Student als Spielball im Medienkrieg
New York Times, 30. September 2000

Auch ein Foto der Nachrichtenagentur Associated Press (AP), das am 30. September 2000 unter anderem in der New York Times erschien, fällt in diese Kategorie. Es zeigt einen grimmig blickenden israelischen Soldaten, der mit seiner rechten Hand drohend einen Schlagstock erhebt und augenscheinlich etwas ruft; vor ihm sieht man einen blutüberströmten, stark gezeichneten jungen Mann. „An Israeli policeman and a Palestinian on the Temple Mount“, lautete die Bildunterschrift in der renommierten amerikanischen Tageszeitung, also: Ein israelischer Polizist und ein Palästinenser auf dem Tempelberg. Auch wenn nicht explizit formuliert wurde, was geschehen war, blieb doch nur eine Schlussfolgerung: Der eine hatte den anderen soeben fürchterlich zugerichtet.

Das Foto schien also zu belegen, wie brutal die israelische Staatsmacht mit den Palästinensern umgeht; es transportierte – auch durch die Posen der beiden Abgebildeten – eine klare Botschaft, wer Täter und wer Opfer ist.

Doch das Bild zeigte gar nicht das, was es ausweislich der Bildunterschrift zu zeigen schien, und deshalb war auch der Schluss, den man daraus ziehen musste, schlicht falsch: Der blutende junge Mann war kein Palästinenser, sondern Tuvia Grossman, ein jüdischer Talmud-Student aus Chicago, der in einem arabischen Stadtteil von Jerusalem – und nicht auf dem Tempelberg – von einer größeren Gruppe gewalttätiger Palästinenser zusammengeschlagen worden war. Der Polizist, ein drusischer Israeli namens Gideon Tzefadi, verteidigte ihn vor dem Lynchmob und rief den Angreifern zu, sie sollten zurückweichen.

Ein jüdisches Opfer palästinensischer Angreifer, nicht umgekehrt

Grossman selbst, damals 20 Jahre alt, schilderte die Geschehnisse seinerzeit so:

„Es war der Vorabend von Rosch Haschana, und ich rief mit zwei Freunden ein Taxi, um die Klagemauer zu besuchen. Auf dem Weg dorthin nahm der Fahrer eine Abkürzung durch einen der arabischen Stadtteile in Jerusalem. Wir bogen um eine Ecke, und plötzlich standen etwa 40 Palästinenser um das Auto herum. Ehe wir uns versahen, hatten sie mit riesigen Steinen alle Fenster des Taxis eingeschlagen.

Einige der Palästinenser rissen die Tür auf und zerrten mich aus dem Fahrzeug. Etwa zehn Angreifer sprangen auf mir herum, schlugen und traten mich. Ich hockte mich auf den Boden und versuchte, mein Gesicht zu bedecken, um mich so gut wie möglich zu schützen. Alles, was ich sehen konnte, war ein Gewusel von Turnschuhen, die mir ins Gesicht traten.

Dann fühlte ich, wie mich ein starkes Paar Hände packte, und ich nahm meine Hände vom Gesicht, weil ich dachte, dass mir jemand helfen wollte. Aber es war nur ein weiterer Palästinenser; er hielt meinen Hinterkopf fest und schlug mir mitten ins Gesicht. Ich fiel flach auf den Boden, und die Palästinenser sprangen wieder auf mich drauf. Einer von ihnen stach mir ins Bein und durchtrennte Muskeln und Sehnen. Zwei andere Palästinenser hielten meinen Kopf fest, sodass ich mich nicht bewegen konnte, während zwei weitere mit Steinen immer wieder auf meinen Kopf schlugen.

Zu diesem Zeitpunkt hatten sie seit etwa acht Minuten auf mich eingeprügelt. Ich hatte bereits drei Liter Blut verloren und drohte das Bewusstsein zu verlieren. Ich betete das ‚Schma Jisrael‘ – das Glaubensbekenntnis, das ein Jude sagt, bevor er stirbt. Ich versuchte, nicht ohnmächtig zu werden, denn ich war mir sicher, wenn ich es täte, wäre es das Ende. […] Ich schrie mir die Lunge aus dem Leib. Die Palästinenser waren einen Augenblick lang erschrocken, und ich konnte aufstehen und wegrennen. Leider bin ich stark kurzsichtig, und meine Kontaktlinsen waren herausgefallen.

Da war ich also – kaum in der Lage, etwas zu sehen, mit Blut im Gesicht und schwer verwundetem Bein – und wurde von 40 Palästinensern, die mich mit Steinen bewarfen, einen Hügel hinaufgejagt. Es war ein Wunder, aber irgendwie konnte ich ihnen davonlaufen und erreichte eine Tankstelle, an der israelische Soldaten postiert waren.

Ich brach zusammen, und da begann eine Gruppe von Fotografen mit den Aufnahmen. Ein israelischer Polizist beschützte mich und schrie die Palästinenser an, um sie vom Lynchmord abzuhalten. Doch auf dem Foto, von Associated Press um die Welt geschickt, wurde ich als Palästinenser identifiziert. Die naheliegende Folgerung war, dass der israelische Polizist mich gerade geschlagen hatte. In Wahrheit war das genaue Gegenteil der Fall. Ich war ein jüdisches Opfer palästinensischer Angreifer.“

Ein Paradebeispiel für die manipulative Kraft von Bildern

Das Foto ist in Verbindung mit der Bildunterschrift ein Paradebeispiel dafür, wie manipulativ Bilder sein können – gleich, ob Absicht dahintersteckt oder nur mangelnde Sorgfalt. In einer Erklärung eine Woche nach der Veröffentlichung schrieb die New York Times, das Foto stamme von einem israelischen Fotografen und sei am 29. September 2000 mit einer in schlechtem Hebräisch verfassten Bildunterzeile bei Associated Press eingegangen. In dieser Unterzeile habe es geheißen, der blutverschmierte Mann sei ein israelischer Sanitäter. Das stimmte zwar auch nicht, aber zumindest schloss es aus, dass hier ein Palästinenser zum Opfer israelischer Polizeigewalt geworden war.

