Wochenbericht, 22.10. bis 28.10.2012

Die Nahostberichterstattung österreichischer Medien war in der vergangenen Woche in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlich. Manche Länder, denen sonst nicht viel Beachtung geschenkt wird, standen wegen aktueller Geschehnisse plötzlich im Mittelpunkt des Interesses, während auf der anderen Seite über manche Geschichten hinweggegangen wurde, die durchaus Nachrichtenwert gehabt hätten. Besonders schlimm war es dieses Mal um die Berichterstattung des ORF bestellt, der u. a. ein „Porträt“ der islamistischen Hamas veröffentlichte, in dem wesentliche Fakten einfach unerwähnt blieben.

Allgemeiner Überblick

Insgesamt erschienen in den von MENA regelmäßig ausgewerteten Tageszeitungen in der vergangenen Woche 217 Beiträge mit Bezug zu Nordafrika und dem Nahen Osten:

Wochenbericht, 22.10. bis 28.10.2012

Auffällig ist dabei, dass die Presse mit nur 44 relevanten Beiträgen deutlich unter ihrem längerfristigen Schnitt blieb, während im Kurier dieses Mal überdurchschnittlich viel über die uns interessierenden Regionen berichtet wurde. Ungewöhnlich war auch, welche Länder in der Berichterstattung häufig genannt wurden:

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Hier sticht vor allem die häufige Erwähnung der Vereinigten Arabischen Emirate auf. Deren Prominenz war ganz dem lange erwarteten Urteilsspruch im Prozess gegen den österreichischen Arzt Eugen Adelsmayr geschuldet, der in Dubai wegen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. (Standard, 22. Okt. 2012; Presse, 22. Okt. 2012) Das Urteil stand am Ende eines Verfahrens, das im Grunde von allen Beobachtern als „Farce“ (Standard, 22. Okt. 2012) betrachtet wurde, nachdem bekannt geworden war, dass die Anklage wesentlich auf einem gefälschten Gutachten basierte.

Am meisten empörte sich die Kronen Zeitung: Obwohl die „Fakten … für eindeutigen Freispruch“ sprachen, habe das Gericht „im fernen Wüstenstaat“ nach einem „skurrilen Prozess“ ein „weltfremde(s), menschenverachtende(s) Schandurteil“ über den „völlig schuldlosen“ Arzt gefällt. (Kronen Zeitung, 22. Okt. 2012) Die Krone-Leserschaft rief angesichts dieser „Rechtsprechung aus der Steinzeit“ nach Konsequenzen: „Hier wäre es wohl höchst an der Zeit“, so die Aufforderung zum Handeln in einem Leserbrief, „seitens des Außenministeriums Klartext mit dem Außenamt in Dubai zu reden oder überhaupt die diplomatische Vertretung in diesem Land (falls vorhanden) vorübergehend zu schließen“. Auch wenn dem Leserbriefschreiber offenbar nicht bewusst war, dass „dieses Land“ Dubai Teil der Vereinigten Arabischen Emirate ist, deren „Außenamt“ sich nicht in Dubai, sondern in Abu Dhabi befindet, so glaubte er immerhin doch genau zu wissen, was jetzt zu geschehen habe: schließen der diplomatischen Vertretung, „falls vorhanden“, um „ein deutliches Signal zu setzen, dass man mit unseren Staatsbürgern nicht dermaßen verfahren darf!“ (Kronen Zeitung, 28. Okt. 2012)

Außenpolitik-TV-Duell in den USA

In der Nacht vom Montag auf Dienstag fand in den USA die dritte und letzte Wahlkampfdebatte zwischen Präsident Barack Obama und seinem republikanischen Herausforderer Mitt Romney statt. Thema dieser TV-Konfrontation war die Außenpolitik, und wie nicht anders zu erwarten war, spielte der Nahe Osten darin eine wichtige Rolle: In vier der sechs Fragerunden ging es um diese Region, wobei in der Debatte der Iran und Israel mit 47 bzw. 34 Erwähnungen am häufigsten genannt wurden.

