Wochenbericht, 2.2. bis 8.2.2015

In dieser Ausgabe:

I. Allgemeiner Überblick
II. Al-Azhar gegen IS: Kreuzigungen sind unislamisch – deswegen kreuzigt sie!
III. Mutwilliger Streit: Die Obama-Administration, Israels Premier und das kommende Iran-Desaster

I. Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 396 Beiträge (zuletzt: 393) mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 2.2. bis 8.2.2015

Folgende Länder standen im Mittelpunkt der Berichterstattung:

Wochenbericht, 2.2. bis 8.2.2015

In den insgesamt 96 relevanten Beiträgen (zuletzt: 125) der wichtigsten Radio- und Fernsehnachrichtensendungen des ORF wurde auf folgende Länder am häufigsten Bezug genommen:

Wochenbericht, 2.2. bis 8.2.2015

II. Al-Azhar gegen IS: Kreuzigungen sind unislamisch – deswegen kreuzigt sie!

In seinem Bemühen, das Interesse der Weltöffentlichkeit weiter auf sich gerichtet zu halten, hat der „Islamische Staat“ (IS) den Grad an Grausamkeit noch einmal nach oben geschraubt. Um dem Abstumpfungseffekt entgegenzuwirken, der die Wirkung der ostentativen Gewalt nach mehrmaliger Wiederholung zu schmälern drohte, musste die Barbarei noch drastischer inszeniert werden.

So verbreitete der IS nun ein Video, in dem zu sehen ist, wie der in IS-Gefangenschaft geratene jordanische Kampfflugzeugpilot Muath al-Kasaesbeh bei lebendigem Leib verbrannt wird. Der schockierende Effekt des Videos brachte dem IS das wieder ein, worauf ein Gutteil seiner Kriegsstrategie beruht. „So grausam es klingt, aber die Köpfung von westlichen Geiseln ist für den IS – und damit auch für die Weltöffentlichkeit – zur Routine geworden.“ (Presse, 5. Feb. 2015)

Wie durch das Video nun auf drastische Weise deutlich wurde, waren die Gespräche der letzten Tage, in denen über einen Austausch des Soldaten gegen in Jordanien inhaftierte Dschihadisten verhandelt worden war, gegenstandslos: Kasaesbeh wurde offenbar schon Anfang Jänner verbrannt, nur wenige Tage nach seinem Absturz in Syrien. A

ls Antwort auf den Mord vollstreckte Jordanien die Todesurteile gegen die zwei Dschihadisten, die der IS vorgeblich freizupressen versucht hatte. Bei einer der beiden Hingerichteten handelte es sich um eine Schwester des Ahnherren des IS, dem jordanischen Terroristen Abu Mussab al-Zarkawi, der nach dem Sturz Saddam Husseins im Irak sein Unwesen getrieben hatte. (Salzburger Nachrichten, 5. Feb. 2015) Darüber hinaus intensivierte die jordanische Luftwaffe ihre Angriffe auf IS-Ziele in Syrien. (Kurier, 6. Feb. 2015)

Krone-Außenpolitik-Chef Kurt Seinitz ließ es sich nicht nehmen, zur Berichterstattung auch einen Beitrag in von ihm gewohnter Qualität beizusteuern. Er präsentierte Jordaniens König Abdullah als jemanden, der „höchstpersönlich“ in den „Vergeltungskrieg“ gegen den IS eingreifen wolle: „Die Gerüchte wollen wissen, dass Abdallah sogar persönlich Bombenangriffe der jordanischen Luftwaffe fliegt.“ (Kronen Zeitung, 9. Feb. 2015)

Es soll nicht wenige Journalisten geben, die ihre Aufgabe darin sehen, Gerüchten auf den Grund zu gehen, anstatt sie zu verbreiten. Für Seinitz gilt das offenkundig nicht.

