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Wochenbericht, 4.11. bis 10.11.2013

In dieser Ausgabe:
I. Allgemeiner Überblick
II. Islamisierung der Türkei: Erdogans Moralpolizei
III. Arafats „Vergiftung“
IV. Atomverhandlungen in Genf: Die Buhmänner Israel und Frankreich

I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 302 Beiträge mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 4.11. bis 10.11.2013

Dabei wurden folgende Länder am häufigsten erwähnt:

Wochenbericht, 4.11. bis 10.11.2013

In den insgesamt 108 relevanten Beiträgen der wichtigsten Radio- und Fernsehnachrichtensendungen des ORF standen folgende Länder im Mittelpunkt der Berichterstattung:

Wochenbericht, 4.11. bis 10.11.2013

II. Islamisierung der Türkei: Erdogans Moralpolizei

Nicht einmal ein Woche war es her, dass vier Abgeordnete der islamistischen AKP den Tabubruch begingen, im türkischen Parlament mit Kopftuch zu erscheinen (Standard, 2. Nov. 2013), da kündigte Premier Erdogan einen weiteren Schritt zur Islamisierung der Türkei an: In staatlichen Wohnhäusern, aber auch in Privatwohnungen sollen unverheiratete Frauen und Männer künftig nicht mehr zusammenwohnen dürfen. „Wer weiß, was dort alles vor sich geht“, raunte Erdogan, „(a)lles kann passieren.“ Nachdem erste Gerüchte über den Vorstoß des Premiers für Aufregung gesorgt hatten, bemühten sich dessen Parteikollegen, die ganze Angelegenheit als Missverständnis darzustellen. Doch anstatt sich an der Verbreitung des Märchens vom angeblich in den Medien falsch zitierten Regierungschef zu beteiligen, legte dieser nach: „Wir haben nicht erlaubt und erlauben nicht, dass junge Männer und Frauen miteinander in Wohnheimen beherbergt werden.“ (Standard, 7. Nov. 2013) Er mische sich nicht ins Privatleben der Bürger ein, behauptete Erdogan, um anschließend genau das zu tun: Es gebe ein „legitimes Privatleben und ein illegitimes Privatleben“ (Presse, 8. Nov. 2013), und wo letzteres stattfinde, müssten die  Sicherheits- und Provinzbehörden einschreiten. Dem türkischen Innenminister Muammar zufolge sei das gemeinsame Wohnen von Burschen und Mädchen unter einem Dach die „Keimzelle der Prostitution, des Terrorismus und der Kriminalität“. (Kurier, 8. Nov. 2013; Ö1-Morgenjournal, 7. Nov. 2013)

Die von Erdogan & Co. geforderte Geschlechtertrennung trägt bereits erste Früchte. Bereits Ende Oktober führte ein Gymnasium in Isparta getrennte Essenszeiten für Mädchen und Buben in der Schulkantine ein. (Standard, 7. Nov. 2013) Zwei Studentinnen in Istanbul fanden an ihrer Wohnungstür einen Zettel, auf dem zu lesen war: „In diesem Appartement leben Mädchen und Burschen gemeinsam unter einem Dach. Ein solches Verhalten ist in unseren Gebäuden nicht tragbar. Wenn sie solche Personen sehen, informieren Sie die Polizei.“ (Kurier, 8. Nov. 2013) Es blieb nicht bei solchen Drohungen und Denunziationsaufrufen selbsternannter, vom Premier angestachelter Sittenwächter: Wie der Standard berichtete, sind in der anatolischen Stadt Manisa am Wochenende sechs Polizisten um halb zwei Uhr nachts mit der Frage „Leben hier Männer und Frauen zusammen?“ in eine Privatwohnung eingedrungen und verhängten Geldstrafen von jeweils rund 33 Euro über die anwesenden Männer und Frauen. (Standard, 11. Nov. 2013) Die taz berichtete über eine regelrechte Serie von Polizeirazzien in Studentenwohnheimen, -wohnungen und in von Studenten häufig aufgesuchten Cafés in Istanbul: „Dabei wurde nach unverheirateten Paaren geforscht, Ausweise wurden kontrolliert, Lebensgewohnheiten erfragt und Ordnungsstrafen verhängt – angeblich wegen Ruhestörung.“ Während „Hardcoreanhänger“ ihrem Idol Erdogan „begeistert zustimmen und nun reihenweise vermeintlich sittenlose Studentinnen und Studenten bei der Polizei denunzieren, ist der Rest der Gesellschaft bis weit in die Reihen seiner eigenen Partei hinein geschockt, dass Erdogan jetzt allen, die seine Moralvorstellungen nicht teilen, die Sittenpolizei auf den Hals schicken will.“

