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WOCHENBERICHT, 20.5. BIS 26.5.2013

I. Allgemeiner Überblick

In den letzten sieben Tagen erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen insgesamt 251 Beiträge mit Nahost- und/oder Nordafrika-Bezügen:

WOCHENBERICHT, 20.5. BIS 26.5.2013

Dabei standen folgende Länder im Mittelpunkt des medialen Interesses:

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In den insgesamt 60 relevanten Beiträgen der wichtigsten ORF-Fernseh- und Radionachrichtensendungen wurden folgende Länder am häufigsten genannt:

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II. Die Hisbollah im Syrien-Krieg

Das dominierende Thema der Nahostberichterstattung österreichischer Medien waren in der letzten Woche die aktuellen Entwicklungen im syrischen Bürgerkrieg. In Land selbst scheint nach einer monatelangen Pattsituation auf der militärischen Ebene eine Veränderung zugunsten der das Assad-Regime verteidigenden Kräfte im Gange zu sein. Die Kampfhandlungen konzentrierten sich weiter auf die strategische wichtige Stadt Qusair nahe der syrisch-libanesischen Grenze. (Presse, 21. Mai 2013; Salzburger Nachrichten, 21. Mai 2013; Kurier, 21. Mai 2013) Ob die regimetreuen Kräfte die ganze Stadt eingenommen haben oder ob es den Aufständischen gelungen ist, zumindest Teile davon zu halten, ist unklar.

Was anhand der Berichte über die Kämpfe aber zu verfolgen war, ist die zunehmende Beteiligung von Kriegern der libanesischen Hisbollah. Anfang der Woche war in mehreren Zeitungen über die Toten zu lesen, die sie im Zuge der Offensive auf Qusair zu verzeichnen gehabt habe. (Standard, 21. Mai 2013; Kurier, 21. Mai 2013) Die Presse schrieb von den „schwerste(n) Verluste(n) der vom Iran und von Syrien unterstützten schiitischen Kampforganisation seit dem Krieg gegen Israel im Jahre 2006“. (Presse, 21. Mai 2013). Am Samstag erklärte Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah schließlich in einer Ansprache, der Krieg in Syrien sei in eine neue Phase getreten und man werde bis zum Sieg Assads an dessen Seite kämpfen. „Wir werden nicht mit verschränkten Armen zuschauen, wie Amerika, Israel und sunnitische Radikale gemeinsam Syrien das Rückgrat brechen“, wetterte Nasrallah in seiner auf eine Großbildleinwand projizierten „offenen Kriegsrede“. (Kleine Zeitung, 27. Mai 2013) Die Antwort auf diese hochoffizielle Parteinahme folgte prompt: Am Sonntag schlugen zwei Raketen in jenem Viertel Beiruts ein, in dem sich die Zentrale der Hisbollah befindet. (Presse, 27. Mai 2013) Die Hoffnung Nasrallahs, seine Truppen könnten ungehindert in Syrien mitmischen, während an der Heimatfront im Libanon Ruhe herrsche, ist, wie Gudrun Harrer anmerkt, in der Tat „skurril“. (Standard, 27. Mai 2013)

Die Raketen auf die Hisbollah-Hochburg in Beirut können als Reaktion auf den „Tabubruch“ gedeutet werden, den die Partei Allahs mit ihrem offiziellen Kriegseintritt in Syrien vollzogen hat. Inoffiziell war sie zwar von Anfang an am Versuch der Niederschlagung des Aufstands gegen das Assad-Regime beteiligt, bekannte sich aber bislang, wie verlogen auch immer, zur Übereinkunft der wesentlichen politische Kräfte im Libanon, das Land aus dem syrischen Gemetzel heraushalten zu wollen. Dass die Hisbollah nun nicht einmal mehr pro forma gewillt ist, sich an eine Abmachung zu halten, die den Ausbruch eines blutigen Bürgerkrieges im Libanon verhindern sollte, kann mit Recht als „Absage der Hisbollah an die libanesische Republik“ (ebd.) verstanden werden.

