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Wochenbericht, 2.12. bis 8.12.2013

In dieser Ausgabe:
I. Allgemeiner Überblick
II. Christian Ortner in der Presse: Richtige Bestandsaufnahme, fragwürdige Analyse
III. Nach dem Deal von Genf: Verheerende Dynamik, Institutionalisierung der Bedrohung

I. Allgemeiner Überblick

In der vergangenen Woche erschienen in den von MENA systematisch ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 209 Beiträge mit Bezügen zum Nahen Osten und zu Nordafrika:

Wochenbericht, 2.12. bis 8.12.2013

Folgende Länder standen dabei im Mittelpunkt der medialen Berichterstattung:

Wochenbericht, 2.12. bis 8.12.2013

In den insgesamt 32 relevanten Beiträgen der wichtigsten Radio- und Fernsehnachrichtensendungen des ORF wurde am häufigsten über diese Länder berichtet:

Wochenbericht, 2.12. bis 8.12.2013

II. Christian Ortner in der Presse: Richtige Bestandsaufnahme, fragwürdige Analyse

In der Presse fand sich am vergangenen Freitag ein interessanter Kommentar von Christian Ortner. „Am Freitag schauen wir uns dann eine ordentliche Steinigung an…“ lautet der Titel des Beitrags, in dem Ortner anfangs darüber berichtete, dass im Rahmen einer Justizreform in Afghanistan die Steinigung als Strafe für Ehebruch wieder eingeführt werden soll. Ortner nahm dies zum Anlass, um eine ernüchternde Bilanz zu ziehen: „Steinigungen unter dem Schutz von Nato-Soldaten – plastischer ist die Sackgasse, in die sich die westliche Politik gegenüber der islamischen Welt seit 9/11 verirrt hat, kaum zu beschreiben.“ Das Ergebnis des westlichen Einsatzes in Afghanistan sei, „dass dort demnächst wieder das Mittelalter losbricht“.

Und das sei „leider nicht der einzige Fehlschlag“ westlicher Politik. Der Irak sei nicht der „Leuchtturm der Demokratie“ geworden, der er hätte werden sollen, der „von naiven Westlern so umjubelte … Arabische Frühling“ habe sich als „Instrument der Islamisierung bisher eher säkularer Staaten“ entpuppt. „Das Ergebnis der gescheiterten westlichen Politik kann sich sehen lassen: In Libyen herrscht Chaos, in Ägypten regiert die Armee und in Syrien denkt Assad nicht im Traum daran aufzugeben.“ Ortners Fazit: „Als Ergebnis einer teils falschen (Irak), teils naiven (Arabischer Frühling) und teils irrlichternden (Syrien, Ägypten) Politik der USA und teilweise ihrer Verbündeten geht es heute den Menschen in der Region nicht besser, sondern schlechter.“ Der Einfluss des Westens sei „deutlich zurückgegangen, jener Russlands, des Iran und der Golfmonarchien hingegen signifikant gewachsen.“ Jetzt darauf zu hoffen, dass ein sich in seiner strategischen Position gestärkt sehender Iran bereit sei, auf Atomwaffen zu verzichten, brauche ein „erhebliches Maß an Glaubensstärke“. Man könne „das alles nicht anders als einen geopolitischen Scherbenhaufen nennen, der da angerichtet worden ist und vor dem der Westen heute steht, eher ratlos und ohne Karte und Kompass.“ (Presse, 6. Dez. 2013)

Ortners Bilanz mag in einigen Punkten überzogen sein.  Wie Peter Bergen im Frühling dieses Jahres in einem Beitrag für Foreign Policy hervorhob, neigen westliche Beobachter oftmals dazu, angesichts zugegebenermaßen unerfreulicher Entwicklungen in Afghanistan zu übersehen, welche Fortschritte das Land nichtsdestotrotz seit dem Jahre 2001 gemacht hat und in welch großem Ausmaß sich die Lebensumstände der Menschen verbessert haben. Und obwohl der Irak nicht zu dem erhofften „Leuchtturm der Demokratie“ geworden sein mag, weint die überwiegende Mehrheit der Iraker dem Regime Saddam Husseins trotz allem kaum eine Träne nach. Davon abgesehen wird man Ortners Bestandsaufnahme, dass der Westen im Allgemeinen und die USA im Besonderen im Nahen Osten massiv an Einfluss verloren haben, kaum widersprechen können, ebenso wenig wie seiner Einschätzung der westlichen Politik als wahlweise falsch, naiv oder irrlichternd.