In der Berichterstattung über die TV-Konfrontation wurde hervorgehoben, wie wenig sich die beiden Kandidaten in ihren außenpolitischen Programmen in Wahrheit unterscheiden würden. „Es gibt zwischen Obama und Romney nur wenige inhaltliche Differenzen in der Sache“, lautete etwa Christoph Prantners Urteil im Standard. In der Debatte hätten beide gewonnen: der Präsident, der den „spitzzüngigen außenpolitischen Champion“ gegeben habe, und Mitt Romney, „weil er sich zum dritten Mal als präsidiable Alternative vorstellen konnte.“ (Standard, 24. Okt. 2012) So sah es auch Christian Ultsch in der Presse: „Abseits stilistischer und tonaler Nuancen“ seien „kaum Unterschiede“ zu bemerken gewesen. Beide seien „pragmatisch und weitgehend visionslos“ geblieben. Der Einfluss der außenpolitischen Debatte auf den Ausgang der Wahl sei aber ohnehin enden wollend: „Entschieden wird das Rennen nicht in der außenpolitischen, sondern in der wirtschaftlichen Arena.“ (Presse, 24. Okt. 2012)

Nicht zur Kenntnis genommen wurde in der österreichischen Berichterstattung, dass Präsident Obama in der Debatte im Bezug auf Libyen durchaus Bemerkenswertes von sich gab. Die USA und ihre Verbündeten wären in der Lage gewesen, das unmittelbar bevorstehende Massaker zu verhindern, dass Gaddafis Truppen an den Aufständischen in Bengasi verübt hätten. So weit, so gut; potentiellen Massenmord zu verhindern war schließlich der Grund, den der Präsident in der Vergangenheit stets für den Militäreinsatz in Libyen angegeben hatte. Doch jetzt fügte er hinzu: „We also had to make sure that Muammar Gaddafi didn’t stay there. … Muammar Gaddafi had more American blood on his hands than any individual other than Osama bin Laden. And so we were going to make sure that we finish the job.” Es habe sichergestellt werden müssen, “that Gaddafi did not stay in power – that he was captured”. Dass es beim Libyeneinsatz um die Beseitigung Gaddafis ging, ist nicht überraschend, nur ist genau das seinerzeit von Obama und anderen Vertretern seiner Administration vehement in Abrede gestellt worden; etliche Male wurde explizit bestritten, dass der gestürzte Diktator ins Visier genommen werde.

Der Iran und eine Reise, die nicht stattfand

Wie diese Woche bekanntgegeben wurde, geht der vom EU-Parlament verliehene Sacharow-Preis für Menschenrechte an zwei inhaftierte iranische Menschenrechtsaktivisten: die Anwältin Nasrin Sotoudeh und den Filmemacher Jafar Panahi. Parlamentspräsident Schulz erklärte dazu, der Preis sei eine „klare Absage an das Regime in Teheran“. (Standard, 27./28. Okt. 2012)

Die Verleihung des Preises an die beiden iranischen Dissidenten durchkreuzte die bedenklichen Reisepläne einiger EU-Parlamentarier, die dieser Tage dem Iran einen Besuch abstatten wollten. Die Delegation von ursprünglich 15 Parlamentariern aus sechs verschiedenen Ländern, mit dabei auch der österreichische Sozialdemokrat Josef Weidenholzer, hätte u. a. mit hochrangigen Vertretern der Diktatur zusammentreffen sollen, die wegen ihrer Beteiligung an Verbrechen des Regimes gegen die eigene Bevölkerung von der EU mit Sanktionen belegt worden sind. Während manche der reisefreudigen EU-Parlamentarier keinen Widerspruch zwischen ihren Plänen und den gerade erst ein weiteres Mal verschärften EU-Sanktionen gegen den Iran sehen wollten, gab Cornelia Ernst von den deutschen LINKEN ganz offen zu, mit dem Ausflug nach Teheran die Sanktionspolitik der EU unterlaufen zu wollen.