Für Nasrallah könnte sich dieser Schritt als fatal erweisen, und zwar in einer Hinsicht, die den österreichischen Medien bislang völlig entgangen ist. Sosehr es stimmt, dass die Hisbollah wahrscheinlich die bestausgerüstete und -ausgebildete Terrororganisation der Welt ist, so verhältnismäßig klein ist die Zahl ihrer Vollzeitkämpfer. Als sie im Sommer 2006 den Krieg gegen Israel provozierte, verfügte die Hisbollah Schätzungen zufolge nur über rund 2000 Soldaten, von denen zwischen fünf- und sechshundert dem von Nasrallah damals proklamierten „göttlichen Sieg“ über den Judenstaat zum Opfer fielen. Zwar hat die Hisbollah auf diese schmerzlichen Verluste mit einer regelrechten Rekrutierungs- und Ausbildungskampagne reagiert, aber wenn auch nur annähernd stimmen sollte, was über die Zahl der nach Syrien beorderten Kämpfer berichtet wird, wird deutlich, in welch prekäre Lage sich die Partei Allahs manövriert hat: Dem Standard und demORF zufolge befinden sich fast 1700 Hisbollah-Männer in Syrien im Einsatz (Standard, 27. Mai 2013, Ö1-Abendjournal, 26. Mai 2013), laut Presse zwischen 1200 und 1600. (Presse, 27. Mai 2013)

Mit diesem Aufwand wird nicht nur die Personaldecke der Hisbollah stark strapaziert, sondern der Auftritt ihrer Kämpfer verläuft auch ganz anders, als Nasrallah und seine Befehlshaber in Teheran sich das vorgestellt haben. Tony Badran schreibt in seiner lesenswerten Analyse: „By publicly taking the lead in the assault operations in Syria, Hezbollah was to show its military capability to decisively and swiftly win battles – first in al-Qusayr, then on other fronts in the country.” Doch diese Rechnung ging nicht auf. Selbst wenn es den Assad-treuen Truppen gelingen sollte, die Stadt zu erobern, so wurde doch eines mit Sicherheit nicht nur in Syrien zur Kenntnis genommen: Die hochgelobten und gefürchteten Hisbollah-Kämpfer mussten schwere Verluste hinnehmen, und das nicht etwa gegen eine gut ausgebildete Armee, sondern gegen Rebelleneinheiten, die vielfach weder über gutes Training, noch über ausreichend Waffen verfügen. Für die iranische Führung, auf deren Geheiß die Hisbollah sich mit voller Wucht in den Kampf in Syrien wirft, kommt das einem Offenbarungseid gleicht: „As more of the group’s elite units are called up from Lebanon to reinforce their comrades in Syria, Iran has to be concerned about more than just seeing its strategic weapons caches blown up by Israel. It also has to be worried about how Hezbollah’s vulnerabilities are being exposed not by the IDF, but by Syrian rebels that the Party of God was supposed to dispatch easily.”

Dass die gewünschte Demonstration der Stärke und Durchschlagskraft so gründlich danebenging, wird so manche Kalkulation in der Region verändern. Im Libanon könnten Fragen auftauchen, warum so viele junge Männer, die angeblich doch nur dem „Widerstand“ gegen Israel dienen sollen, zur Verteidigung Assads ins Gras beißen müssen. Die innerlibanesischen Gegner der Hisbollah könnten einen Versuch unternehmen, die aktuelle Machtbalance zu ihren Gunsten zu verändern, wenn die als unantastbar gegoltene Schiiten-Miliz sich schon gegen desperate Aufständische in Syrien solche Blöße gibt. Israel könnte noch einmal überdenken, wie groß die Gefahr wirklich ist, die von der Hisbollah ausgeht, auch und gerade im Hinblick auf mögliche Angriffe auf iranische Atomanlagen. Und im Iran könnten vice versa die Sorgen wachsen, dass nicht nur die „Achse des Widerstands“ zusammenbrechen, sondern sich die Hisbollah doch nicht als die effektive erste Verteidigungslinie erweisen könnte, die vor Angriffen auf sein Atombombenprogramm abschrecken sollte.

