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„Words matter“: Der Westen hat im Wettstreit der Ideen das Feld geräumt

Die völlige Planlosigkeit des Westens im Hinblick auf Syrien führt dazu, dass immer mehr Stimmen ihrer „Sehnsucht nach einem verlässlichen Despoten“ (Richard Herzinger) freien Lauf lassen: das iranische Regime, der Massenmörder Assad und Vladimir Putin sollen die Abwicklung des Blutvergießens in Syrien übernehmen, der islamistische Möchtegern-Diktator Erdogan soll Europas Flüchtlingsproblem entsorgen. Doch nicht nur auf der praktischen Ebene hat der Westen das Feld geräumt, auch im Wettstreit der Ideen hat er vor den Feinden all jener Werte kapituliert, für die er einmal gestanden ist: Das iranische Regime, Assad, Putin, Abbas – sie alle können unwidersprochen blanke Lügen verbreiten und sich in Heuchelei ergehen.  

Neulich, in Teheran

Wie jüngst im Zuge des Besuches einer umfangreichen österreichischen Delegation unter Führung von Bundespräsident Fischer in Teheran deutlich wurde, sind es insbesondere Vertreter des iranischen Gottesstaats, die die politische Heuchelei auf die Spitze treiben. Präsident Rohani etwa gab bei seinem Treffen mit Fischer zum Thema Syrien zu Protokoll: „Die Syrer müssen selbst über die Zukunft ihres Landes entscheiden, keine fremde Macht darf dies tun.“ (Kleine Zeitung, 9. Sep. 2015)

„Words matter“: Der Westen hat im Wettstreit der Ideen das Feld geräumt
Hassan Rouhani betet mit Khomeini (1978). Quelle: Mojtaba Salimi

Niemand fand es der Mühe wert, auf die Ungeheuerlichkeit dieser Bemerkung hinzuweisen: Der iranischen Diktatur, zu deren treuen Ergebenen Rohani seit Jahrzehnten gehört, hat das Assad-Regime sein Überleben zu verdanken; iranische Unterstützung ermöglichte es ihm, seit viereinhalb Jahren Krieg gegen einen Großteil der eigenen Bevölkerung zu führen, Hunderttausende zu ermorden und Millionen in die Flucht zu treiben. Iranische Verbände, vom Iran aufgestellte schiitische Milizen, die libanesische Hisbollah und neuerdings auch das russische Militär, sie alle sorgen dafür, dass die Syrer eben nicht selbst über die Zukunft ihres Landes entscheiden können, sondern beim Versuch, genau das zu tun, massakriert werden. Der Iran ist in Teilen Syriens de facto Besatzungsmacht.  

Der Wille der Menschen

„Unterschiedliche Lebensstile waren schon immer Teil unserer Gesellschaft“, meinte am Rande des Fischer-Besuchs Rohanis Staabschef, Mohammed Nahavandian, im Standard-Interview zu Gudrun Harrer. „Und der Wille der Menschen werde den zukünftigen Weg bestimmen, versichert er – mit einem Hinweis, dass Wahlen, wie sie der Iran habe, eine Rarität im Nahen Osten seien.“ (Standard, 7. Sep. 2015)

Unerwähnt blieb freilich, dass der „Wille der Menschen“ im Iran sich politisch nur in den extrem engen Grenzen artikulieren kann, die das Regime vorgibt. Wer diese überschreitet, wird ins Gefängnis geworfen, gefoltert, zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt oder hingerichtet. Unwidersprochen blieb auch Nahavandians Lobpreisung der im Iran stattfindenden Wahlen, die mit freien und fairen Urnengängen wenig zu tun haben. Niemand kann antreten, der als nicht linientreu betrachtet wird, immer wieder werden zahlreiche Kandidaten von Wahlen ausgeschlossen, Opposition zum Regime ist unmöglich. Und wenn eine Wahl einmal anders ausgeht als von der Führung gewünscht, wird der Repressionsapparat in Gang gesetzt, um Proteste mit massiver Gewalt zum Schweigen zu bringen – so geschehen zuletzt nach der Präsidentschaftswahl 2009.  

Wenn der Bock sich als Gärtner anbietet

Von der diesjährigen UN-Generalversammlung berichtetet der Kurier: „Irans Präsident Hassan Rohani hatte am Montag vor den Vereinten Nationen die Bereitschaft seines Landes zum Kampf gegen den Terrorismus bekräftigt. Der Iran sei bereit, bei der Etablierung von Demokratien in Syrien und im Jemen zu helfen.“ (30. Sep. 2015)

Tatsächlich will das iranische Regime in Syrien oder im Jemen genauso wenig Demokratien aufbauen, wie es ein demokratisches System im eigenen Land zulässt. Abgesehen davon war Rohanis Bekenntnis zum „Kampf gegen den Terrorismus“ bemerkenswert. Immerhin ist das iranische Regime nach wie vor der wichtigste staatliche Terrorförderer der Welt, unterhält oder unterstützt Terrororganisationen wie die libanesische Hisbollah, die palästinensische Hamas oder den Palästinensischen Islamischen Dschihad und ist selbst mit den al-Quds-Brigaden der Revolutionsgarden an Terroroperationen auf der ganzen Welt beteiligt.

Wenn dieses Regime also einen nennenswerten Beitrag zum „Kampf gegen den Terrorismus“ leisten wollte, sollte es einfach sich selbst und die von ihm aufgebaute weltweite Infrastruktur des Terrors auflösen.  

