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Wochenbericht, 18.6. bis 24.6.2012

Die dominierenden Themen der Nahostberichterstattung österreichischer Tageszeitungen waren in der letzten Woche die Entscheidungsrunde der ägyptischen Präsidentschaftswahl und der Abschuss eines türkischen Kampfflugzeugs durch die syrische Luftabwehr. Über ein anderes Thema war dagegen nur wenig zu lesen: Einem bekannten Muster folgend werden anti-israelischer Terrorismus und über 130 aus dem Gazastreifen auf Israel abgefeuerte Raketen erst dann interessant, wenn Israel sich zur Wehr setzt.

Allgemeiner Überblick

In den letzten sieben Tagen erschienen in den von MENA ausgewerteten Tageszeitungen insgesamt 259 Beiträge mit Bezug zu Nordafrika und dem Nahen Osten, also nur geringfügig mehr als die 249 relevanten Artikel in der Woche zuvor:

Wochenbericht, 18.6. bis 24.6.2012

Im Hinblick auf die am Häufigsten genannten Länder ergab sich folgendes Bild:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 25Jun12 - Tab2

Im Folgenden wollen wir uns zunächst mit der Zuspitzung der Lage in Syrien beschäftigen, wo am Freitag ein türkischer Militärjet abgeschossen wurde; sodann wollen wir uns Ägypten zuwenden, wo mit der am Sonntag auch offiziell bestätigen Wahl des Moslembruders Mohammed Mursi ohne Zweifel ein historisches Ereignis stattgefunden hat. Zuletzt widmen wir uns der Analyse der medialen Berichterstattung über Israel, das in der letzten Woche eine markante Eskalation des Konfliktes mit Terroristen aus dem Gazastreifen erlebt hat, ohne dass österreichische Medien das wirklich zur Kenntnis genommen haben.

Syrien und die Türkei

Nachdem die USA in der vorigen Woche Russland vorgeworfen hatten, Syrien mit Kampfhubschraubern auszustatten, kam diese Woche die Meldung, britische Behörden hätten vor Schottland ein russisches Schiff gestoppt, das offenbar in Russland reparierte Hubschrauber zurück nach Syrien bringen sollte. (Standard, 20. Juni 2012) Die russische Armee bereitete sich unterdessen darauf vor, im Falle einer weiteren Eskalation der Gewalt in Syrien seinen Marinestützpunkt im syrischen Tartus zu evakuieren; zwei Landungsschiffe plus dazugehörende Marineeinheiten seien zu diesem Zweck in Richtung Mittelmeer abkommandiert worden. (Presse, 19. Juni 2012) Laut einem Bericht der New York Times solle die amerikanische CIA dabei behilflich sein, die syrischen Rebellen mit Waffen zu versorgen. Von der Türkei aus würden Gewehre, Panzerfäuste und Granaten, die von Saudi-Arabien, Katar und der Türkei bezahlt worden seien, an syrische Kämpfer verteilt. (Presse, 22. Juni 2012; Kleine Zeitung, 22. Juni 2012)

Zu einer möglicherweise schwerwiegenden Eskalation kam es am Freitag: Die syrische Luftabwehr schoss gegen Mittag ein türkisches Kampfflugzeug ab. (Standard, 23./24. Juni 2012) Von dem Jet Marke F-4 sowie den zwei Mann Besatzung fehlte jede Spur. Laut syrischen Berichten soll das Flugzeug in geringer Höhe mit hoher Geschwindigkeit auf die syrische Küste zugerast sein. (Presse, 24. Juni 2012) Zum Zeitpunkt des Abschusses soll es sich nur mehr knapp einen Kilometer von der Küste entfernt und damit in syrischem Luftraum befunden haben. (Kurier, 25. Juni 2012). Nachdem zuletzt ein syrischer Kampfpilot mit seiner Maschine nach Jordanien geflogen war und dort um Asyl angesucht hatte (Standard, 22. Juni 2012; Presse, 22. Juni 2012), könnte die syrische Luftabwehr davon ausgegangen sein, es mit einem Desertionsversuch zu tun gehabt zu haben. (Kurier, 25. Juni 2012) Die syrische Regierung soll den Abschuss jedenfalls als „Irrtum“ bezeichnet und sich bei der Türkei entschuldigt haben. (Presse, 23. Juni 2012)