Während diese skandalösen Vorgänge in den ORF-Fernsehnachrichten überhaupt nicht vorkamen und in der Kronen Zeitung sowie der Kleinen Zeitung nur in jeweils einer Kurzmeldung erwähnt wurden (Kronen Zeitung, 8. Nov. 2013; Kleine Zeitung, 9. Nov. 2013), waren sie einzig und allein Christian Ultsch in der Presse einen Kommentar über den „Angriff auf die Freiheit der Türken“ und den „Partriarchen“ Erdogan wert, der permanent seine Nase in Angelegenheiten stecke, die ihn nichts angingen. Ultsch blieb auch der einzige in Österreichs Medienlandschaft, der die EU aufforderte, Konsequenzen zu ziehen: Für die sei es an der Zeit, „Lehren zu ziehen“: „Eine islamistische unfreie Türkei nach Erdogans Moralonkel-Art hat nichts in Europas Wertegemeinschaft zu suchen.“ (Presse, 8. Nov. 2013)

Die relative Zurückhaltung in der Berichterstattung über die, vor allem aber in der Kommentierung der Vorgänge in der Türkei in österreichischen Medien ist insofern bemerkenswert, als Erdogan mit seinem Geschlechtertrennungs-Vorstoß und seinem Aufruf zur Denunziation „illegitimen Privatlebens“ viel deutlicher als bisher eine Grenze überschritten hat. Versuchten seine Verteidiger, die die Warnung vor einer Islamisierung der Türkei in der Vergangenheit als „Nonsens“ (Kurier, 31. Mai 2013) abqualifizierten, beispielsweise das Tragen des Kopftuches – vom Premier immerhin als „Befehl des Glaubens“ bezeichnet (Standard, 2. Nov. 2013) – zu einem Beleg für mehr persönliche Freiheit umzudeuten, weil dessen Tragen eine persönliche Entscheidung der Frauen sei, die schließlich nicht mit staatlichem Zwang verbunden wäre, kann davon im Hinblick auf die aktuellen Entwicklung keine Rede mehr sein: Wenn unverheiratet zusammenwohnenden Männern und Frauen selbst ermächtigte Sittenwächter und die Polizei an den Hals gehetzt werden, stößt die Verharmlosung der von Erdogan forcierten Islamisierung der Türkei an kaum überwindbare Grenzen. Wie weit der Premier bereits gekommen ist, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass offenbar sein bloßer Zuruf schon ausreicht, um private wie staatliche Moralpolizisten in Bewegung zu setzen, um bar jeder rechtlichen Grundlage Menschen zu schikanieren und (vorerst noch?) Geldstrafen zu verhängen.
 