Die Analyse der Ursachen dieses Einflussverlustes geht allerdings fehl. Ortner macht dafür nämlich eine Politik verantwortlich, „die sich mehr an ‚Werten‘ orientiert als an den nationalen Interessen der USA und Europas.“ Der Versuch der Demokratisierung habe sich weitgehend als „gestrandetes Investment von Milliarden von Dollar und zahllosen Menschenleben erwiesen.“ Es sei höchste Zeit, „auf eine noch so wohlmeinende, moralgetriebene (Wir-sorgen-dafür-dass-Mädchen-Schulen-besuchen-)Politik weitgehend zu verzichten“, um diese durch eine Politik zu ersetzen, „die vom eigenen nationalen Interesse getrieben ist.“ (Ebd.)

Die Argumentation, dass es einer Abkehr von außenpolitischem Idealismus und einer  Rückkehr zu einer am nationalen Interesse ausgerichteten Realpolitik bedürfe, krankt freilich an einem entscheidenden Punkt: Die Behauptung, das Hauptproblem der Nahostpolitik der USA der letzten Jahre sei deren überzogene Moralgetriebenheit und deren Festhalten an illusorischen Demokratisierungsbemühungen gewesen, ist schlicht unzutreffend. Elemente einer solchen Politik kamen in der ersten Amtszeit von George W. Bush zum Tragen, doch wurden weder der Afghanistan- noch der Irakkrieg in erster Linie auf diese Art und Weise begründet. Und schon in Bushs zweiter Amtszeit erhielt die „Freedom Agenda“ mit den Erfahrungen im Irak und dem Wahlsieg der islamistischen Terrororganisation Hamas bei den palästinensischen Wahlen deutliche Dämpfer. Mit dem Amtsantritt der Obama-Administration verschwand der von Ortner für den Einflussverlust der USA verantwortlich gemachte Idealismus de facto vollständig aus der amerikanischen Außenpolitik. Bis die Aufstände in Tunesien und Ägypten ausbrachen, war von Demokratisierungspolitik höchstens noch in Form von Lippenbekenntnissen die Rede.

Wenn Ortner eine nicht an nationalen Interessen, sondern an „Werten“ orientierte Politik kritisiert, stellen sich einige recht grundlegende Fragen: Was hatte es mit Idealismus oder einer „Werte“-Politik zu tun, als die Obama-Administration den Menschen im Iran die Unterstützung verwehrte, die im Sommer 2009 gegen das Regime aufbegehrten und brutal unterdrückt wurden? Ist es Zeichen einer von Idealismus getriebenen Politik, dass Europa und die USA seit nunmehr fast drei Jahren weitgehend untätig zusehen, wie das Assad-Regime in Syrien mit tatkräftiger Unterstützung durch den Iran und die Hisbollah einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung führt, der bereits mehr als 120.000 Menschen das Leben gekostet und Millionen in die Flucht getrieben hat? Was für eine seltsame Demokratisierungspolitik soll dafür verantwortlich gewesen sein, dass der Westen die syrische Opposition de facto im Kugel- und Bombenhagel der syrischen Armee stehen ließ? Welchem Idealismus soll angelastet werden, dass der Westen die militärische Unterstützung der syrischen Rebellen Ländern wie der Türkei, Katar oder Saudi-Arabien überließ und damit zum Einflussgewinn islamistischer Terrorgruppen in Syrien beitrug? Was soll Moral damit zu tun haben, dass der Westen um jeden Preis einen Deal mit dem Mullah-Regime abschließen wollte und zu den systematischen Menschenrechtsverletzungen der islamistischen Diktatur schweigt?

Im Grunde lassen sich nur zwei Beispiele für eine wesentlich von moralischen Gesichtspunkten getriebene Politik anführen, wie Ortner sie kritisiert: Einerseits wurde die militärische Intervention in Libyen mit dem Argument unternommen, eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Sie für das momentane Chaos und den Zerfall Libyens verantwortlich zu machen, scheint mehr als fraglich, waren es doch eher die langen Jahrzehnte der Gaddafi-Diktatur, die Libyen als einen failed state hinterließen, der im Grunde kaum mehr existierte. Darüber hinaus scheint klar zu sein, dass zumindest in den Augen der syrischen Opposition das Ansehen des Westen nicht darunter gelitten hat, dass er aus humanitären Gründen in Libyen eingriff, sondern darunter, dass er genau das bislang in Syrien nicht tut, obwohl die humanitäre Lage hier weitaus katastrophaler ist, als sie es in Libyen je war.

