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Wochenbericht, 29.10. bis 4.11.2012

Die Entwicklungen im Bürgerkriegsland Syrien standen einmal mehr im Zentrum der Nahostberichterstattung österreichischer Zeitungen. Daneben waren aber auch die Vereinigten Staaten von Amerika prominent vertreten. Vor den morgigen Präsidentschaftswahlen zogen einige Medien Bilanz über die Präsidentschaft Barack Obamas, die in vielerlei Hinsicht auch von Entwicklungen im Nahen Osten geprägt war.

Allgemeiner Überblick

In den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Zeitungen erscheinen in der vergangenen Woche insgesamt 202 Beiträge mit Bezug auf Nordafrika und den Nahen Osten:

Wochenbericht, 29.10. bis 4.11.2012

An der Grafik fällt vor allem die deutliche Abweichung von der normalen Verteilung der publizierten Beiträge ab – dass sowohl Kurier als auch Kronen Zeitung mehr relevante Artikel veröffentlichten als die üblichen Spitzenreiter Standard und Presse, ist auf zwei Gründe zurückzuführen. Erstens gab es mit Allerheiligen wieder einmal einen Feiertag, an dem Standard und Presse nicht erschienen. Der zweite Grund für die unübliche Verteilung der Artikel lässt sich anhand der zweiten Grafik erahnen:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 5Nov12 - Tab2

Wie schon in der Vorwoche, fanden sich auch dieses Mal die Vereinigten Arabischen Emirate unter den am häufigsten erwähnten Ländern des Nahen Ostens. War zuletzt die Berichterstattung über den Mord-Prozess gegen einen österreichischen Arzt in Dubai diesbezüglich der ausschlaggebende Faktor, so war es jetzt die Formel 1, die am Wochenende in Abu Dhabi gastierte. Über den Motorsport wird im Boulevardblatt Kronen Zeitung weitaus mehr berichtet als in Qualitätsmedien. Zum Vergleich: Im Standard fanden sich in der vergangenen Woche drei Artikel, in denen die Vereinigten Arabischen Emirate erwähnt wurden, in der Krone waren sie dagegen mit 12 Artikeln sogar das Land, über das am meisten berichtet wurde.

Syrien: Neuer Anlauf für Opposition

Dominiert wurde die Nahostberichterstattung österreichischer Zeitungen ein weiteres Mal von den aktuellen Entwicklungen in syrischen Bürgerkrieg. Der vom UN-Sondergesandten Brahimi ausgehandelte Waffenstillstand (Standard, 25. Okt. 2012) zum islamischen Opferfest wurde nicht eingehalten (Presse, 29. Okt. 2012). Laut Angaben aus Oppositionskreisen seien über 400 getötete Zivilisten zu beklagen gewesen. Der türkische Außenminister Davutoglu meinte in diesem Zusammenhang, jeder Dialog mit einem Regime, „das auch noch über die Feiertage sein Volk niedergemetzelt hat, ist sinnlos.“ (Kurier, 31. Okt. 2012)

Die USA versuchen unterdessen, repräsentative Kräfte der syrischen Opposition in einem neuen Gremium zusammenzufassen. Auf einer Konferenz in Katar soll in dieser Woche der neue „National Initiative Council (NIC)“ gegründet werden. Der bisherige Ansprechpartner des Westens, der „Syrian National Council (SNC)“ scheint damit ausgedient zu haben: In Syrien selbst galt er als eine Vereinigung von Exilanten, die von der Realität in Syrien wenig Ahnung hatten. Darüber hinaus wurde ihm vorgeworfen, zum großen Teil eine „Frontorganisation für die syrische Muslimbruderschaft“ zu sein. US-Außenministerin Clinton stellte jedenfalls kürzlich klar, der SNC könne nicht mehr „als sichtbarer Führer der Opposition“ gelten. Hinter dem Versuch der Schaffung einer neuen Dachvereinigung oppositioneller Kräfte sah Gudrun Harrer die „Erkenntnis, dass man für den Moment, in dem das Regime stürzt, nicht vorbereitet ist.“ (Standard, 3./4. Okt. 2012) Ob der neu zu gründende NIC zur Lösung dieses Problems beitragen wird können, bleibt abzuwarten. Wenigstens kann der Versuch ohne massiven Zeitdruck unternommen werden, denn momentan deutet wenig darauf hin, dass die seit einiger Zeit existierende Pattstellung bald überwunden wird, in der weder das Regime noch die Opposition den Krieg für sich entscheiden können.