Die jüngsten Gewalttaten des IS riefen ferner einige bemerkenswerte Reaktionen hervor. Salman al-Odah etwa, einer der prominentesten islamischen Gelehrten Saudi-Arabiens, erklärte das Verbrennen von Menschen nicht nur zu einem abscheulichen Verbrechen, sondern betrachtete es als Blasphemie, denn: „Nur Gott quält mit Feuer.“

Al-Odahs Gottesverständnis zufolge sind die höchsten Maße an Grausamkeit offenbar Allah vorbehalten. Und Ahmed al-Tajib, seines Zeichens höchster religiöser Würdenträger der al-Azhar-Universität in Kairo, einer der ältesten und bis heute angesehensten islamischen Institutionen der Welt, erklärte den IS zu einer „teuflischen Organisation“, die einen Krieg gegen Gott führe. „Ihre Barbarei werde von Gott nicht anerkannt“, war in der Presse zu lesen. (5. Feb. 2015)

Der Kurier erläuterte die Erklärung des Großmuftis: „Obwohl die Dschihadisten sich auf islamische Rechtsprechungen beriefen, gebe es keinerlei Grundlagen, die die von ihnen verübte Art der ‚Strafe‘ rechtfertigen.“ Verstümmelungen und Kreuzigungen seien al-Tajib zufolge bösartige Akte, die „von allen Religionen abgelehnt (werden)“. Die Terroristen müssten deshalb auf die gleiche Weise bestraft werden – „Kreuzigungen und Verstümmelungen inbegriffen.“ (Kurier, 5. Feb. 2015)

In den Medien hierzulande artikulierte einzig Gudrun Harrer die Verstörung, die sich ob derartiger Erklärungen einstellt. Al-Tajibs Ausführungen hinterließen sie „sprachlos“, denn „(d)as ist nicht gerade das, was man sich als islamische Verurteilung des jihadistischen Terrors wünscht.“ Sorge bereitete ihr allerdings nur, dass Al-Tajibs Aufruf zum Gliederabhacken und Köpfen im Westen den Eindruck verstärken könnte, sich in einem „Kulturkampf zu befinden, in dem es nur ‚uns‘ und ‚die anderen‘ gibt.“ (Standard, 5. Feb. 2015)

Damit verfehlte sie freilich den entscheidenden Widerspruch, der darin besteht, die Barbarei des IS zu denunzieren, um im nächsten Atemzug exakt dieselbe Barbarei als angebrachte Reaktion zu empfehlen. Die Gewalt, die gerade noch als unislamisch gebrandmarkt wurde, wird umgehend von einer der renommiertesten islamischen Institutionen der Welt legitimiert.

Das Muster ist gleichermaßen bekannt wie entmutigend: So wie einst die dänischen Mohammed-Karikaturen mit gewalttätigen Ausschreitungen in etlichen muslimischen Ländern beantwortet wurden, als ob es den Randalierern darum gegangen wäre, die in den Zeichnungen kritisierte Verbindung von Islam und Gewalt so eindrucksvoll wie möglich unter Beweis zu stellen, gerät im aktuellen Fall die Verurteilung des IS zur islamischen Rechtfertigung der Barbarei.

Um dem bereits bestens einstudierten Skript zu folgen, fehlen nur noch die üblichen Apologeten, die erklären, das alles habe mit dem Islam nichts zu tun, die al-Azhar-Universität habe keine Ahnung vom wahren Glauben und missbrauche die Religion.

III. Mutwilliger Streit: Die Obama-Administration, Israels Premier und das kommende Iran-Desaster

Hat man in den vergangenen Wochen österreichische Medien verfolgt, so stellte sich die Geschichte ungefähr so dar: Die Obama-Administration und die ‚moderate‘ Führung des Iran unter Präsident Rohani und Außenminister Zarif tun alles, um einen Kompromiss zu erzielen und den langjährigen Streit um das iranische Atomprogramm zu beenden. Widerstand regt sich dagegen bei den ‚Hardlinern‘ in Teheran, Washington und – allen voran – Israel. Um die Verhandlungen zu untergraben und Obama zu brüskieren, haben die Republikaner, ohne zuvor das Weiße Haus zu informieren, Israels Premier Netanjahu zu einer Rede ins Kapitol eingeladen, in der dieser den Scharfmacher gegenüber dem Iran geben soll – und all das kurz vor den israelischen Parlamentswahlen, womit in den israelischen Wahlkampf eingegriffen wird.