In der Presse berichtete Helmar Dumbs, warum aus diesem Vorhaben nichts wurde: „Die Abgeordneten saßen auf ihren gepackten Koffern, als ihnen der Sacharow-Preis in den Schoß fiel. … Leider, leider habe man die Reise absagen müssen, da der Iran einen Besuch bei den Preisträgern [im berüchtigten Evin-Gefängnis in Teheran, Anm. MENA] nicht gestattet habe. Was natürlich völlig überraschend war.“ (Presse, 29. Okt. 2012)

Islamismus in Tunesien und der Türkei

Angesichts der oftmals haarsträubenden Berichterstattung über die arabische Welt sollte nicht unerwähnt bleiben, dass der Kurier am vergangenen Donnerstag eine löbliche Ausnahme machte und am Beispiel Tunesiens auf die Schattenseiten der Entwicklung der letzten zwei Jahre blickte. Gerade das Mutterland der arabischen Aufstände wird vielfach als glänzendes Beispiel dafür herangezogen, dass nicht überall dem Sturz der Diktatoren die Machtergreifung durch Islamisten folgen müsse. Im Kurier berichtete Karoline Krause jetzt über die Realität: „Vor allem liberale Tunesier haben Angst um ihre Freiheiten, Angst vor den Salafisten … Attacken auf liberale Tunesier und Ausländer – etwa ‚zu leicht bekleidete‘ Frauen – häufen sich.“ Viele Tunesier werfen der von den Islamisten unter Rachid Ghannouchi geführten Regierung vor, „nicht hart genug gegen die sich ausbreitende religiöse Gewalt durchzugreifen.“ Während Ghannouchi offiziell den „moderaten“ Islamisten gebe, mache er inoffiziell den islamistischen Hardlinern Versprechungen. (Über ein entsprechendes Video informiert die Welt.) Seine Ennahda-Partei orientiere sich immer mehr in Richtung der Salafisten. Abschließend zitierte Krause die Warnung eines Islamwissenschaftlers vor dem angeblich „moderaten“ Islamismus: „Wenn dieser sich in der Arabischen Welt etabliert, wird er eher restriktiver als liberaler.“ (Kurier, 25. Okt. 2012)

Vor einem „langen islamistischen Winter“ warnte am Wochenende auch der algerische Schriftsteller Boualem Sansal im Standard. Schon im Juli hatte der letztjährige Friedenspreisträger des deutschen Buchhandels vor dem Islamismus als einer „faschistischen Ideologie“ gewarnt, die sich die Welt Untertan machen wolle; trotz mehrfachen Drängens war er damals nicht willens, so gegen Israel vom Leder zu ziehen, wie Standard-Journalist Reiner Wandler sich das von einem arabischen Schriftsteller offenbar erwartete. (Standard, 10. Juli 2012)

Auch dieses Mal ging Sansal mit dem Zuständen in der arabischen Welt hart ins Gericht: „Die arabischen Gesellschaften sind im Begriff, sich nach den Vorgaben der islamistischen Regierungen einzurichten: Die Schule, die Justiz, die Moschee, die Vereine werden Stück für Stück zu Produktionsstätten für Islamisten umgebaut.“ Im besten Falle würden sich die Dinge so entwickeln wie in der Türkei, was für Sansal allerding kein Grund für Optimismus ist. Denn in der Türkei sei es „den Islamisten in weniger als zehn Jahren gelungen …, sechzig Jahre Kemalismus und damit eine moderne, säkulare Tradition praktisch auszulöschen.“ (Standard, 27./28. Okt. 2012)

A bad week at the office

Wurde der Kurier als erfreuliches Beispiel der Nahostberichterstattung der letzten Woche hervorgehoben, so gilt für den ORF leider das Gegenteil.

