Wochenbericht, 13.8. bis 19.8.2012

Neue Gerüchte über angeblich bevorstehende Militärschläge Israels gegen den Iran waren das wichtigste Thema der Nahostberichterstattung in der vergangenen Woche. Dabei warfen einige Zeitungen alle journalistischen Standards über Bord und berichteten über israelische Angriffspläne, die einem „Experten“ zugespielt worden sein sollen und von ihm im Internet veröffentlicht wurden. Dumm nur, dass der „Experte“ ein bekannt Israel-feindlicher Blogger ist, die „Pläne“ nicht vom israelischen Militär stammen und das vermeintlich brisante „Geheimdokument“ von einem Posting in einem israelischen Forum abgekupfert ist – es handelte sich um eine explizit fiktive Geschichte darüber, wie ein israelischer Militärschlag aussehen könnte.

Allgemeiner Überblick

Die mediale Berichterstattung über den Nahen Osten war in der vergangenen Woche in mehrerlei Hinsicht ungewöhnlich. Insgesamt wurden in den von MENA ausgewerteten Tageszeitungen 306 relevante Beiträge veröffentlicht. Ein Blick auf die Verteilung dieser vergleichsweise hohen Zahl auf die verschiedenen Medien bietet ein seltenes Bild:

Wochenbericht, 13.8. bis 19.8.2012

Außergewöhnlich ist nicht nur, dass die Kleine Zeitung die meisten relevanten Artikel veröffentlicht hat, sondern auch, dass die Kronen Zeitung vor dem Kurier, beinahe gleichauf mit dem Standard und nicht weit hinter der Presse lag. Der Blick auf die in der Berichterstattung am häufigsten genannten Länder hilft, diese auffällige Verteilung zu erklären:

Wochenbericht Tabellen - Wochenbericht - 20Aug12 - Tab2

Des Rätsels Lösung lautet: Am Freitag traf die österreichische Fußballnationalmannschaft im letzten Vorbereitungspiels vor dem Beginn der WM-Qualifikation auf das Team der Türkei. Das hatte beispielsweise zur Folge, dass in 35 der insgesamt 58 in der Kronen Zeitung erschienen Beiträgen mit Bezug zu Nordafrika und dem Nahen Osten die Türkei genannt wurde. Zusammen mit den Artikeln über den Bürgerkrieg in Syrien, in denen auch oftmals auf die Türkei Bezug genommen wird, widmeten sich ihr also fast doppelt so viele Beiträge wie dem am zweithäufigsten genannten Land, dem Iran.

Wir wollen uns im Folgenden mit zwei Themen beschäftigen. Einerseits mit Ägypten, dem nach der weitgehenden Ausschaltung der Armee durch die Muslimbrüder nur bemerkenswert kurz mediale Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde. Und andererseits mit der neuesten Zuspitzung des Konflikts um das iranische Atom(waffen-)programm.

Ägypten

Zu Beginn der Woche waren alle Zeitungen noch darum bemüht, die aufsehenerregenden Entwicklungen in Ägypten zu analysieren, wo Präsident Mohammed Mursi zuletzt den schwelenden Machtkampf zwischen dem Militär und den Muslimbrüdern zumindest vorläufig zugunsten der Islamisten entschieden hat. Interessant ist es zu vergleichen, wie die verschiedenen Medien die Vorgänge interpretieren.