In kondensierter Form wurde diese Version der Geschichte vom Duo Susanne Knaul/Thomas Vieregge in der Presse dargeboten. „Ins Gesicht gespuckt“, lautete der Titel von Knauls Artikel. „Premier Netanjahu provozierte wieder einmal eine Eiszeit mit Barack Obama“, weil er „hinter dem Rücken des US-Präsidenten einen Auftritt im republikanisch dominierten Kongress“ geplant habe, war im Untertitel zu lesen. Die „(o)ffene Verbrüderung“ von Netanjahu und den US-Republikanern sei gezielt als „Querschuss gegen (den) Iran-Deal“ eingefädelt, führte Knaul weiter aus. Daneben fand sich ein kurzer Kommentar Vieregges, dessen Überschrift schon kaum Fragen offen ließ: „Die Chuzpe des Bibi Netanjahu“, prangte da in großen Lettern, darunter war von „zahllosen Brüskierungen“ durch den israelischen Premier die Rede, die Präsident Obama bereits über sich ergehen habe lassen müssen. (Presse, 24. Jan. 2015) Aufgewärmt wurde die Geschichte in der vergangenen Woche noch einmal von Gudrun Harrer, die meinte, Netanjahus Einladung nach Washington sei „nicht, wie sonst üblich, mit dem Weißen Haus akkordiert“ worden. (Standard, 7./8. Feb. 2015)

Die Sache hat nur einen Haken: Die Geschichte stimmt nicht, ihre zentrale Behauptung war schlicht falsch. Ohne es an die große Glocke zu hängen, publizierte die New York Times am 30. Jänner eine Korrektur zu ihrer eigenen Berichterstattung über die angebliche Brüskierung Obamas durch die Republikaner und Netanjahu, die die gesamte Aufregung wie ein Kartenhaus zusammenstürzen hätte lassen müssen:

„An earlier version of this article misstated when Prime Minister Benjamin Netanyahu of Israel accepted Speaker John A. Boehner’s invitation to address Congress. He accepted after the administration had been informed of the invitation, not before.“

Im Klartext: Die Behauptung, das Weiße Haus sei hintergangen worden, indem es nicht über die Einladung des israelischen Premiers informiert worden sei, war einfach unzutreffend. In Wahrheit hatte der republikanische Kongress-Sprecher John Boehner das Weiße Haus genauso über die Einladung Netanjahus informiert, wie er dies bei früheren Gelegenheiten auch bereits getan hatte. Nichts wurde hinter dem Rücken des Präsidenten eingefädelt, um ihn zu brüskieren. Tatsächlich war es das Weiße Haus, das ein völlig übliches Vorgehen zum Anlass nahm, um mutwillig öffentlichen Streit mit Netanjahu vom Zaun zu brechen, wohl wissend, dass Medien in den USA wie anderswo der Inszenierung auf den Leim gehen und eine weitere Gelegenheit ergreifen werden, um über die angebliche Frechheit Netanjahus herzuziehen.

Das Verhalten der Obama-Administration in dieser Affäre entsprach einerseits der offenen und manchmal unter Verwendung kaum zitierbarer Gossenrhetorik zur Schau gestellten Abneigung gegenüber dem israelischen Premier, hatte andererseits einen handfesten Grund: Die angekündigte Rede Netanjahus über das iranische Atom(waffen)programm ist der US-Regierung tatsächlich ein Dorn im Auge, würde der Kongress darin doch in deutlichen Worten dargestellt bekommen, warum die Iran-Politik von Obama, Kerry & Co. hochgradig verantwortungslos ist. Die Jerusalem Post berichtete unter Berufung auf EU-Diplomaten über die Umrisse des Deals, der sich in den Verhandlungen zwischen den USA und dem iranischen Regime abzuzeichnen droht.

