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Wochenbericht, 29.9. bis 5.10.2014

In dieser Ausgabe:

I. Allgemeiner Überblick
II. Die Türkei, der „Islamische Staat“ in Syrien und die „Peschmerga“ in Kobane
III. Muss der Iran „ins Boot geholt werden“?
 

I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 342 Beiträge (zuletzt: 419) mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 29.9. bis 5.10.2014

Folgende Länder standen im Mittelpunkt der Berichterstattung:

Wochenbericht, 29.9. bis 5.10.2014

Die Auswertung der insgesamt 139 relevanten Beiträge (zuletzt: 189) der wichtigsten Fernseh- und Radionachrichtensendungen des ORF ergibt ein sehr ähnliches Bild, wurde darin nämlich auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:

Wochenbericht, 29.9. bis 5.10.2014

II. Die Türkei, der „Islamische Staat“ in Syrien und die „Peschmerga“ in Kobane

Das dominierende Thema der Woche war der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) auf die an der Grenze zur Türkei liegende kurdische Stadt Kobane im Norden Syriens. Während sich der von IS-Milizen errichtete Ring um die Stadt immer enger zuzog und sich der Flüchtlingsstrom in die Türkei fortsetzte, waren alle Augen auf die türkische Regierung gerichtet.

Ein türkischer Armeeeinsatz scheint die einzige Möglichkeit zu sein, den Fall Kobanes zu verhindern. Die der „Partei der demokratischen Union“ (PYD) nahestehenden „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) werden mit ihrer nur leichten und mangelhaften Bewaffnung dem Ansturm der Dschihadisten auf lange Sicht nicht standhalten können. (Immer wieder ist im Zusammenhang mit den Verteidigern der Stadt von „Peschmerga“ die Rede, so z.B. in der ZiB am 1. Okt. 2014 oder den Salzburger Nachrichten am 3. Okt. 2014, obwohl damit nur die Streitkräfte der autonomen Kurdenregion im Irak, nicht aber kurdische Einheiten in Syrien bezeichnet werden.) Zwar flog die US-Luftwaffe einige Angriffe auf die vorrückenden Islamisten, doch fielen die, sehr zur Enttäuschung der hilflos zusehenden Kurden, bei weitem nicht stark genug aus, um die Kräfteverhältnisse am Boden zu verändern. „Was ist so schwer daran, sie zu bombardieren?“, zitierte der Standard einen türkischen Kurden, der kürzlich erst IS-Terroristen beim Umladen von Waffen zwischen Lastwägen beobachtet hatte. „Wenn wir es sehen, dann können die Amerikaner das wohl auch“. (Standard, 1. Okt. 2014)

Die türkische Armee ist entlang der Grenze postiert und könnte dem Treiben des IS in Kobane ein Ende bereiten. Am vergangenen Donnerstag verabschiedete das türkische Parlament einen Beschluss, der einen Einsatz türkischer Truppen in Syrien ermöglichen würde (Kurier, 3. Okt. 2014). Die Regierungspartei und die Rechtsnationalisten unterstützten den Antrag der Regierung, Sozialdemokraten und Kurden lehnten ihn dagegen ab. Der Versicherung von Premierminister Davutoglu, dass die Türkei den Fall Kobanes nicht zulassen werde (ZiB, 3. Okt. 2014; Kleine Zeitung, 4. Okt. 2014), schenken sie keinen Glauben. Den von der Regierung immer wieder ventilierten  Plan zur Errichtung einer „Sicherheitszone“ auf syrischem Gebiet, in die hunderttausende syrische Flüchtlinge zurückkehren können sollen, hält der kurdische Politiker Ibrahim Halil Baran für einen Vorwand, der in Wahrheit der Verwirklichung eines neo-osmanischen Traumes dienen soll: der Besetzung der Kurdengebiete in Syrien. (Standard, 3. Okt. 2014)