Die türkische Version sah erwartungsgemäß etwas anders aus: Demnach soll sich das Flugzeug zum Zeitpunkt des Abschusses in internationalem Luftraum befunden haben, wobei allerdings eingestanden wurde, dass es möglicherweise zuvor zu einer kurzzeitigen Verletzungen des syrischen Luftraums gekommen sein könnte. Der Jet sei unbewaffnet gewesen und habe sich auf einem Trainingsflug befunden (Kurier, 25. Juni 2012); bei seinem Abschuss sei er 13 Meilen von der syrischen Küste entfernt gewesen. (Presse, 25. Juni 2012)

Die türkische Regierung schien zunächst darum bemüht, die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen. So wurde ihr Verhalten als „überraschend zurückhaltend“ (Kleine Zeitung, 24. Juni 2012) bezeichnet; beide Seiten hätten zumindest anfänglich „zu beschwichtigen“ versucht. (Kurier, 24. Juni 2012) Mittlerweile hat die Türkei aber angekündigt, angesichts der „aggressiven Haltung“ Syriens die NATO und den UN-Sicherheitsrat einzuschalten. Premier Erdogan will sich morgen in einer Ansprache an die türkische Bevölkerung wenden. (Presse, 25. Juni 2012)

Es ist noch zu früh, die weitergehende politische Bedeutung dieses schweren Zwischenfalls abschätzen zu können. Doch wenn ein Sprecher des syrischen Außenministeriums jetzt erklärt, sein Land hege keine Feindschaft gegen die Türkei, wolle aber, dass sie ihre Position gegenüber Syrien überdenke (ebd.), so dürfte der Abschuss des türkischen Jets wohl das Gegenteil erreicht haben. Sehr wahrscheinlich wird die Türkei ihre bereits erhebliche Unterstützung der syrischen Rebellen noch ausweiten; vorstellbar ist auch, dass die bereits öfters angerissene Debatte über die Einrichtung militärischer Schutzzonen in Syrien neuen Schwung erhält. Auffällig ist jedenfalls, wie schaumgebremst die aktuelle türkische Empörung bislang geblieben ist – als Kontrast sei nur an die öffentlich inszenierten Zornesausbrüche des türkischen Premiers Erdogan gegen Israel erinnert.

Ägypten

Seit dem Sonntagnachmittag ist klar, dass Mohammed Mursi zum neuen ägyptischen Präsidenten gewählt worden ist. Für die Moslembruderschaft bedeutet dies nach den bereits sehr erfolgreichen Parlamentswahlen eine Zäsur: Während sie in den über achtzig Jahren ihrer Existenz mal mehr oder minder verfolgt, mal mehr oder minder geduldet worden war, wird jetzt also zum ersten Mal ein Islamist das ägyptische Präsidentenamt übernehmen.

Die oberste ägyptische Wahlbehörde hatte die Verkündung des offiziellen Endergebnisses immer länger hinausgezögert. Parallel dazu stiegen im Land die politischen Spannungen. Ex-Diktator Mubarak soll einen Schlaganfall erlitten haben. Hieß es anfangs noch, er sei „klinisch tot“ (Kronen Zeitung, 20. Juni 2012), wurden diese dramatischen Meldung später wieder dementiert. Sogleich machte das Gerücht die Runde, die Nachricht vom im Sterben liegenden Ex-Machthaber solle nur davon ablenken, dass der herrschende Militärrat die Macht nicht abgeben wolle. (Presse, 21. Juni 2012) Tatsächlich erließ dieser im Laufe der letzten zwei Wochen eine ganze Reihe von Dekreten, die ihm die Gesetzgebungskompetenz, die Verfügung über den Staatshaushalt, die Kontrolle über die Sicherheitskräfte und die Kontrolle über die Ausarbeitung einer neuen Verfassung zusichern (Presse, 22. Juni 2012); mit einer vom Militärrat erlassenen Übergangsverfassung wurde der Einfluss des Präsidenten massiv eingeschränkt (Presse, 23. Juni 2012)