III. Arafats „Vergiftung“

Seit seinem Hinscheiden im November 2004 wird von palästinensischer Seite immer wieder das Gerücht in Umlauf gebracht, dass Israel für den Tod von Jassir Arafat verantwortlich sei. (Einen Überblick über die Geschichte dieser Behauptung und der damit oftmals verbundenen antisemitischen Hasspredigten finden Sie bei Palestinian Media Watch.) Die vergangene Woche sah eine Neuauflage dieser Farce: Ein Schweizer Labor veröffentlichte die Ergebnisse der Untersuchung von einigen dem Grab Arafats entnommenen Proben sowie den Inhalten einer Reisetasche Arafats, darunter Kleidungsstücke, an denen Blut- und Urinspuren gefunden wurden. Laut den Schweizer Experten soll an den exhumierten Proben eine deutlich höhere Konzentration des radioaktiven Stoffes Polonium gefunden worden sein. „Jetzt scheint festzustehen, dass Arafat vergiftet wurde“, lautete das Resümee der Kleinen Zeitung (7. Nov. 2013), das sinngemäß auch in allen anderen Medien zu finden war.

Bei näherem Hinsehen zeigt sich freilich, dass die Untersuchungsergebnisse nicht so eindeutig sind, wie sie anfangs präsentiert wurden. Die Schweizer Experten stellten laut der ZiB klar, „dass es keine nachvollziehbare Beweise für einen Giftmord“ gebe. (ZiB, 7. Nov. 2013) Der Direktor des Instituts für Radiologie an der Uni-Klinik Lausanne wurde in einem Artikel in der Presse mit den Worten zitiert: „Man kann nicht sagen, dass Polonium die Todesursache war … Man kann es aber auch nicht ausschließen.“ (Presse, 8. Nov. 2013) Aufgelistet wurde sodann, welche Indizien im Falle Arafats auf eine Poloniumvergiftung hinwiesen. Die Gründe, die dagegen sprechen, suchte man in dem Beitrag allerdings vergeblich. Einer dieser Punkte ist, dass im Gegensatz zu Alexander Litvinenko, dessen Tod 2006 der bisher einzig bekannte Mord mittels Polonium ist, bei Arafat kaum Anzeichen einer radioaktiven Vergiftung zu bemerken waren. Im Untersuchungsbericht ist zu lesen: „The clinical description is not consistent with typical acute radiation syndrome“.

Darüber hinaus machten die Schweizer Wissenschaftler fünf grundsätzliche Einschränkungen bezüglich ihrer Untersuchung (teilweise wurden diese in den Salzburger Nachrichten am 8. Nov. 2013 angeführt):  Erstens gab es einen Mangel an brauchbaren biologischen Proben. Die 2004 im Krankenhaus im Frankreich entnommenen Blut- und sonstigen Proben existieren nicht mehr. Deshalb musste die Untersuchung zweitens an einer sehr kleinen Auswahl an unüblichen Proben durchgeführt werden, die alle sehr problematisch waren. Wörtlich heißt es in dem Bericht: „We have limited experience working with such specimen and very little has been published in the scientific literature.” Drittens waren zwischen dem Tod Arafats und der Entnahme der Proben schon acht Jahre vergangen. Nach so langer Zeit und bei alles andere als perfekten Lagerbedingungen der Proben könnten Verunreinigungen der Proben und die Effekte äußerer Einwirkungen nicht ausgeschlossen werden. Polonium ist mit seiner Halbwertszeit von 138 Tagen nach acht Jahren nur mehr sehr schwer nachweisbar. Viertens kann für die Proben aus Arafats Reisetasche die „chain of custody“ nicht belegt werden, d.h. deren Herkunft ist nicht nachvollziehbar. Schließlich gibt es fünftens so gut wie keine Fachliteratur über Polonium-Vergiftungen, auf die sich die Experten bei ihrer Arbeit stützen hätten können.

Vor dem Hintergrund dieser Einschränkungen und der vor einigen Wochen veröffentlichten Ergebnisse russischer Forscher, die im Fall Arafats keinerlei Hinweise auf eine Polonium-Vergiftung finden konnten, ist die Behauptung, Arafat sei radioaktiv vergiftet worden, doch fraglich – die Ergebnisse eines dritten Untersuchungsteams aus Frankreich stehen noch aus.