Zuerst ließ er im Ö1-Mittagsjournal einen Libanon-„Experten“ zu dem Autobombenattentat in Beirut am 19. Oktober zu Wort kommen, der in seiner Analyse insinuierte, hinter dem Anschlag auf einen prominenten Kopf des anti-syrischen Lagers im Libanon stecke vielleicht gar nicht das syrische Regime. Vielmehr könnte es sich um eine Folge dessen handeln, dass in Syrien „mehr und mehr die zentrale Gewalt des Staates nachlässt und sich da ein neuer gescheiterter Staat herausbildet, in dem sich all solche Gruppierungen tummeln können und einen Rückzugsraum haben, die dann in der Tat in der Nachbarschaft große Probleme verursachen.“ (Ö1-Mittagsjounal, 22. Okt. 2012)

Im Libanon, wo kaum Zweifel daran bestehen, dass das syrische Regime und seine libanesischen Verbündeten für die zahlreichen Mordanschläge auf Proponenten des anti-syrischen Lagers seit 2005 verantwortlich sind, würde man über einen so dreisten Versuch, Assad und seine Schergen in Schutz zu nehmen, nur den Kopf schütteln. Dort hat man zu oft die Erfahrung machen müssen, wie das syrische Regime mit seinen Kritikern und Gegnern umzugehen pflegt, wenn es fest im Sattel sitzt, als dass man jetzt auf die Idee käme, ein Sicherheitsvakuum infolge von dessen aktueller Schwäche als Ursache des mörderischen Terrors auszumachen. (Sehen Sie dazu den MENA-Beitrag „Ö1 und der Terror im Libanon“.)

Unterboten wurde diese Leistung in der ORF-Berichterstattung aber wenige Tage später noch, als wieder einmal ein „Raketenhagel aus Gaza auf Israel“ (Kronen Zeitung, 25. Okt. 2012) niederging. Da versorgte der ORF auf seiner Homepage nämlich die Leser mit Hintergrundinformationen über die Hamas: „Ableger der Muslimbruderschaft“ hieß der Text, der wohl eine Art Porträt der im Gazastreifen herrschenden Islamisten sein sollte. Das Problem dabei: Irgendwie schafften es die Journalisten des ORF, einen Artikel über die Hamas zu produzieren, in dem deren Antisemitismus überhaupt nicht erwähnt wird, deren unzählige Terroranschläge und Selbstmordattentate in Israel so gut wie nicht vorkommen – ihr „bewaffneter Arm“ werde „vom Westen als terroristische Vereinigung angesehen“ ist der einzige Hinweise darauf, womit sich die Hamas einen Namen gemacht hat –, und in dem der einzige Akteur, der für den Tod von Menschen verantwortlich gemacht wird, Israel ist.

MENA hat gegen dieses skandalöse Beispiel der Weißwaschung einer antisemitischen Mördergruppe mit einem Protestbrief an den ORF reagiert (den Sie hier finden); bislang bestand die einzige Reaktion darauf in einer E-Mail-Benachrichtigung, dass das Schreiben „zur direkten Bearbeitung“ an die zuständige Redaktion weitergeleitet worden sei.

Weniger skandalös, dafür aber umso rätselhafter war schließlich noch ein Artikel im Kurier vom vergangenen Freitag. Angeblich soll die israelische Luftwaffe eine Industrieanlage im Sudan bombardiert haben, bei der es sich arabischen Medienberichten zufolge um eine Waffenfabrik gehandelt haben soll. Wie in solchen Fällen üblich, gab die israelische Regierung zu der Anschuldigung, israelische Kampfflugzeuge hätten Anlage angegriffen, keinen Kommentar ab. Dafür aber Norbert Jessen, der seinen Kurier-Artikel über den Vorfall mit folgendem Absatz enden ließ: „Generell wird die Grauzone im Kampf gegen Terroristen, die im Windschatten souveräner Staaten Deckung suchen, mehr und mehr zu zuungunsten des Terrors ausgelegt.“ (Kurier, 26. Okt. 2012) Ob Jessen schon herausgefunden hat, was er mit diesem Satz sagen wollte?

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