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Wochenbericht, 15.10. bis 21.10.2012

Erneut war der andauernde Bürgerkrieg in Syrien das wichtigste Thema der Nahostberichterstattung österreichischer Zeitungen. Weitreichende Folgen könnte vor allem die Explosion einer Autobombe in Beirut zur Folge haben, bei der ein prominenter Gegner des syrischen Regimes getötet wurde. Interessant war auch diese Woche, worüber hierzulande nicht berichtet wurde: Im ägyptischen Fernsehen wurde eine Predigt übertragen, in der für den Sieg des Islam über die Ungläubigen und für die Vernichtung der Juden gebetet wurde – mit höchst prominentem Publikum.

Allgemeiner Überblick

In den vergangenen sieben Tagen erschienen in den von MENA regelmäßig ausgewerteten österreichischen Tageszeitungen 215 Beiträge mit Bezug zu Nordafrika und dem Nahen Osten:

Wochenbericht, 15.10. bis 21.10.2012

Folgende Länder wurden in der Berichterstattung am häufigsten genannt:

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Die in den letzten Wochen sich immer weiter aufschaukelnde Eskalation des Konflikts an der türkisch-syrischen Grenze wurde am vergangenen Freitag von der Explosion einer Autobombe in Beirut überschattet. Acht Menschen wurden getötet, über 80 verletzt. Unter den Toten befand sich Wissam al-Hassan, ein Geheimdienst- und einstiger Gefolgsmann des sunnitischen Ex-Premiers Rafik al-Hariri, dessen Ermordung im Februar 2005 die so genannte Zedernrevolution ausgelöst hatte. Al-Hassan galt als prominenter Gegner Syriens und der Hisbollah. (Standard, 20./21. Okt. 2012; ) Zuletzt soll er maßgeblich an den Ermittlungen gegen den libanesischen Ex-Informationsminister Michel Semaha beteiligt gewesen sein, der beim Schmuggeln von Sprengsätzen festgenommen wurde – er wird verdächtigt, „Bombenanschläge gegen syrienkritische Libanesen geplant zu haben.“ (Presse, 21. Okt. 2012)

Dass die Türkei im Hinblick auf die Häufigkeit der Nennungen Rang eins einnahm, hatte zum Teil mit einigen Artikeln zu tun, in denen die österreichische Integrationspolitik thematisiert wurde, aber auch in der Berichterstattung über den Bürgerkrieg in Syrien spielte die Türkei wieder eine Rolle. Für Schlagzeilen sorgte indes auch ein umstrittener Prozess: Ein Künstler soll den Islam beleidigt haben und stand deswegen in Istanbul vor Gericht.

Die häufige Nennung Israels hatte vor allem zwei Gründe: einerseits die Ansetzung von vorgezogenen Neuwahlen, die am 22. Jänner nächsten Jahres stattfinden sollen (Standard, 15. Okt. 2012; Presse, 15. Okt. 2012), andererseits ein Musikfestival in Wien, das jetzt von einigen arabischen Künstlern boykottiert wird, weil die israelische Botschaft als Co-Sponsor fungiert. (Presse, 19. Okt. 2012. Sehen Sie dazu auch den MENA-Beitrag „Boykott und Dialog“.)

Kaum erwähnt wurde in der letzten Woche Ägypten. Wie wir sehen werden, hätte es aber zumindest eine antisemitische Hetzpredigt im ägyptischen Fernsehen verdient, auch hierzulande in die Nachrichten zu kommen.

Türkei: Der Prozess gegen Fazil Say

Im vergangenen April verbreitete der weltbekannte Pianist Fazil Say via Twitter zwei Meldungen, in denen er ein Gedicht eines persischen Dichters aus dem 11. Jahrhundert paraphrasierte. In einer der beiden Kurzmeldungen schrieb der bekennende Atheist und Gegner der Regierung der islamistischen AKP: „Ihr sagt, im Himmel fließen Bäche von Wein – ist das Paradies denn eine Kneipe für euch? Ihr sagt, auf jeden Gläubigen warten zwei Jungfrauen – ist das Paradies denn ein Bordell?“ In der zweiten Meldungen ging es um einen Muezzin und dessen Eile beim Gebetsruf – er wolle wohl so schnell wie möglich zurück zu seiner Geliebten oder zur Schnapsflasche. (Presse, 19. Okt. 2012) Drei Türken, die sich in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlten, hatten Say wegen religiöser Hetze angezeigt; die Anklage fordert eineinhalb Jahre Gefängnis. Am Donnerstag war der erste Prozesstermin in Istanbul angesetzt, doch wurde die Verhandlung nach einer Stunde auf den 18. Februar vertagt.

Insbesondere die Presse widmete sich dem Prozess gegen Say recht ausführlich. Sie berichtete einerseits detailliert über die Hintergründe des Verfahrens sowie die meist äußerst kritischen ausländischen Reaktionen, und nahm andererseits den Fall zum Anlass, um auf den prekären Stand der Meinungsfreiheit in der Türkei hinzuweisen – egal ob unter kemalistischer oder islamistischer Regierung, das Land sei noch immer von einem „obrigkeitsstaatlichen Meinungsdiktat“ geprägt. Helmar Dumbs‘ Conclusio: „Solange Gefängnis droht, wenn man über die Nation oder eine Religion witzelt, erübrigt es sich, über einen Beitritt … zur EU auch nur nachzudenken.“ (Ebd.)