Dass Mohammed Mursi jetzt zum Sieger der Präsidentschaftswahlen erklärt wurde, bedeutet kein Ende der politischen Krise Ägyptens, hat aber die Gefahr eines blutigen Bürgerkrieges vorerst reduziert – kaum vorstellbar wäre gewesen, dass die Muslimbrüder es ohne weiteres akzeptiert hätten, wäre Mursis Konkurrent Shafiq zum neuen Präsidenten erklärt worden. Ihre Erfolge an den Wahlurnen sind für die Muslimbrüder vorerst ambivalent: Zwar eroberten sie mit den Salafisten zusammen rund 70 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen, aber diese Wahl ist mittlerweile für ungültig erklärt und das Parlament aufgelöst worden. Und ihr Mann Mursi gewann zwar knapp die Präsidentschaftswahlen, wird als offizielles Staatsoberhaupt in Zukunft aber ein „Präsident an der Leine“ (Standard, 25. Juni 2012) sein, der kaum Kompetenzen hat.

Die Muslimbrüder werden diese Situation auf Dauer nicht akzeptieren. Weder sie noch der zukünftige Präsident Mursi sind „gemäßigte Islamisten“, wie die Presse in ihrem Artikel über die „gezähmten“ Muslimbrüder heute wieder einmal behauptet, ohne dafür auch nur den geringsten Beleg zu präsentieren (Presse, 25. Juni 2012) Auf der anderen Seite ist das Militär nicht gewillt, eine wirkliche Machtergreifung durch die Islamisten zu akzeptieren. Vor den Stichwahlen am letzten Wochenende wurde des Öfteren vor einem Abgleiten Ägyptens in eine gewaltsame Konfrontation nach algerischem Muster gewarnt. Dieses Szenario scheint im Augenblick vertagt, gebannt ist es aber nicht.

Israel

Da in österreichischen Zeitungen darüber kaum etwas zu lesen war, hier eine kurze Zusammenfassung dessen, was sich im Laufe der letzten Woche in Israel zugetragen hat:

Am vergangenen Montag, dem 18. Juni, drangen drei Terroristen vom Sinai aus an einer Stelle, an der der Grenzzaun zwischen Israel und Ägypten noch nicht fertiggestellt ist, nach Israel ein. Mit Sprengsätzen, Panzerfäusten und Schusswaffen attackierten sie zwei Fahrzeuge, in denen sich Arbeiter befanden, die mit der Erstellung des Grenzzaunes beschäftigt waren; einer der Arbeiter, ein arabischer Israeli, wurde getötet. Die kurz nach dem Angriff eintreffenden israelischen Soldaten konnten zwei der Angreifer töten.

Seit Beginn der letzten Woche erlebt Israel darüber hinaus eine Welle von Raketenabschüssen aus dem Gazastreifen: Bis gestern Mittag wurden auf israelischem Gebiet bereits über 160 Raketenangriffe verzeichnet, darunter ein direkter Einschlag in einem Schulgebäude in Sderot. An den Angriffen waren sowohl die islamistische Hamas als auch eine Reihe kleinerer terroristischer Gruppen beteiligt. Die israelische Armee flog in Reaktion auf die Raketenbarrage Luftangriffe gegen Ziele im Gazastreifen.