Die Nachrichtenagentur machte dann jedoch aus dem jüdischen Amerikaner unversehens einen Palästinenser und lokalisierte auch den Ort des Geschehens falsch, wie Tuvia Grossmans Vater, der seinen Sohn auf dem Bild erkannt hatte, in einem Leserbrief an die New York Times deutlich machte: „Dieses Bild kann nicht auf dem Tempelberg aufgenommen worden sein, weil es auf dem Tempelberg keine Tankstellen gibt, schon gar keine mit hebräischer Schrift wie diejenige, die deutlich hinter dem israelischen Soldaten zu sehen ist, der versucht, meinen Sohn vor dem Mob zu schützen“, schrieb Aaron Grossman. Dass das Bild an einer Tankstelle aufgenommen wurde, ist im oberen rechten Teil des veröffentlichten Ausschnitts zu erkennen – und noch besser auf dem vollständigen Foto, das der Zeitung vorgelegen haben dürfte.

Das ist keine Nebensächlichkeit, denn durch die falsche Ortsangabe wurde der Eindruck vermittelt, dass der israelische Polizist den (vermeintlichen) Palästinenser auch noch ausgerechnet an einem Ort blutig geschlagen haben soll, der Muslimen besonders heilig ist – und wo Ariel Sharon tags zuvor angeblich die zweite „Intifada“ ausgelöst hatte. „Jahrelang verwendeten arabische Gruppen Grossmans Foto für ihre Propagandakampagnen und benutzten in zynischer Art und Weise einen blutenden Juden als Symbol für den palästinensischen Kampf“, hielt die Organisation Honest Reporting fest. Auf der offiziellen Website der ägyptischen Regierung sei das Bild zu finden gewesen, und das Palästinensische Informationszentrum habe es in das Banner ihrer Homepage übernommen.

„Als Spielball im Medienkrieg benutzt zu werden, tut noch mehr weh“

„Es ist schlimm genug, blutig geschlagen zu werden, genäht werden zu müssen und so ins Bein gestochen zu werden, dass eine Therapie nötig ist, um es wieder gebrauchen zu können“, schrieb Tuvia Grossman. „Aber als Spielball im Medienkrieg benutzt zu werden, als Teil der palästinensischen Propaganda, um internationale Sympathie zu gewinnen – das tut noch mehr weh.“

Vor zwei Wochen traf sich Grossman auf Einladung der israelischen Tageszeitung Yedioth Ahronot zum zweiten Mal seit jenem Tag vor zwanzig Jahren mit seinem Retter Gideon Tzefadi. Dabei rekapitulierte er die Ereignisse noch einmal: „Eines der letzten Dinge, an die ich mich erinnere, sind die Uniformen von Gideon und seinen Leuten. Da verstand ich, dass es mir gut gehen würde. Dass das der Mann ist, der mich retten wird. Der Held meines Lebens. Sie waren nur fünf, und sie schafften es, die Menge zurückzudrängen.“

Auch Tzefadi erinnerte sich aus diesem Anlass: „Ich sagte meinen Leuten, dass wir die Kontrolle über die Rockefellerkreuzung übernehmen müssen. Als ich dorthin kam, stieß ich auf den Lynchversuch. Ich wusste nicht einmal, ob es ein Araber oder ein Jude war. Ich hob ihn in das Fahrzeug, vergewisserte mich, dass er in Ordnung war, und er kam ins Krankenhaus. Tausende strömten zum Tempelberg, aber wir bekamen die Sache in den Griff.“ Verärgert resümierte er: „Man hat mich als israelischen Polizisten dargestellt, der kaltblütig auf dem Tempelberg einen jungen Palästinenser umbringt. Dieses Bild wurde in Frankreich auf einem zwölfstöckigen Gebäude veröffentlicht, gegen den Staat Israel. Der erste Fall von BDS.“

Tuvia Grossman wanderte vor 15 Jahren nach Israel ein; er lebt in Modi‘in, ist Vater von zwei Kindern und arbeitet als Rechtsberater. Gideon Tzefardi wohnt in Kfar Sumei im Norden Galiläas; in seinem Bezirk leitet der fünffache Vater das Dezernat für den Kampf gegen Drogen und Alkohol. Im April 2002 verurteilte ein Bezirksgericht in Paris die französische Tageszeitung Libération, die das Foto samt Bildunterzeile ebenfalls abgedruckt hatte, und die Nachrichtenagentur AP wegen der Falschdarstellung . Sie mussten 4.500 Euro an Grossman zahlen. Die New York Times dagegen beließ es bei ihrer Berichtigung. Ein Wort des Bedauerns kam ihr nicht ins Blatt.

Die bisherigen Teile der Serie „20 Jahre zweite ‚Intifada‘“ auf MENA-Watch:

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!