Die US-Wahlen und der Nahe Osten

Sowohl der Standard als auch die Presse nahmen die bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den Vereinigten Staaten zum Anlass, auf das aktuelle Verhältnis der USA zum Nahen Osten einzugehen.

Laut Gudrun Harrer würde in der arabischen Welt zwar Amtsinhaber Obama die Wahl gegen seinen Kontrahenten Mitt Romney gewinnen, aber nur als „geringeres Übel“. Dass kein „Enthusiasmus für Obama bei den Arabern“ zu bemerken wäre, sei vor allem auf einen „Ärger über den Stillstand im Nahost-Friedensprozess“ zurückzuführen. Weder habe Obama den „absoluten Siedlungsbaustopp“ erzwingen können, den er in seiner Rede in Kairo 2009 gefordert hatte, noch habe er der vor den Vereinten Nationen 2010 ausgesprochen Hoffnung, binnen eines Jahres einen Palästinenserstaat begrüßen zu dürfen, entsprechende Taten folgen lassen. Dass aus der Schaffung eines Palästinenserstaates nichts wurde, dafür trage Obama selbst zumindest eine Mitverantwortung, denn „dass die Palästinenser bei andauerndem Siedlungsbau nicht mit Israel verhandeln wollten, war zum Teil das Resultat der Obama-Rede in Kairo.“ (So wird im Standard, wenn auch nur auf dem Umweg über die US-Wahlen, zur Abwechslung einmal festgehalten, weshalb es zu keinerlei Verhandlungsfortschritten im ‚Friedensprozess‘ gekommen ist: Die palästinensische Führung wollte nicht verhandeln und nutzte den israelischen Siedlungsbau als Vorwand für ihre Verweigerungshaltung.)

Insgesamt sei der Eindruck weit verbreitet, dass „der US-Einfluss in der Region schwindet“. Der Irak stehe unter dem Einfluss des Iran, in Tunesien, Ägypten und dem Jemen seien „US-Verbündete gefallen“. Dass Obama sich hinter die „Revolutionen“ selbst dann noch stellte, als „die Stärke der Islamisten klar wurde“, habe ihm gewisse Sympathien gebracht, „beim säkularen Sektor der arabischen Gesellschaft aber auch Empörung“ ausgelöst. Insbesondere am Golf sei man „entsetzt“ darüber gewesen, wie schnell Obama langjährige Verbündete fallen gelassen habe. Dazu geselle sich noch Enttäuschung über die Iran- sowie die Syrienpolitik, weil der Präsident die Chance verabsäumt habe, „den Iran aus der Region zu drängen“. (Standard, 2. Nov. 2012)

Erst gegen Ende ihres Artikels kam Harrer also auf die Konfrontation mit dem Iran zu sprechen, die, wie man spätestens seit den Veröffentlichungen von WikiLeaks wissen müsste, aus Sicht vieler arabischer Staaten weitaus wichtiger ist als der israelisch-palästinensische Konflikt. Aber anscheinend ist seit dem November 2010, dem Monat der Veröffentlichung diplomatischer US-Berichte, bereits genug Zeit vergangen, um zur alten Fehleinschätzung zurückzukehren, dass es die Lage der Palästinenser sei, die für die Menschen im Nahen Osten von überragender Bedeutung sei.

Konstatiert Harrer in der arabischen Welt fehlenden Enthusiasmus für Obama, so fällt die Bewertung des US-Präsidenten in der Türkei Markus Bernath zufolge deutlich besser aus. Obama und Außenministerin Clinton hätten ein „Sonderverhältnis“ zu „ihren Gesprächspartnern in Ankara“ aufgebaut und „Meinungsverschiedenheiten kleingeredet“. Die Obama-Administration habe keine Gelegenheit ausgelassen, „die neue Rolle der Türkei als Mittler und Gestalter im Nahen und Mittleren Osten zu betonen“. (Ebd.) Leider wird man der Einschätzung Bernaths, dass Obama seine „Gesprächspartner in Ankara“ – also die Islamisten unter Premier Erdogan – besonders schätzen würde, kaum widersprechen können. Barry Rubin formulierte es im vergangen März weniger zurückhaltend: „President Barack Obama is continuing his love affair with Turkish Islamist leader Recep Erdogan. As Erdogan continues to undermine Turkish democracy, throw hundreds of moderates into jail, destroy the nation’s institutions, help Iran, throw hysterical tantrums about how much he hates Israel, promote Islamism in the region, and is fresh from still another meeting with Hamas leaders, Obama continues to use Erdogan as his guru.”