Andererseits wurde die Machtergreifung der Muslimbrüder in Tunesien und vor allem in Ägypten von vielen westlichen Beobachtern als wichtiger Schritt der Demokratisierung dieser Länder fehlinterpretiert. Der Versuch der EU und der USA, sich mit der totalitären Muslimbruderschaft in zu arrangieren, die nach dem Sturz Mubaraks an die Macht kam, und sich Kommentaren zu der von ihr forcierten Islamisierung der Gesellschaft und des Staates weitgehend zu enthalten, hatte wenig gemein mit einer angeblich „moralgetriebenen“ Politik, in der doch persönlichen, politischen und religiösen Freiheiten zentrale Stellung zukommen sollte. In Ägypten zeigte sich, wie das Befürworten eines formalistisch verkürzten Demokratisierungsverständnisses in fundamentalen Konflikt mit der Verteidigung von Werten geraten kann, ohne die zumindest eine liberal-demokratische Ordnung nicht vorstellbar ist.

So zutreffend Ortners Bestandsaufnahme des schwindenden Einflusses des Westens im Nahen Ostens und seine Charakterisierung der westlichen Politik als oftmals falsch, naiv oder irrlichternd sind, so wenig hält die von ihm gegebene Begründung einer Realitätsprüfung stand.

III. Nach dem Deal von Genf: Verheerende Dynamik, Institutionalisierung der Bedrohung

Rund zwei Wochen nach dem angeblich „historischen Durchbruch“ bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm in Genf wird immer deutlicher, dass die Kritiker des Deals Recht behalten werden. Vor allem die Richtigkeit der Warnung davor, dass selbst eine nur beschränkte Aufhebung der Wirtschaftssanktionen eine kaum mehr aufzuhaltende Eigendynamik gewinnen und so das gesamte Sanktionsregime zum Kollaps bringen werde, bewahrheitet sich in atemberaubender Geschwindigkeit. Die Sechsmonatsfrist, in der ein endgültiges Abkommen zu Lösung des Konflikts ausverhandelt werden soll, hat noch nicht einmal begonnen – wichtige Details sollen dieser Tage in Wien diskutiert werden (Standard, 9. Dez. 2013, Ö1-Morgenjournal, 9. Dez. 2013) –, da stehen westliche Firmen schon bereit, um im und mit dem Iran wieder lukrative Geschäfte zu machen. Am Rande der OPEC-Tagung in Wien empfing der iranische Ölminister die Vertreter von Ölkonzernen wie Shell oder ENI (Presse, 6. Dez. 2013), und mit Gerhard Roiss machte auch der „OMV-Chef … seinen Kratzfuß“ (Presse, 8. Dez. 2013), weil er darauf hofft, ein milliardenschweres  Projekt wiederbeleben zu können, das wegen der Sanktionen auf Eis gelegt werden hatte müssen. (Standard, 23. Nov. 2013). „Derzeit pilgern massenhaft Geschäftsleute nach Teheran“, bemerkte Christian Ultsch in der Presse, „an der Spitze der Karawane Österreicher.“ Hierzulande hoffe man darauf, dass sich nun rentieren werde, dass „Österreich in der EU nie zu den Scharfmachern gezählt hat.“ Ultsch machte klar, was der neue Goldrausch zur Folge haben wird: „Falls Irans Regime den Eindruck gewinnt, dass sich die Sanktionen ohnehin auflösen, wird es sich der Kontrolle seines Atomprogramms entziehen. Und was dann? Krieg?“ (Presse, 8. Dez. 2013)

Der Hoffnung, dass das Zwischenabkommen mit dem Iran am Ende zu einem abschließenden Deal führen werde, der den Atomstreit friedlich beendet, geben die Meldungen wenig Nahrung, die, wenn auch nur selten in österreichischen Medien, aus Teheran zu vernehmen sind. Am Samstag meldete die Nachrichtenagentur Reuters, dass der Iran neuere, effizientere Zentrifugen zur Urananreicherung testen wolle. Diese würden es ihm in Zukunft ermöglichen, den für den Bau von Atomwaffen erforderlichen Anreicherungsgrad von Uran viel schneller erreichen zu können, als das momentan möglich sei. Der Chef der iranischen Atomenergiebehörde Salehi gab bekannt, sein Land werde seine Forschung im Bereich der Atomtechnologie unvermindert fortsetzen. „Bei einem Treffen mit iranischen Parlamentsabgeordneten sagte Salehi am Sonntag, die Forschung werde wegen des in Genf erzielten Zwischenabkommens keineswegs gestoppt“, gab die Presse im Internet eine APA-Meldung wieder. Erst vor kurzem habe Salehi erklärt, das Abkommen von Genf „beinträchtige Struktur und System des iranischen Atomprogramms nicht“, zugleich würden aber „die Strukturen der westlichen Sanktionen aufgebrochen“. Wie gestärkt sich das iranische Regime durch den Deal von Genf sieht, lässt sich erahnen, wenn Salehi erklärt: „Wir haben nichts verloren … Es ist wie ein Wasserhahn, den wir abdrehen. Wenn sie [die P5+1] die Vereinbarungen nicht erfüllen, drehen wir wieder auf“. In den Augen des iranischen Regimes ist es nicht der Iran, der Auflagen zu erfüllen habe, sondern der Westen. Wenn die Sanktionen nicht aufgehoben würden, werde der „Wasserhahn“ wieder aufgedreht – aus dem dann dank bis dahin verbesserter Technologie ein noch breiterer Strahl fließe.