Hierzulande wurde die plötzliche Bereitschaft der Türkei, sich am Kampf gegen den IS zu beteiligen, von Georg Hoffmann-Ostenhof als Grund gesehen, „ein wenig zuversichtlicher in die Zukunft (zu) blicken“. Der „Beitritt der Türkei zur Kriegsallianz“ gegen den IS habe „die strategische Lage grundlegend“ verändert, könnte Ankara doch jetzt die Bodentruppen beisteuern, derer es im Kampf gegen die Dschihadisten bedürfe. „Ein Sieg gegen den IS ist erstmals absehbar.“ (profil 41/2014) Ganz in diesem Sinne meinte Thomas Spang, das neu erwachte türkische Engagement lasse die Syrien-Strategie von Präsident Obama „plötzlich sehr viel plausibler erscheinen“. Der NATO-Partner Türkei habe „die Kapazitäten, es mit den Terrorbrigaden aufzunehmen.“ Erdogan dürfe allerdings nicht den „Fehler“ begehen, den Kampf gegen den IS „bloß als Vorwand zu nutzen, um die Kurden in der Region kleinzuhalten.“ (Salzburger Nachrichten, 30. Sep. 2014) Spang schien gar nicht aufzufallen, dass er kurzerhand seine eigenen Vorstellungen darüber, was ein Fehler sei und was nicht, völlig ungebremst auf den türkischen Präsidenten projizierte. Was aber, wenn der die Niederhaltung der Kurden nicht für einen „Fehler“ hält, sondern als strategisches Ziel erachtet? Spangs SN-Kollege Michael Wrase war überzeugt, dass Ankara „nicht im Sinne der Anti-IS-Allianz“ handeln wolle. „Anstatt die IS-Milizen konsequent zu bekämpfen, soll in Syrien eine möglichst breite Schutzzone geschaffen werden.“ Der IS könne damit leben, er würde „sich nach Süden zurückziehen, was die syrischen Kurden nicht können.“ Sie müssten dann in einer „Schutzzone“ unter türkischer Besatzung leben. „Um nichts anderes geht es Erdogan. Er will die kurdischen Autonomiebestrebungen auf breiter Front ersticken.“ Sollte sich die Türkei dergestalt als „Ordnungsmacht“ aufspielen, wäre das Chaos perfekt. Doch wie Spang warnte auch Wrase den türkischen Präsidenten davor, die IS-Dschihadisten für seine eigenen strategischen Ziele zu instrumentalisieren. „Ein entsprechendes Machtwort des Westens wäre jetzt angebracht“, schloss er seinen Kommentar. (Salzburger Nachrichten, 2. Okt. 2014) Aber woher sollte ein solches Machtwort kommen?

Der Großteil der österreichischen Beobachter betrachtete die Bereitschaft der türkischen Regierung zum Anti-IS-Kampf mit deutlicher Skepsis. Die Türkei habe den Krieg direkt hinter der syrischen Grenze bisher „als Zuseher in der ersten Reihe verfolgt“ (ZiB 13, 3. Okt. 2014), die Armee habe der Belagerung Kobanes bislang „tatenlos zugesehen“ und spiele anscheinend weiter auf Zeit. Es sei „kein Geheimnis, dass die Türkei die bewaffneten Kurden lange als größere Bedrohung als die IS-Extremisten betrachtet hat. Die Eroberung der Stadt könnte also bewusst in Kauf genommen werden.“ (ZiB, 3. Okt. 2014) Die türkische Regierung, aber auch große Teile der Opposition, würden gar keinen Anlass sehen, militärisch zugunsten der Kurden in Syrien einzugreifen. Vielmehr warte die türkische Regierung deren Niederlage ab, um dann nach ihren eigenen Vorstellungen eine „Sicherheitszone“ zu errichten. „Die Kurden in der Türkei verfolgen mit Bitterkeit, wie ihr Staat die Verwandten auf der syrischen Seite zugrunde gehen lässt.“ (Standard, 3. Okt. 2014) Auffällig an dem türkischen Parlamentsbeschluss sei, dass er einen möglichen Armeeeinsatz keineswegs nur auf den Kampf gegen den IS in Syrien beschränkt, sondern dieser sich auch auf den Irak und andere Terrorgruppen erstrecken kann: Namentlich genannt werden die kurdische PYD in Syrien und die PKK-Kämpfer im Nordirak. (Standard, 3. Okt. 2014)

In der Debatte über den angeblichen Kurswechsel der Türkei gegenüber dem IS blieben zwei Dinge unterbelichtet. Einerseits wurde stets der Eindruck erweckt, erst mit dem jüngsten Parlamentsbeschluss verfüge die türkische Regierung über die rechtliche Basis, um militärisch gegen den IS vorgehen zu können. Das stimmt allerdings nicht, denn ein solches Mandat gibt es schon seit zwei Jahren – es musste jetzt bloß verlängert werden. Hätte die Türkei militärisch etwas gegen den IS unternehmen wollen, hätte sie das längst tun können.