III. Eine Mauer im Nahen Osten, die niemanden interessiert

Der ORF brachte Mitte der Woche eine Meldung über einen Vorgang am Rande des syrischen Bürgerkriegs, die ein bezeichnendes Licht auf die mediale Berichterstattung über den Nahen Osten wirft: „Die Türkei will auf einem kleinen Abschnitt ihrer langen Grenze mit Syrien eine ‚Sicherheitsmauer‘ errichten.“ Die „Mauer, Überwachungskameras und Stacheldraht sollten Versuche verhindern, von Syrien aus in die Türkei einzudringen.“ Das Vorhaben wurde mit zwei Anschlägen in Verbindung gebracht, die sich im Februar bzw. im Mai in der Türkei ereignet hatten. Außer dem ORF war diese Meldung hierzulande einzig noch dem Kuriereine kurze Erwähnung wert. (Kurier, 24. Mai 2013)

Nun kann kein Zweifel daran bestehen, dass eine Sicherheitsanlage in Form einer Mauer oder eines überwachten Zaunes ein probates Mittel ist, um das Eindringen von Terroristen zu verhindern und die Bevölkerung vor blutigen Anschlägen zu schützen. Das zeigt nicht zuletzt das Beispiel des Sicherheitszaunes, den Israel entlang des Westjordanlandes als Reaktion darauf errichtet hat, dass im Zuge des von Jassir Arafat im Herbst 2000 losgetretenen Terrorkrieg gegen den jüdischen Staat beinahe täglich Israelis in Bussen, Supermärkten, Diskos oder Restaurants massakriert wurden.

Aufschlussreich ist aber, wie unterschiedlich die beiden erwähnten Fälle international aufgenommen werden: Die Meldung über die Errichtung der Sicherheitsanlage an der türkisch-syrischen Grenze (nach zwei Terroranschlägen) fand kaum Verbreitung und löste keinerlei internationale Reaktionen aus. Anders im Falle Israels: Obwohl nur weniger als fünf Prozent der Strecke des Sicherheitszaunes aus Betonwänden bestehen, ist oftmals nur von „der Mauer“ die Rede. Unzählige NGOs und internationale Institutionen (darunter die UN-Generalversammlung) verurteilten die israelische Sicherheitsanlage als „völkerrechtswidrig“ und forderten deren Abriss. Unter völliger Ignoranz gegenüber dem palästinensischen Terror wurde Israel vorgeworfen, auf rassistischer Grundlage einen „Apartheidswall“ errichtet zu haben. Die Liste der Denunziationen, mit denen der jüdische Staat dafür bedacht wurde, seine Bürger vor tödlichen Anschlägen zu schützen, ließe sich noch endlos weiterführen.

Die beiden Beispiele zeigen, wie in der Berichterstattung über den Nahen Osten mit zweierlei Maß gemessen wird: Was im einen Fall kaum zur Kenntnis genommen wird, löste im anderen Fall eine wahre Flut rechtlicher und politischer Invektiven aus.

IV. Islamistischer Terror in London

Neben dem syrischen Bürgerkrieg sorgte vor allem die grausame Ermordung eines britischen Soldaten durch zwei Islamisten auf offener Straße in London für Schlagzeilen. Bei den Tätern handelt es sich um aus Nigeria stammende Einwanderer, die in England zum Islam konvertiert sein und zu den Zuhörern eines bekannten islamistischen Hetzpredigers gehört haben sollen. (Presse, 25. Mai 2013) Ohne im Detail auf den Vorfall eingehen zu wollen, der nur am Rande mit dem Nahen Osten zu tun hatte (einer der Täter führte die Beteiligung Großbritanniens am Irakkrieg als einen Grund für die Bluttat an), wollen wir auf einen Aspekt hinweisen, der in Fällen von islamistischem Terrorismus immer öfter zu bemerken ist: Das Bemühen, entweder die Hintergründe der Taten zu verschweigen, oder, so dies nicht möglich ist, jede Verbindung der Terrorakte zum Islam in Abrede zu stellen.

Ein Paradebeispiel für das Verschweigen des Hintergrunds islamistischen Terrors war der erste Bericht über den Mord von London, der am vergangenen Donnerstag im Standard veröffentlicht wurde. Dabei handelte es sich um die Übernahme eines Textes der Nachrichtenagentur Reuters, in dem in der zweiten Überschrift zu lesen war: „Soldat von zwei Männern mit Macheten zerstückelt“. Im Text selbst war von einem „mutmaßlich politisch motivierten Mord“ die Rede, bei dem die Täter „(m)öglicherweise“ auch versucht hätten, ihr Opfer zu enthaupten. Einigen Berichten zufolge hätten die Täter „Gott ist groß“ gerufen.