Aufschlussreich an dieser Geschichte ist es, die Berichterstattung in österreichischen Medien anhand ihrer Überschriften zu vergleichen. Die zitierte Presse titelte: „Pianist wegen Islam-Kritik vor Gericht“. Der Standard widmete sich Say als „Kopf des Tages“ mit der Überschrift: „Wegen zweier Tweets vor dem Richter“ (Standard, 18. Okt. 2012) In der Kleinen Zeitung war zu lesen: „Ein Islam-Witz zu viel: Türkei zerrt Starpianisten vor Gericht“. (Kleine Zeitung, 19. Okt. 2012) In all diesen Überschriften ist zumindest eine gewisse Distanz davor zu spüren, jemanden wegen „launige(n) Bemerkungen über den Islam“ (Presse, 19. Okt. 2012) vor Gericht zustellen. Im Kurier war dagegen in der Überschrift nicht nur keine Distanz zu bemerken, sondern es wurde gleichsam auch schon das Urteil gesprochen: „Türkei. Pianist beleidigte Islam“. (Kurier, 19. Okt. 2012; In der Kronen Zeitung wurde nicht über den Prozess berichtet.)

Gemeinsam beten – für die Vernichtung der Juden

Bereits in unserem letzten Wochenbericht haben wir auf mehrere Nachrichten aus Ägypten hingewiesen, über die in österreichischen Medien nicht berichtet wurde. Ein Beispiel war der Oberste Führer der Muslimbrüder, der den „heiligen Dschihad“ zur „Befreiung Jerusalems“ beschworen hatte, ohne dass dieser Aufruf zum Krieg gegen Israel Schlagzeilen verursacht hätte. Auch diese Woche gab es eine Nachricht, die Aufsehen erregen hätte sollen, aber hierzulande nicht aufgegriffen wurde, weil sie so gar nicht dem Bild entspricht, das gerne von den Muslimbrüdern und anderen angeblich „moderaten“ Islamisten gezeichnet wird. Im aktuellen Fall geht es um eine Predigt im ägyptischen Fernsehen, die es in sich hatte: „Oh Allah, vergib uns unsere Sünden, stärke uns und schenke uns den Sieg über die Ungläubigen. … Oh Allah, vernichte die Juden und ihre Unterstützer, zerstreue sie, zerreiße sie. Oh Allah, bringe Deine Macht und Größe über sie.“ Nun ist antisemitische Hetze in der islamischen Welt leider alltäglich, warum also sollte gerade diese Predigt zu Kenntnis genommen werden? Weil in der ersten Reihe Mohammed Mursi auf dem Boden kniend zu sehen ist, tief versunken ins Gebet für den Sieg über die Ungläubigen und die Vernichtung der Juden…

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Boykott wegen Israel-Logo

Die ägyptischen Muslimbrüder sind mit ihrem Hass auf Juden und Israel wahrlich nicht allein. Wie vor allem die Presse berichtete, haben einige arabische Künstler erklärt, das Wiener Festival „Salam.Orient“ zu boykottieren, weil die israelische Botschaft die Reisekosten für eine tadschikisch-jüdische Gruppe übernommen hat und daher als Co-Sponsor der Veranstaltungsreihe fungiert. (Presse, 19. Okt. 2012; der Standard hat die ganze Angelegenheit bis heute mit keinem Wort erwähnt.) Die Veranstalter des Festivals haben mittlerweile eine Erklärung veröffentlicht, in der sie die Boykottaufrufe als „unverständlich“ bezeichnen. Zumindest in diesem Jahr war die Beteiligung der israelischen Botschaft offenbar nicht mehr rückgängig zu machen; ob ein Sponsoring durch die Botschaft in Zukunft noch einmal möglich sein wird, lässt sich derzeit nicht abschätzen.

Die Veranstalter scheinen den Boykott angesichts der Tatsache, dass auf dem Festival der „Israel-Kritik“ ohnehin bereits viel Raum geboten wurde, wirklich nicht zu verstehen – man mag sich gar nicht vorstellen, was sich bei einem „palästinensischen Jugendtheater“ abgespielt haben mag, dass selbst von den Festival-Organisatoren als „heftig und sehr israel-kritisch“ bezeichnet wird. Ob das Schauspiel wohl dem „Dialog der Kulturen“ gedient hat, dem sich das Festival verschrieben hat? Ob es sich um „Zeichen des Friedens, des Miteinander und des gegenseitigen Respektes“ gehandelt haben mag, zu denen sich die Veranstalter bekennen? „(G)erade wegen des jahrelangen Einsatzes auch für die arabische Perspektive“ seien die Boykotte nicht nachzuvollziehen. Übersetzt heißt das ungefähr: Uns jetzt abzusagen, obwohl wir in der Vergangenheit unsere Bereitschaft zur „heftigen“ Israel-Kritik wirklich hinlänglich unter Beweis gestellt haben, ist eine große Enttäuschung.

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