In der Presse analysierte Karim El-Gawhary die Tatsache, dass Ägyptens Generäle „von der zivilen Staatsmacht in die Wüste geschickt“ wurden, als das „wichtigste Ereignis seit dem Sturz Mubaraks“. Der „Befreiungsschlag“ des Präsidenten könne „gar nicht überbewertet werden“. Der Machtkampf zwischen der „gewählten und damit legitimierten Institution des Staatschefs“ und dem Militärrat sei zugunsten des Präsidenten entschieden. Das sei „ein Erfolg für die Demokratiesierung des Landes“. Gleichzeitig verfüge Mursi jetzt über eine gefährliche Machtfülle, weil er die „volle exekutive und legislative Macht und das Recht (habe), die verfassungsgebende Versammlung neu aufzustellen“. Entscheidend seien nun die Ausarbeitung und Verabschiedung einer neuen Verfassung. Die große Frage sei, „wie verantwortungsvoll“ Mursi mit seiner Macht umgehe. (Presse, 14. Aug. 2012) Ähnlich hatte schon tags zuvor Wieland Schneider argumentiert: Die Herstellung des Primats der Politik über das Militär sei ein wichtiger Schritt zu einem „zivilen Ägypten“. Ob es auch ein Schritt zu einem demokratischen Ägypten sei, bleibe noch offen. Wenn sie die Armee wirklich unter Kontrolle brächten, hätten die Muslimbrüder die „Kontrolle über die gesamte Macht im Staate“. Es müsse sich erst zeigen, „(w)ie behutsam sie damit umgehen“. (Presse, 13. Aug. 2012)

Weitaus eindeutiger fielen dagegen die Schlussfolgerungen Christian Ultschs aus: „Ägypten ist den Muslimbrüdern ausgeliefert. Sie kontrollieren die Schaltstellen der Macht.“ Zug um Zug würden die Islamisten die Überbleibsel des alten Regimes beseitigen. Nach dem Militär würde als nächstes das Justizsystem ins Visier genommen werden. Alles sei nun vorbereitet für Phase II des Schlachtplans der Islamisten: „die Umgestaltung Ägyptens in einen islamistischen Staat. Wer soll die Muslimbrüder noch aufhalten?“ (Presse, 14. Aug. 2012)

Für Gudrun Harrer vom Standard ist das „Besorgniserregende“, dass Mursis Schritte rechtlich nicht gedeckt sein dürften und deren Legalität daher fragwürdig sei. Dadurch würde die „Polarisierung der Gesellschaft … einmal mehr verstärkt.“ (Standard, 14./15. Aug. 2012) Ebenfalls im Standard kam der Politikwissenschaftler Stephan Roll von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik zu Wort, für den die Entwicklungen in Ägypten „keine Konfrontation zwischen Muslimbrüdern und Militär“ darstellten (Standard, 14./15. Aug. 2012) – ein eigenwillige Einschätzung, die wohl nicht allzu viele Beobachter teilen dürften. Im Kurier stellte derselbe Roll fest: „Ich sehe die Entwicklung durchaus positiv.“ Mursi sei vom Volk gewählt, auch das Parlament spiegelt die Mehrheitsverhältnisse wider, die das Volk gewollt hat. Und deswegen bewerte ich das vorsichtig positiv.“ (Kurier, 14. Aug. 2012)

In der Kleinen Zeitung analysierte Martin Gehlen die Entmachtung des Militärs als das „schwerste politische Erdbeben seit dem Sturz von Hosni Mubarak“. Offen bleibe vorerst, „ob mit diesem Putsch in Ägypten die Revolution gesiegt hat oder die Diktatur der Moslembrüder kommt.“ Gehlen fasste die Kompetenzen zusammen, die Mursi jetzt an sich gezogen hat: Der Präsident „beansprucht künftig allein die volle Gewalt von Exekutive und Legislative, kontrolliert den Haushalt, kann Gesetze erlassen und ersetzt das Parlament, welches Mitte Juni vom Verfassungsgericht aufgelöst worden war.“ (Kleine Zeitung, 14. Aug. 2012) Nach Ansicht von Ernst Heinrich war Mursi zu dem von ihm gewählten Vorgehen „schlicht nicht befugt“. Er habe einen „Etappensieg“ in seinem „mutigen Kampf“ gegen das Militär errungen. „Der Demokratisierung Ägyptens hat er damit keinen guten Dienst erwiesen und die institutionelle Krise im Land verstärkt.“ (Ebd.)