Wie sah nun die Berichterstattung österreichischer Zeitungen über diese Vorkommnisse aus? Der Standard berichtete in einer Kurzmeldung über den Terrorangriff am vergangenen Montag. Zu lesen war von einem „Anschlag und anschließenden Gefecht“. (Standard, 19. Juni 2012) Zwei Tage später gab erneut eine Kurzmeldung Aufschluss über ein „Bekennervideo“ von zwei der drei Terroristen, bei denen es sich um einen Ägypter und einen Saudi gehandelt haben soll. (Standard, 21. Juni 2012) Tags darauf wurde in der Rubrik „Ganz kurz“ mit einem Satz über eine „Waffenruhe“ berichtet, zu der sich die Hamas nach „dreitägigen Raketenangriffen“ auf Israel „bereit erklärt“ habe (Standard, 22. Juni 2012)  – es war dies das erste Mal in der Woche, dass die Raketenangriffe auf Israel (bis zum Mittwochabend bereits über 130) überhaupt erwähnt wurden. Nach einer Meldung, dass von der berichteten „Waffenruhe“ der Hamas in den kommenden Tagen keine Rede sein konnte, musste man im Standard vergeblich suchen.

Die Presse berichtete am Dienstag über einen „Schusswechsel an der Grenze“; dabei handelte es sich um den einzigen längeren Bericht, der letzte Woche über die Vorkommnisse zu finden war. (Presse, 19. Juni 2012) Zwei Tage danach war in einer Kurzmeldung über „Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen“ zu lesen, wobei der Schwerpunkt des kurzen Absatzes auf Aktionen der israelischen Armee lag. (Presse, 21. Juni 2012) Gestern hieß es kurz und knapp unter der Überschrift „Bub starb bei Gaza-Angriff“, israelische Kampfflugzeuge hätten „erneut Ziele im dicht besiedelten Gaza-Streifen“ beschossen und dabei 20 Menschen – darunter ein Baby – verletzt und nach palästinensischen Angaben einen sechsjährigen Buben getötet, was von Israel dementiert werde. (Presse, 24. Juni 2012) Die palästinensischen Raketenabschüsse wurden nicht einmal erwähnt. Heute war schließlich zu lesen, dass Israels Premier Netanjahu mit „harten Gegenmaßnahmen“ gedroht habe, sollte die Hamas ihren angekündigten Waffenstillstand nicht einhalten. Bei israelischen Luftangriffen seien drei Palästinenser getötet worden. (Presse, 25. Juni 2012) Wieder war keine Rede mehr von den palästinensischen Angriffen auf den jüdischen Staat.

Der Kurier berichtete gar nicht über den Terroranschlag an der ägyptisch-israelischen Grenze, und erst am gestrigen Sonntag über die Eskalation in Gazastreifen, in einer Kurzmeldung mit dem bezeichnenden Titel: „Nahost. Neue Angriffe auf Gaza“ (Kurier, 24. Juni 2012) – der seit fast einer Woche andauernde palästinensische Raketenhagel wurde noch immer nicht erwähnt. Erst heute war gewissermaßen summarisch für die bislang nicht vorhandene Berichterstattung von „150 Raketen“ zu lesen, die „radikale Palästinenser“ auf Israel abgefeuert hätten. Doch auch hier war die Artikelüberschrift bezeichnend: „Israel droht Hamas nach Verkündung von Waffenruhe“. (Kurier, 25. Juni 2012) Offenbar bekamen die Geschehnisse erst Nachrichtenwert, als man über „neue Angriffe auf Gaza“ berichten und die Schlagzeile vom „drohenden Israel“ verbreiten konnte.

In der Kronen Zeitung war genau eine Kurzmeldung zu finden, in der es unter dem Titel „Raketenbeschuss“ hieß: „Die Hamas schießt weiter Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel – dessen Luftwaffe antwortet.“ (Kronen Zeitung, 24. Juni 2012) Über die vom Sinai ausgehende Attacke im Süden Israels: nichts.

In der Kleinen Zeitung herrscht über all die Vorkommnisse völlige Funkstille: Mit keinem Wort wurde bislang über den Terroranschlag an der ägyptisch-israelischen Grenze oder die über 160 auf Israel aus dem Gazastreifen abgefeuerten Raketen berichtet.

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