Andererseits wurde die Frage nicht diskutiert, warum die US-Luftwaffe eigentlich nur so zögerlich gegen die auf Kobane vorrückenden Milizen des IS vorging. Obwohl der Kampf gegen den IS der ausdrückliche Zweck der alliierten Luftschläge im Irak und in Syrien ist und an anderen Orten massive Attacken geflogen wurden, hielten sich die Angriffe in der Gegend um Kobane in Grenzen. Die Lage blieb, wie Michael Rubin bemerkte, lange Zeit äußerst seltsam: „(D)espite the heat of the battle around Kobane the United States and its Gulf allies did nothing to strike at Islamic State forces besieging the Kurds. It would be as if Franklin Delano Roosevelt declared that the United States would enter the war against Japan, and then proceeded to bomb Argentina.“

Für Rubin war die mangelhafte Unterstützung der kurdischen Verteidiger Kobanes Ausdruck der inkohärenten US-Strategie in Syrien: Wenn Luftschläge gegen den Vormarsch des IS effektiv sein sollten, müssten sie dort geschehen, wo der Kampf stattfindet – und nicht an anderen Orten, dutzende Kilometer weit entfernt. Wie lässt sich aber die seltsame Zurückhaltung bei Kobane erklären? Rubin kann nur mutmaßen: „Given that President Obama has insisted that he approve every strike inside Syria, the only logical conclusion is that Obama does not want to protect Kobane, perhaps out of deference to Turkey, which is suspicious of any Kurdish entity.“
 

III. Muss der Iran „ins Boot geholt werden“?

Georg Hoffmann-Ostenhof war, wie oben ausgeführt, in seinem dieswöchigen profil-Kommentar nicht nur vom vermeintlich wichtigen Beitrag zur Anti-IS-Allianz der Türkei angetan, sondern leitete daraus gleich den nächsten Arbeitsauftrag für US-Präsident Obama ab: „Nun muss der Iran ins Boot geholt werden.“ Das zentrale Problem beim Vorgehen gegen den IS, so führte Hoffmann-Ostenhof unter Berufung auf Fareed Zaakaria aus, seien die Sunniten im Irak. Um die sunnitischen Stämme gegen den IS zu wenden, müsse dort eine nicht-sektiererische Regierung gebildet werden. „Aber am Ufer des Tigris hält sich der politische Einfluss Amerikas in Grenzen“ – ganz im Gegensatz zu jenem Teherans. Wolle man also eine inklusivere irakische Regierung, wäre die Hilfe des Iran entscheidend. Daraus schließt Hoffmann-Ostenhof: „Es gilt also, die Atom-Verhandlungen mit den Iranern so schnell wie möglich zum Abschluss zu bringen, um dann Teheran ins gemeinsame Anti-IS-Boot zu holen“. (profil 41/2014)

Hoffmann-Ostenhofs Träumereien über eine Allianz mit dem Iran sind freilich ebenso deplatziert, wie seine Begeisterung über den türkischen Beitrag zum Anti-IS-Kampf. Nur wer in den vergangenen Jahren die Einflussnahmen des iranischen Regimes auf den Irak schlicht nicht zur Kenntnis genommen hat, kann sich der Illusion hingeben, es ginge Teheran um eine nicht-sektiererische Politik in Bagdad; nur wer ganz bewusst die Augen vor dem iranischen Treiben am Golf, in Syrien, im Libanon oder unter den Palästinensern fest verschließen will, kann davon fantasieren, dass eine inklusive, auf Versöhnung von Differenzen setzende Politik zu den Zielen der islamistischen Diktatur gehören könne. Und nur wer, wie Hoffmann-Ostenhof dies allerdings seit geraumer Zeit tut, die vom iranischen Atomwaffenprogramm ausgehenden Gefahren leugnet oder verharmlost, kann andere glauben machen wollen, dass ein möglichst schneller Abschluss der Atom-Verhandlungen mit dem Iran möglich sei. Seit dem Abschluss des Genfer Interimsabkommens gibt es in den Gesprächen der P5+1 so gut wie keine Fortschritte zu verzeichnen; gerade eben berichtete das Ö1-Morgenjournal wieder einmal darüber, dass die Verhandlungen zuletzt „kaum vom Fleck gekommen“ wären. (Ö1-Morgenjournal, 2. Okt. 2014) Kurz gesagt: Sollte der Westen nicht einfach kapitulieren und den Griff Teherans nach der Bombe akzeptieren, deutet nichts auf darauf hin, dass die diplomatischen Bemühungen zu einer Vereinbarung führen werden, die die Gefahr eines nuklear bewaffneten Iran verhindern könnte. (Leider gibt es nicht wenige Hinweise darauf, dass eine genau solche Kapitulation bevorstehen könnte. So wurde kürzlich erst Colin Kahl zum Nationalen Sicherheitsberater von Vize-Präsident Joe Biden ernannt. Kahl ist expliziter Befürworter einer Containment-Politik gegenüber einem nuklear bewaffneten Iran – obwohl Präsident Obama eine solche Politik in seinen öffentlichen Stellungnahmen zum Atomstreit bislang stets ausdrücklich ausgeschlossen hat. In Obamas diesjähriger Rede vor der UN-Generalversammlung spielte der Iran kaum eine Rolle, der Ton hatte sich im Vergleich zu seiner Ansprache vor einem Jahr deutlich gemildert. Seit dem Genfer Interimsabkommen hat sich der wirtschaftliche Druck auf das iranische Regime deutlich abgeschwächt, von politischem oder gar militärischem Druck kann im Grunde nicht mehr die Rede sein.)