Selbst wenn eine Vergiftung Arafats erwiesen werden sollte, wäre damit selbstverständlich nicht geklärt, wer dafür verantwortlich war. Für eine große Mehrheit der Palästinenser spielt diese Frage keine Rolle: Sie war nicht nur von Anfang an davon überzeugt, dass ihr Führer ermordet wurde, sondern hat auch keinerlei Zweifel, wer der Schuldige ist. Wie Ben Segenreich im Standard und in den ORF-Hauptnachrichten berichtete, sorgten die Neuigkeiten aus Lausanne deshalb in Ramallah nicht für Aufregung. (ZiB, 7. Nov. 2013; Standard, 8. Nov. 2013; ähnlich berichtete auch die Presse, 8. Nov. 2013) Dass eine palästinensische Untersuchungskommission jetzt Israel als den „einzige(n) Verdächtigen“ hinter dem „Verbrechen des 21. Jahrhunderts“ ausmachte, ist wenig verwunderlich. (Kurier, 9. Nov. 2013) Ein PLO-Führungsmitglied forderte die Einsetzung einer internationalen Untersuchungskommission (Ö1-Abendjournal, 7. Nov. 2013), der palästinensische Abgeordnete Mustafa Barguti will die (israelischen) „Mörder“ sogar vor den Internationalen Strafgerichtshof bringen.  (ZiB, 7. Nov. 2013)

Soweit sich österreichische Medien an den Spekulationen über die Verantwortlichen für die „Ermordung“ Arafats beteiligten, wurden die Anschuldigen an die Adresse Israels als sehr unplausibel dargestellt. Gil Yaron erinnerte in der Kleinen Zeitung daran, dass Arafat zum Zeitpunkt seines Todes international isoliert war und in seiner umzingelten Amtssitz-Ruine in Ramallah saß. Sein öffentliches Image war das der „Fratze eines Mannes, der Millionen an Spendengeldern veruntreut hatte, der sein eigenes Volk mit sieben verschiedenen Sicherheitsorganen beherrschte und der den Terror gegen israelische Zivilisten zumindest befürwortete.“ Für den israelischen Premier Sharon sei Arafat genau das gewesen, was er brauchte, um den israelischen Gaza-Abzug durchsetzen zu können: „Ein Politiker, der die Palästinenser diskreditierte und jede Forderung, mit ihnen zu verhandeln, absurd erscheinen ließ.“ (Kleine Zeitung, 8. Nov. 2013; fast wortgleich auch in den Salzburger Nachrichten, 8. Nov. 2013) Ähnlich sah das Thomas Vieregge in der Presse: „Welchen Nutzen sollte der Tod einer Gallionsfigur haben, den Israel bereits lange kaltgestellt hatte, der am Ende politisch mehr tot als lebendig war?“ (Presse, 8. Nov. 2013) So sehr Vieregger die Vorwürfe gegen Israel zurückwies, so fragwürdig war seine Bezeichnung der israelischen Reaktionen auf die Schweizer Untersuchungsergebnisse als „hämisch“ sowie seine ohne jeglichen Beleg vorgebrachte Belehrung, „Israel war schlecht beraten, dem palästinensischen Todfeind noch ins Grab hinterherzuspucken“.

Schließlich wurde auch mehrfach darauf hingewiesen, dass, wer sich unbedingt auf die Suche nach einem Mörder Arafats machen wolle,sich  weniger in Israel, als vielmehr in dessen engerer Umgebung umschauen sollte. Arafat hatte viele Gegner in den Reihen der Palästinenser, die ihm nach dem Leben trachteten. (Salzburger Nachrichten, 8. Nov. 2013) Arafats Witwe, die eine innige Feindschaft mit den Weggefährten ihres Mannes verband (Salzburger Nachrichten, 9. Nov. 2013), hielt sich dieser Tage jedenfalls auffällig zurück und beteiligte sich nicht an der anti-israelischen Hetze, die seit der Veröffentlichung des Untersuchungsberichts von Palästinenservertretern betrieben wird. Kein Wunder, geht sie doch davon aus, dass innerpalästinensische Rivalen Arafats für den angeblichen Mord verantwortlich waren. (Kronen Zeitung, 9. Nov. 2013)
 