Sowohl der Umstand, dass die Mörder ihre Opfer zu enthaupten versuchten – können Sie sich daran erinnern, wann das zuletzt von Attentätern versucht wurde, die keine Islamisten waren? –, als auch die Tatsache, dass sie nach vollbrachter Tat die Größe Gottes lobten, waren wohl recht eindeutige Hinweise, welchen Hintergrund die Tat hatte. Um aber nur ja nicht auf den Islam zu sprechen zu kommen, machte Reuters (und darüber vermittelt der Standard) sogar aus den „Allahu akbar“-Rufen eines der Mörder ein weniger verfängliches „Gott ist groß“. Und damit nicht genug. Am Ende des Beitrags war zu lesen, dass London zuletzt im Juli 2005 Ziel eines Terroranschlags wurde: „Vier Selbstmordattentäter rissen in U-Bahnen und Bussen 52 Menschen mit in den Tod.“ (Standard, 23. Mai 2013) Hier, wie im gesamten sonstigen Artikel, war mit keinem Wort von Islamismus die Rede.

Das Bedürfnis, jede Verbindung des Terrorakts zum Islam in Abrede zu stellen, kam auch in den ersten Stellungnahmen britischer Politiker zum Ausdruck. So bezeichnete etwa Premier Cameron die Tat als „Verrat am Islam und an den muslimischen Gemeinden“, und sagte: „Es gibt nichts im Islam, das diesen abscheulichen Angriff rechtfertigt.“ (Salzburger Nachrichten, 24. Mai 2013) Auf der SN-Titelseite war ganz in diesem Sinne zu lesen: „Der Terror ist nicht Sache des Islam“. „Mit Religion und Nation“, kommentierte Martin Stricker, „mit Gott, Allah und Vaterland hat das nichts zu tun.“ (Ebd.)

Das Problem an derartigen Stellungsnahmen ist freilich, dass sie offenkundig falsch sind. Man mag die Ideologie der Attentäter ablehnen und mit David Cameron eine andere Interpretation des Islam in den Vordergrund rücken, aber die Behauptung, diese und andere islamistische Gewalttaten hätten mit dem Islam nichts zu tun, ist einfach eklatanter Unsinn. Werfen wir einen Blick auf das, was einer der Attentäter von London nach der Tat zu sagen hatte: „The only reason we have killed this man today is because Muslims are dying daily by British soldiers … By Allah, we swear by the Almighty Allah we will never stop fighting you until you leave us alone.” Und weiter: “(W)e are forced by the Qur’an in Sura at-Tauba [Chapter 9 of the Koran], through many, many ayah [verses] throughout the Koran that [say] we must fight them as they fight us, a eye for a eye and a tooth for a tooth. … Leave our lands and you will live in peace. That’s all I have to say. Allah’s peace and blessings be upon Muhammad“. Offenkundig war dieser Mann nicht nur der Meinung, seine Tat sei mit seiner Religion in Einklang zu bringen, sondern sah sich geradezu in die religiöse Pflicht genommen, sein Opfer zu töten. Man mag das, wie Josef Kirchengast im Standard bemerkte, als „Verrat“ am Islam betrachten, „(a)ber dass dieser Verrat möglich ist, hat mindestens so viel mit islamischem Selbstverständnis zu tun“, wie mit sozialen oder politischen Problemen. „Das Problem des gewaltsamen Islamismus ist auch ein Problem des Islam selbst. … Nicht wegzudiskutieren ist, dass sich Gewalt – nicht nur – gegen Andersgläubige mit zahlreichen Stellen im Koran rechtfertigen lässt.“ (Standard, 24. Mai 2013)

Natürlich wollten Cameron und andere Spitzenpolitiker zur Beruhigung der Lage beitragen und einem Klima der Rache gegenüber Muslimen vorbeugen. Doch ihre Stellungnahmen können sich insofern als kontraproduktiv erweisen, als sie Hetzern wie der English Defense League die Möglichkeit bieten, sich als die einzigen Verfechter der Wahrheit zu präsentieren, wie Douglas Murray hervorhebt: „Members of the EDL or any other organisation that wants to take to the streets or anyone who carries out bigoted acts of violence thrive exactly on such talk. They will think that they can see something nobody else can see – which everybody else is blind to and requires them to wake people up to.“

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