Illusionen über den Charakter und die Politik des iranischen Regimes kann man sich darüber hinaus aber auch nur hingeben, wenn man konsequent die Nachrichten ignoriert, die aktuell aus dem Iran zu vernehmen sind. Gerade ging in Teheran wieder einmal eine Konferenz von Holocaust-Leugnern, Israelhassern und Antisemiten jeglicher Couleur zu Ende. Die Kleine Zeitung berichtete auf ihre Homepage: „Themen der ‚Neue-Horizonte‘-Konferenz waren ‚die islamische Erweckungsbewegung‘, die ‚Rolle der zionistischen Lobbys in der Krise in Europa und den USA‘, die ‚Vorstellung internationaler anti-zionistischer und anti-imperialistischer Persönlichkeiten‘ sowie der ‚islamische Widerstand gegen das zionistische Regime‘.“ Die antifaschistische Webseite „stoppt die rechten“ bezeichnete es als „eine ganz wilde und unappetitliche Mischung, die sich da in Teheran Ende September auf Einladung der iranischen Regierung … versammelt hatte.“

Über die Gründe, die das Regime gerade jetzt eine solche Veranstaltung durchführen ließen, kann zu diesem Zeitpunkt nur spekuliert werden. (Sehen Sie dazu die Überlegungen von David Frum auf The Atlantic.) Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich unter den Teilnehmern an diesem antisemitischen Happening gleich zwei ehemalige iranische Chefunterhändler in Sachen Atomverhandlungen befanden, Saeed Jalili und Ali Asghar Soltanieh.

Wer angesichts des Terrors des IS ein Bündnis mit dem iranischen Regime fordert, sollte sich zu guter Letzt noch zu Gemüte führen, was der oberste geistliche Führer der Islamischen Republik, Ali Khamenei, erst am vergangenen Freitag zum Besten gab: Anlässlich des islamischen Opferfestes rief er die „islamische Welt“ dazu auf, sich zum Krieg gegen „die Feinde des Islam, ihnen allen voran Israel“, zusammenzuschließen. Die Terrorgruppen IS und al-Qaida seien „Schöpfungen des Westen, besonders der Amerikaner und ihrer Alliierten in der Region“. Khamenei bejubelte den jüngsten Krieg der Hamas gegen den „zionistischen Feind“, der den verbrecherischen Westen symbolisiere. Das „zionistische Regime und seine Unterstützer stehen kurz vor dem Kollaps und ihrer totalen Auslöschung.“

Gut möglich, dass Hoffmann-Ostenhof auch diesen Aufruf zur Vernichtung Israels einfach leugnen wird, so wie er es in der Vergangenheit bei entsprechenden Äußerungen von Mahmud Ahmadinedschad getan hat. (profil 16/2012) Aber man sollte sich im Klaren darüber sein, worum es sich bei seiner Forderung, das iranische Regime in die Anti-IS-Allianz aufzunehmen, handelt: um den Aufruf, sich im Kampf gegen eine brutale, anti-westliche,  antisemitische und islamistische Mörderbande mit einem brutalen, anti-westlichen, antisemitischen und islamistischen Mörderregime gemein zu machen, das maßgeblich für den Aufstieg der zuerst genannten Bedrohung mitverantwortlich ist – und darüber hinaus kurz vor der Entwicklung der Bombe steht.

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