IV. Atomverhandlungen in Genf: Die Buhmänner Israel und Frankreich

Die Verhandlungen der P5+1 mit dem Iran in Genf sind vorüber, das von vielen so sehnlich herbeigewünschte Abkommen zur Lösung des Atomstreits kam nicht zustande. In der medialen Berichterstattung wurden zwei Bösewichte auserkoren, die das vorläufige Scheitern der Verhandlungen verursacht hätten. Auf der einen Seite Israel, dessen Premier Netanjahu erklärte, nicht an das zur Diskussion stehende Abkommen gebunden zu sein, auf der anderen Seite Frankreich, dessen Außenminister Fabius den ausverhandelten Deal für unzureichend hielt und ablehnte.

Noch während die Verhandlungen in Genf liefen, wurde Israel in den Medien vielfach die Rolle des schwarzen Peters zugeschoben. Im Ö1-Mittagsjournal wurde Israel als „großes Risiko“ bezeichnet, weil es sich nicht verpflichtet fühle, sich „an irgendein Abkommen zu halten“. (Eine Behauptung, die in dieser Form unhaltbar ist. Sehen Sie dazu den MENA-Beitrag vom vergangenen Freitag.) Ein Experte der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik meinte im Interview, Israel habe sich durch seine unrealistischen „Maximalforderungen“ an den Iran selbst „ins Abseits manövriert“ und „ein Stück weit selbst isoliert“. (Ö1-Mittagsjournal, 8. Nov. 2013) Im Abendjournal war von israelischem „Störfeuer“ die Rede (Ö1-Abendjournal, 8. Nov. 2013), eine Formulierung, die sich auch in der Kronen Zeitung fand. (10. Nov. 2013) Während in Genf um eine Lösung gerungen werde, „steht Israel auf der Bremse“ (ZiB, 8. Nov. 2013) und leiste „heftigen … Widerstand“ dagegen, dass der Iran vom Westen „den Deal des Jahrhunderts“ angeboten bekomme, ohne selbst etwas geben zu müssen. (Standard, 9./10. Nov. 2013)

Als sich abzeichnete, dass die Verhandlungen ohne ein Abkommen zu Ende gehen werden, rückte Frankreich immer stärker ins Rampenlicht, das plötzlich dem zur Debatte stehenden Deal – Aussetzung bestimmter Elemente des Atomprograms für die Lockerung einiger Sanktionen – nicht zustimmen wollte. Der Presse zufolge ging es Frankreich vor allem um den in Bau befindlichen Schwerwasserreaktor in Arak, in dem der Iran in Zukunft waffenfähiges Plutonium gewinnen könnte. (Presse, 10. Nov. 2013) Von einem „Gruppenbild ohne Franzose“ sprach deshalb Gudrun Harrer im Standard und beschrieb das sich durchsetzende Narrativ: „Wenn Frankreich nicht gewesen wäre, hätten die restlichen P5+1 … einem Deal mit Teheran zugestimmt.“ (Standard, 11. Nov. 2013) Das „Enfant terrible“ Frankreich habe den Iran-Deal verhindert, urteilte die Presse. (11. Nov. 2013) Wie die Times of Israel berichtet, bemühen sich amerikanische Diplomaten allerdings, das Bild vom Bremser Frankreich zu revidieren. Außenminister Kerry meint, es sei der Iran gewesen, der letztlich dem angebotenen Deal nicht zugestimmt habe.