So unterschiedlich und zum Teil in sich widersprüchlich die Einschätzungen der aktuellen Lage in Ägypten in den verschiedenen Zeitungen auch ausfallen, so weitgehende Einigkeit besteht darin, dass das neu zu schaffende ägyptische Grundgesetz von herausragender Bedeutung sein wird. In ihm werden nicht nur die Kompetenzen der verschiedenen politischen Organe festgeschrieben werden müssen, sondern seine Verabschiedung ist auch die Voraussetzung für die erforderliche Neuwahl des aufgelösten Parlaments. Sieht man sich aber den Weg zu einer neuen Verfassung einmal genauer an, gibt es wenig Anlass für Optimismus.

Im Juni hatten sich die liberalen Kräfte unter Protest gegen die Vormachtstellung der Islamisten aus der verfassunggebenden Versammlung zurückgezogen. Daraufhin griff das Militär ein und erließ im Juni eine Verfassungsdeklaration, in der es das Recht für sich beanspruchte, eine neue verfassunggebende Versammlung zu bestellen. Auch wenn die nicht-islamistischen Kräfte das Militär nicht als legitimen Machthaber betrachteten, sahen viele in ihm doch ein Gegengewicht zur neuen Macht der Islamisten. Doch jetzt hat Präsident Mursi parallel zur Entmachtung der Militärführung auch die im Juni erlassene Verfassungsdeklaration aufgehoben und sich per Dekret das Recht zur Einsetzung einer neuen verfassunggebenden Versammlung verliehen. Damit haben die Muslimbrüder sichergestellt, dass sie in jedem Fall über die neue Konstitution entscheiden werden: In der alten Versammlung hatten sie ohnehin eine Vormachtstellung, sollte eine neue eingesetzt werden müssen, bestimmen sie, wer ihr angehören wird. So oder so, nicht-islamistische Kräfte werden nichts mitzureden haben, doch im Vergleich zur Situation im Juni gibt es einen wesentlichen Unterschied: Jetzt gibt es kein Gegengewicht zu den Islamisten mehr. Das werden die wenigen liberalen politischen Kräfte bald zu spüren bekommen.

Wie man angesichts dieser Entwicklungen auch nur ansatzweise optimistisch in die Zukunft blicken kann, ist völlig schleierhaft. Fakt ist: Präsident Mursi verfügt über weitaus mehr Macht als sie der als diktatorisch gebrandmarkte Militärrat je hatte. Gleichzeitig gibt es keine wirksame Opposition mehr. Die staatlichen Medien werden von Kritikern der Islamisten gesäubert, wie auch der Standard mit einiger Verzögerung mittlerweile berichtet; unliebsame private Medien werden eingeschüchtert und verfolgt. (Standard, 14./15. Aug. 2012) Präsident Mursi ist der neue Diktator Ägyptens und es gibt keinen Hinweis darauf, dass er und die Muslimbrüder ihre neue Macht „behutsam“ verwenden werden.

Ganz im Gegenteil: Die Voraussagen westlicher Journalisten und „Experten“, die ein vorsichtiges Vorgehen der Islamisten prophezeiten, haben sich als falsch erwiesen, genauso wie die Muslimbrüder alle Versprechen, die sie gegeben haben, um Befürchtungen vor ihrem Machthunger zu stillen, gebrochen haben. Dass sie mittels Wahlen in ihre augenblicklichen Position gekommen sind, kann nur als Beleg für Demokratie werten, wer darunter die Diktatur der Mehrheit versteht und noch nie etwas davon gehört hat, dass Demokratie wesentlich auch im Schutz der Rechte von Minderheiten besteht und durch Gewaltenteilung, Partizipationsrechte und Grundrechte wie die Pressefreiheit gekennzeichnet wird.