Syriens Armee und der Kampf gegen den IS

„Sergej Lawrow bezeichnete es … als ‚absurd‘, die syrischen Regierungstruppen vom Kampf gegen den ‚Islamischen Staat‘ (IS) ausschließen zu wollen“, berichtete unlängst der Standard. (16. Sep. 2015) Niemand widersprach dem russischen Außenminister mit dem Hinweis darauf, dass die syrische Armee schon lange die Möglichkeit gehabt hätte, gegen den IS vorzugehen, sie es aber vorgezogen hatte, weniger extreme Rebellengruppen und die Zivilbevölkerung zu attackieren. Dem IS hatte das Assad-Regime im Wesentlichen freie Hand gelassen, weil dessen Aufstieg die eigene Propagandalüge untermauerte, dass die ganze Rebellion einzig die Angelegenheit von Dschihadisten sei.  

Putins „eisernes Prinzip“

„Es ist ein eisernes außenpolitisches Prinzip Moskaus, dass Regierungen nicht von außen gestürzt werden dürfen“, berichtete ORF-Korrespondentin Carola Schneider anlässlich der russischen Syrien-Intervention aus Moskau. (ZiB 2, 28. Sep. 2015) Zumindest wird dieses „eiserne Prinzip“ von der russischen Führung betont und von Putin ein ums andere Mal dem Westen entgegengehalten, um westliche Interventionen im Irak und in Libyen zu verurteilen.

„Words matter“: Der Westen hat im Wettstreit der Ideen das Feld geräumt
Vladimir Putin im Gespräch mit Ali Khamenei (2007). Quelle: Kreml

Dass Putin sich selbst um sein „eisernes Prinzip“ der Nichtintervention nicht kümmert, wenn es seinen Interessen widerspricht, das hat er zwar durch die Annexion der Krim und die russische Invasion in der Ostukraine hinlänglich unter Beweis gestellt, wird ihm aber von westlichen Politikern und Journalisten kaum zum Vorwurf gemacht.

Eine Kultur des Friedens und der Koexistenz?

Den Gipfel an Heuchelei stellte freilich der Auftritt von PLO-Chef Mahmud Abbas bei der UN-Generalversammlung dar. Wie schon in den vergangenen Jahren war seine Ansprache eine aggressive Mixtur aus glatten Unwahrheiten und hetzerischen Diffamierungen Israels. Seine von jedem Bezug auf die Realität gelöste Darstellung erreichte ihren Höhepunkt, als er erklärte: „We do not respond to the Israeli occupation‘s hatred and brutality with the same. Instead, we are working on spreading the culture of peace and coexistence between our people and in our region“.

Das sagte der Mann, der vor kurzem noch gegen die Juden und ihre „dreckigen Füße“ gewettert hatte, denen es nicht erlaubt werden dürfe, islamische Heiligtümer zu „beschmutzen“. Der Mann, der nach Ausschreitungen am Tempelberg sagte: „Wir segnen jeden Tropfen Blut, der für Jerusalem vergossen wurde. Es ist sauberes und reines Blut, Blut, das für Allah vergossen wurde, so Allah es will. Jeder Märtyrer wird das Paradies erreichen, und jeder Verwundete wird von Allah belohnt werden“.

So hört sich die „Kultur des Friedens und der Koexistenz“ von Mahmud Abbas an, wenn er nicht gerade für ein westliches Publikum spricht. In New York musste er, bis auf vehemente Proteste Israels, nicht mit nennenswertem Widerspruch rechnen, und auch in Medien hierzulande blieben seine ungeheuerlichen Behauptungen weitgehend unbeachtet.  

„Words matter“

Zu jeder Zeit gaben Despoten und Diktatoren Lügen und Propaganda von sich; gerade die UN-Generalsversammlungen boten ihnen dazu eine internationale Bühne. Doch stießen sie früher auf den Widerspruch eines Westens unter der Führung der USA, der der Propaganda oftmals entgegentrat und der die Lügen nicht einfach im Raum stehen ließ. Davon kann heute keine Rede sein. Anstatt Diktaturen wie das iranische Regime öffentlich anzuprangern, spricht man heute von ‚Respekt‘ und von ‚Begegnungen auf Augenhöhe‘. Westliches Selbstbewusstsein ist dem Appeasement von anti-westlichen Regimen gewichen. Die Werte, die einmal den Westen ausmachten, werden, wie Alexander Kissler schreibt, gelegentlich noch in Sonntagsreden bemüht, von Montag bis Samstag unternimmt man aber nichts, um diese Werte zu verteidigen.

„Words matter“, lautete eine der festen Überzeugungen von Daniel Patrick Moynihan, einem ehemaligen Botschafter der USA bei den Vereinten Nationen. Als die UN-Generalversammlung 1975 den Zionismus zu einer Form des Rassismus erklärte, stellte er fest: „Now that is a lie, but as it is a lie which the United Nations has now declared to be a truth, the actual truth must be restated.“ Während heutzutage der Obama-Administration die Vorstellung Kopfschmerzen bereitet, bei den Vereinten Nationen allein dazustehen, sah Moynihan es als seine und die Aufgabe der USA an, notfalls auch isoliert zu sein, wenn das der Preis dafür ist, der Propaganda entgegenzutreten.

Seine Tradition einer selbstbewussten Diplomatie, die darin bestand, Lüge und Heuchelei nicht unwidersprochen zu lassen, ist weitgehend verschüttgegangen – zum Schaden einer Welt, in der die Freiheit Freedom House zufolge das neunte Jahr in Folge im Rückgang begriffen ist.

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