Die Berichterstattung über Frankreichs angebliches Bremsen war insofern interessant, als an ihr zu beobachten war, wie sehr so manche journalistische Einschätzung des Iran danebengeht. In der ZiB erklärte ORF-Korrespondent Schüller: „Dass jetzt gerade Frankreich blockiert und nicht die USA ist für Rohani persönlich gegenüber seinen Gegnern im Iran gut, dann wären es die USA, dann könnten seine Gegner sofort sagen, dass hier wiederum Israel dahinter ist. Und in dem Fall zwingt es die iranische Führung, sich doch auch mit der Skepsis des Westens ernsthaft auseinanderzusetzen.“ (ZiB, 10. Nov. 2013)

Die „ernsthafte Auseinandersetzung“ des Iran mit der westlichen Skepsis ließ nicht lange auf sich warten: Der oberste geistliche Führer Ali Khamenei beschuldigte Frankreich, seit Jahren eine iranfeindliche Politik betrieben zu haben, der Sprecher des iranischen Parlaments empörte sich über Frankreich, das dem „Willen des zionistischen Regimes“ folge. Wenn etwas nicht nach dem Geschmack des islamistischen Regimes läuft, stecken die „Zionisten“ dahinter – dass Schüller glaubte, diese völlig absehbare iranische Reaktion würde anders ausfallen, nur weil es sich dieses Mal nicht um Amerikaner, sondern um Franzosen handelte, zeigt eindringlich, wie sehr er die Geschlossenheit des antisemitischen Weltbildes unterschätzt, mit dem die Führung in Teheran das Weltgeschehen bewertet.

Warum Israel zwar nicht jedem Abkommen mit dem Iran, sehr wohl aber dem in Genf diskutierten Deal ablehnend gegenübersteht, ist kein Geheimnis. In den Worten Stefan Winklers in der Kleinen Zeitung: „Alles andere als ein Stopp des iranischen Nuklearprogramms und die Zerstörung der Nuklearanlagen wäre ein fauler Deal, der Teheran alle Optionen offenhielte, warnt Israels Premier Benjamin Netanjahu den Westen vor einer falschen Appeasement-Politik.“ In einer für österreichische Medien ungewohnten Klarheit fuhr Winkler fort: „Die Geschichte gibt ihm recht. Die Mullahs haben im Atomstreit zu oft mit gezinkten Karten gespielt. Welchen Vorschlag sie immer in den vergangenen zehn Jahren machten, er entpuppte sich am Ende als Blendwerk, um die aggressiven nuklearen Ambitionen des Landes zu verschleiern.“ Die Sanktionen seien der einzige Grund, weshalb der Iran jetzt verhandeln wolle; sie ohne verbindliche Abmachung zu lockern, wäre ein „schwerer Fehler“. (Kleine Zeitung, 11. Nov. 2013) Genau diesen Fehler war der Westen aus israelischer Sicht gerade dabei zu begehen: Eine Lockerung der Sanktionen als Belohnung für ein Aussetzen der Urananreicherung auf 20 Prozent ließe die Anreichungskapazitäten des Iran unangetastet und die Option auf die Bombe weiter offen. Sollte der Reaktor in Arak, der keinerlei Sinn für das angeblich nur friedliche Atomprogramm des Iran macht, fertiggestellt werden, stünde dem Regime darüber hinaus früher oder später auch der alternative Weg zur Bombe zur Verfügung.

Während über Bedeutung und Folgen des nicht zustande gekommenen Deals diskutiert wird, wartete die Kronen Zeitung heute mit einer Einschätzung auf, die zwar ein wenig simpel, vielleicht aber genau deshalb sehr zutreffend ist: „Die Tatsache, dass Irans Außenminister Zarif trotz des fehlgeschlagenen Verhandlungsdurchbruchs am fröhlichsten unter den sechs Ministern heimgeflogen ist, sieht verdächtig aus.“ (Kronen Zeitung, 11. Nov. 2013)

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