Israel und der Iran

Nachdem es darum einige Zeit relativ ruhig geblieben ist, war in dieser Woche ein Thema wieder sehr präsent: Zeitungsberichten zufolge soll die Entscheidung Israels, Atomanlagen im Iran anzugreifen, schon so gut wie sicher gefallen sein. (Standard, 13. Aug. 2012; Presse, 13. Aug. 2012) Einen besonderen Coup hatten Presse, Kurier, Kleine Zeitung und Wiener Zeitung zu vermelden: Einem amerikanischen „Geheimdienstexperten“ (Kleine Zeitung, 17. Aug. 2012), der sich als Blogger einen Namen für „brisante Veröffentlichungen zu Israels Sicherheitspolitik“ (Kurier, 17. Aug. 2012) gemacht habe, sollen die geheimen israelischen Angriffspläne für den „High-Tech-Krieg“ (Presse, 17. Aug. 2012) gegen den Iran zugespielt worden sein. Der vermeintliche Knüller entpuppt sich jedoch als veritable Peinlichkeit: Das angeblich geheime Dokument war in Wahrheit bereits einige Tage zuvor in einem israelischen Internetforum als fiktive Geschichte gepostet worden, wie ein Angriff auf den Iran aussehen könnte. Es handelte sich somit im besten Fall um eine informierte Spekulation, mit Sicherheit aber um keinen Geheimplan des israelischen Militärs. (Sehen Sie dazu den MENA-Beitrag vom 17. August über die Kriegs-Enten im Sommerloch. Keine der Zeitungen hat ihren Fehler eingestanden.)

Dass Presse, Kurier, Kleine Zeitung und Wiener Zeitung die Geschichte sensationsheischend verbreiteten, ist umso bedenklicher, als sie sich offenbar nicht die geringste Mühe gemacht haben, die Story auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Hätten sie vor ihrer Veröffentlichung eine simple Google-Suche unternommen, wären sie mühelos auf die Herkunft des vermeintlichen israelischen Geheimplans gestoßen. Mehr noch: Schon bei einem flüchtigen Blick auf die Seite des zitierten „Experten“ hätten alle Alarmglocken schrillen müssen. Denn bei dem Mann handelt es sich um einen „Blogger mit einer Vorliebe dafür, hinter jeder Nachrichtenmeldung aus dem Nahen Osten eine Verschwörung des Mossad zu sehen“ – so wird Richard Silverstein in einem Artikel charakterisiert, der bereits Anfang Juli veröffentlicht wurde. (Ben Cohen: Attacking Israel Online. Jews who make the case against the Jewish state on the Internet, Commentary July/August 2012)

Für die wieder aufgeflammten Gerüchte über mögliche israelische Militärschläge gegen das iranischen Atomprogramm ist bezeichnend, dass der Grund für die Aufregung fast völlig aus den Medien verschwunden ist: Seit Mitte April verhandeln die Vetomächte im UN-Sicherheitsrat und Deutschland, die so genannten P5+1, wieder mit dem Iran. Die neuen Gespräche wurden oft als letzte Chance bezeichnet, doch noch auf friedlichem Wege zu einer Einigung im Atomstreit zu kommen. Mittlerweile ist offenkundig, dass die Verhandlungen zu nichts führen. Es hat keinerlei Fortschritte gegeben und neu anberaumte Gesprächsrunden sind oft nicht einmal mehr Kurzmeldungen wert, so gering sind die Erwartungen bereits.

Unterdessen werden die Warnungen in Richtung Israel immer schriller. „Israel begräbt sich selbst“, der „Irrsinn nimmt Kontur an“, war aktuell in einem kaum intelligiblen Kommentar in der Wiener Zeitung zu lesen. Dass die Verhandlungen mit dem Iran, die einen Militärschlag verhindern könnten, aber gescheitert sind, darüber herrscht das große Schweigen. Und während auf Israel Druck gemacht wird, wird kaum über die in immer höherer Frequenz aus dem Iran abgesonderten Vernichtungsdrohungen gegen den jüdischen Staat berichtet.

Um eine militärische Auseinandersetzung mit dem Iran zu verhindern, müsste die Energie darauf gerichtet werden, die Ursache des Konflikts zu beseitigen. Es ist nicht nur für die österreichische Medienlandschaft bezeichnend, dass Kommentatoren den Schlüssel zur Lösung des Konflikts stets in Jerusalem, so gut wie nie dagegen in Teheran suchen.

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