„According to EU officials, US Secretary of State John Kerry and his Iranian counterpart, Mohammad Javad Zarif, have discussed increasing the number of centrifuges which Iran would be permitted to keep. In exchange, the Iranians would undertake an obligation to bring their influence to bear in order to ensure quiet in Iraq, Afghanistan, and Syria. European diplomats are quoted by Israeli officials as saying that the US in recent weeks has made significant concessions in its talks with Iran, so much so that it is willing to permit Tehran to operate 6,500 centrifuges while lifting sanctions that have hurt its economy this past decade. The Europeans have told the Israelis that these concessions were offered in exchange for Iranian promises to maintain regional stability.“

Glaubt man der Jerusalem Post, so ist mittlerweile eingetreten, was man vor ein paar Jahren noch für völlig unmöglich gehalten hätte: Heute sollen es die Europäer sein, die über die amerikanische Politik gegenüber dem Iran besorgt sind. „(T)he EU is opposed to the proposed linkage between the nuclear issue and other geopolitical matters. In fact, the Europeans suspect that Washington is operating behind Brussels’ back and that Kerry has not bothered to keep them in the loop in his talks with Zarif.“

So erpicht ist die Obama-Administration auf ein Abkommen mit dem iranischen Regime, dass sich Mohammed Reza Naghdi, der Kommandeur der berüchtigten Basidschi-Milizen der Revolutionsgarden, unlängst erst über das „Betteln um einen Deal“ der Amerikaner lustig machte. Am vergangenen Donnerstag meldete sich das Editorial Board der Washington Post zu Wort und brachte seine Besorgnis über die laufenden Iran-Verhandlungen zum Ausdruck. Drei Punkte seien es demnach, die große Skepsis hervorriefen:

„First, a process that began with the goal of eliminating Iran’s potential to produce nuclear weapons has evolved into a plan to tolerate and temporarily restrict that capability.“

Habe das ursprüngliche Ziel, das auch in UN-Sicherheitsratsresolutionen verankert ist, darin bestanden, die iranische Urananreicherung zu verunmöglichen, so werde heute nur mehr über die Zahl der Zentrifugen diskutiert. Der sich abzeichnende Deal würde den Iran an der Schwelle zur atomaren Bewaffnung belassen – in der zweifelhaften Hoffnung darauf, dass beim Beschluss der iranischen Führungen zum nuklearen Break-out noch genug Zeit für geeignete Gegenmaßnahmen bliebe. Und alle vereinbarten Einschränkungen des iranischen Atomprogramms würden nur für einen bestimmten Zeitraum Gültigkeit haben, nach dem das Regime tun könne, was es wolle.

„Second, in the course of the negotiations, the Obama administration has declined to counter increasingly aggressive efforts by Iran to extend its influence across the Middle East and seems ready to concede Tehran a place as a regional power at the expense of Israel and other U.S. allies.“

Die ursprüngliche Behauptung, dass die Nuklearverhandlungen keine Auswirkungen auf andere Themen wie die Terrorunterstützung des iranischen Regimes sowie dessen Hegemonialbestrebungen in der Region hätten, habe sich als unzutreffend erwiesen: Während die USA nichts unternehmen wollten, was die iranische Führung als unfreundlich betrachten könnte, treibe der Iran seine Politik der Destabilisierung des Nahen Ostens, von Bahrain bis Marokko, weitgehend ungehindert voran.

„Finally, the Obama administration is signaling that it will seek to implement any deal it strikes with Iran – including the suspension of sanctions that were originally imposed by Congress – without a vote by either chamber. Instead, an accord that would have far-reaching implications for nuclear proliferation and U.S. national security would be imposed unilaterally by a president with less than two years left in his term.“

Der Eindruck sei nicht zu vermeiden, dass die Obama-Administration mit dem angestrebten Iran-Abkommen den amerikanischen Gesetzgeber umgehen wolle, weil sie genau wisse, dass der Deal niemals eine Mehrheit finden und von Demokraten wie Republikanern gleichermaßen abgelehnt werden würde.

Was Obama in dieser Situation mit Sicherheit nicht brauchen kann, ist ein israelischer Premier, der vor dem Kongress und der amerikanischen Öffentlichkeit den Irrsinn der Iran-Politik der US-Regierung deutlich machen würde. Das vom Weißen Haus inszenierte jüngste Zerwürfnis mit Netanjahu kann getrost als der erste Schritt des Versuchs betrachtet werden, Kritik an einem höchst gefährlichen Iran-Deal mundtot zu machen. Die Medien, auch die hierzulande, sollten Besseres zu tun wissen, als sich zum Werkzeug dieser Kampagne machen zu lassen – und sich vielleicht doch noch zum einen oder anderen Widerruf aufraffen.

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