In der Presse konstatierte Karim El-Gawhary ein „Ende der US-Dominanz in Nahost“. Wer auch immer als Sieger aus den US-Wahlen hervorgehen werde, stehe vor einer „riesigen Aufgabe: Nachdem Washington einen Teil seiner Diktator-Vasallen verloren hat, auf deren vermeintliche Stabilität die US-Politik jahrzehntelang gesetzt hatte, geht es nun darum, eine neue Strategie für die sich wandelnde arabische Welt zu entwickeln.“ Nach wie vor unterstützten die USA „autokratische Regime“ wie Saudi-Arabien, während sie gleichzeitig zu „Ländern im Wandel“ wie Ägypten oder Tunesien im Dialog stünden, aber noch keine neue Strategie gefunden hätten. Und zu Ländern wie Syrien oder Bahrain, „in denen der Bürgerkrieg oder der Aufstand tobt, gibt es derzeit überhaupt keine erkennbare US-Linie.“

Wäre in den vergangenen zwei Jahren ein Republikaner im Weißen Haus gesessen, so lässt El-Gawhary einen ägyptischen Politologen mutmaßen, so hätte „Washington den Wandel wahrscheinlich blockiert und aus Sorge vor islamistischen Machtergreifungen die damaligen Präsidenten bis zuletzt unterstützt“. El-Gawhary scheint vergessen zu haben, dass die Forderung nach einer Demokratisierung des Nahen Ostens das Steckenpferd des letzten republikanischen Präsidenten war, während dem Demokraten Obama das Wort Demokratisierung kaum über die Lippen kam, bis er von den jüngsten Umbrüchen überrollt wurde. So konstatierte die New York Times im Frühjahr 2009: „Demokratie scheint aus dem öffentlichen Vokabular der Obama-Administration gestrichen worden zu sein.“

Im Wahlkampf habe Mitt Romney beklagt, dass die USA Ereignissen ausgeliefert seien, statt sie selber zu bestimmen und zu formen. El-Gawhary bezweifelt, dass es unter einem Präsidenten Romney anders wäre. Der Gewinner der Wahl könne „den Wandel in der arabischen Welt begleiten oder versuchen, ihn zu blockieren. Die Zeiten, in denen das Weiße Haus per Anweisung an den Diktator die Ereignisse in der Region formen konnte, die sind vorbei.“ (Presse, 3. Nov. 2012) Blickt man auf die Geschichte des Nahen Ostens in den letzten Jahrzehnten, würde man zu gern wissen, wann es abseits der in der Region allerdings sehr beliebten Verschwörungstheorien solche Zeiten je gegeben haben soll.

Was sowohl Harrer als auch El-Gawhary in ihren jeweiligen Bilanzen der Amtszeit von Präsident Obama nicht erwähnten, ist das Kunststück, das ihm im Nahen Osten gelungen ist: Glaubt man den Ergebnissen der letzten Juni vom „Pew Global Attitude Project“ durchgeführten Umfrage, sind die Vereinigten Staaten heute in der arabischen und muslimischen Welt noch unbeliebter, als sie es in der Amtszeit von George W. Bush waren. „On the whole, Pew found a 10 percent decrease in U.S. favorability in Muslim countries over the course of the Obama administration.“ (James Kirchick: The Global Popularity Fetish, Commentary, Oktober 2012. Die betreffende Umfrage wurde in sechs Ländern mit muslimischen Bevölkerungsmehrheiten durchgeführt. Neben Pakistan waren dies Ägypten, Jordanien, der Libanon, Tunesien, und die Türkei.)

Da in der österreichischen Berichterstattung über den US-Wahlkampf so gerne auf „Patzer“ des republikanischen Kandidaten Romney hingewiesen wurde, wie wäre es zur Abwechslung einmal mit einem des Presse-Berichterstatters in den USA, dem gerade erst als „Edelkorrespondent“ (Presse, 4. Nov. 2012) bezeichneten Thomas Vieregge? Am Dienstag berichtete er, das Treffen von Verteidigungsminister Darabos mit seinem amerikanischen Amtskollegen Panetta sei eine „Anerkennung für den Einsatz des Bundesheeres am Westbalkan und auf den Golanhöhen im Libanon.“ (Presse, 30. Okt. 2012) Nun verhält es sich mit den Golanhöhen so, dass sie im Sechstagekrieg von Israel erobert und später annektiert wurden. Wer dies für rechtswidrig hält, wird der Ansicht sein, sie gehörten zu Syrien. Aber eines sind die Golanhöhen mit Sicherheit nicht: libanesisch.

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