Nichts, aber auch gar nichts, deutet darauf hin, dass der Iran auch nur annähernd zu den Schritten bereit ist, die im Sinne einer tatsächlichen Lösung des Atomkonflikt von ihm gesetzt werden müssten. Und er hat auch keinen Grund dazu, ist der Westen doch auch ohne wirkliche Gegenleistungen bereit, die eigenen Forderungen Stück für Stück zurückzuschrauben. Erst diese Woche bestätigte US-Präsident Obama, was seine Diplomaten nach dem Abschluss des Abkommens in Genf noch vehement bestritten hatten: Am Ende der Verhandlungen werde der Iran weiterhin über die Kapazitäten zur Anreicherung von Uran verfügen können. Alles andere sei „unrealistisch“: „We can envision a end state that gives us an assurance that even if they have some modest enrichment capability, it is so constrained and the inspections are so intrusive that they, as a practical matter, do not have breakout capacity.“

Im Klartext: Selbst nach einem finalen Abkommen werde der Iran alle Kapazitäten haben, die er braucht, sollte er den Beschluss zum Bau der Bombe fällen. Die früheren US-Außenminister Henry Kissinger und George P. Shultz machten in einem lesenswerten Kommentar im Wall Street Journal deutlich, was das heißt: „Standing by itself, the interim agreement leaves Iran, hopefully only temporarily, in the position of a nuclear threshold power—a country that can achieve a military nuclear capability within months of its choosing to do so. A final agreement leaving this threshold capacity unimpaired would institutionalize the Iranian nuclear threat, with profound consequences for global nonproliferation policy and the stability of the Middle East.“ Bislang hatten eine Fülle von UN-Sicherheitsratsresolutionen und IAEA-Direktiven stets die unverzügliche Einstellung der Urananreicherung und der Plutoniumproduktion gefordert. „Under the interim agreement, Iranian conduct that was previously condemned as illegal and illegitimate has effectively been recognized as a baseline, including an acceptance of Iran’s continued enrichment of uranium (to 5%) during the agreement period. And that baseline program is of strategic significance. For Iran’s stockpile of low-enriched uranium is coupled with an infrastructure sufficient to enrich it within a few months to weapons-grade, as well as a plausible route to producing weapons-grade plutonium in the installation now being built at Arak.“

Obama mag die Forderungen des israelischen Premiers Netanjahu im Hinblick auf das iranische Atomprogramm für überzogen oder „unrealistisch“ halten, aber es ist nicht nur aus Sicht der Israelis schlechterdings unvorstellbar, dass der Kern einer finalen Lösung des Atomstreits die von Kissinger und Shultz angesprochene „Institutionalisierung der iranischen atomaren Bedrohung“ sein soll. Auch die beiden Ex-Außenminister sehen zumindest die Möglichkeit, dass es zu einem wirklichen Durchbruch im Atomstreit kommen könnte, aber sie warnen auch deutlich vor einer drohenden strategischen Niederlage. „We should be open to the possibility of pursing an agenda of long-term cooperation. But not without Iran dismantling or mothballing a strategically significant portion of its nuclear infrastructure.“ Leider stehen nach dem Deal von Genf die Chancen extrem schlecht, dass der internationale Druck auf den Iran groß genug sein wird, um ihn zu den erforderlichen Schritten im Sinne einer wirklichen Lösung des Atomstreits zu zwingen. Fraglich ist darüber hinaus, ob der Westen dies überhaupt noch als Ziel verfolgt, oder sich nicht bereits mit der Institutionalisierung der iranischen atomaren Bedrohung abgefunden hat. Die jüngsten Äußerungen aus Washington scheinen genau das zu bestätigen.

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