Wo die grausamste Terrorgruppe der Welt herkommt

(von Volker Seitz) Erstmals seit der Unabhängigkeit Nigerias im Jahre 1960 kam es 2015 zu einem friedlichen Machtwechsel in dem durch Putsche und Gegenputsche gebeutelten Land. Was anderswo selbstverständlich scheint, ist dort ein Hoffnungszeichen. Wahlsieger Muhammadu Buhari ist ein ehemaliger Kommandeur der nigerianischen Streitkräfte. Er hatte sich bereits 1983 an die Macht geputscht, war aber schon 18 Monate später wegen “wirtschaftlicher Inkompetenz” von einem anderen General gestürzt worden. Vorgänger Goodluck Jonathan war als Präsident schwach und gegen den Terror von Boko Haram verhielt er sich passiv. Das frühe Eingeständnis seiner Niederlage und der friedliche Übergang von Jonathan zu Buhari machten ihn erstaunlicherweise zum Volkshelden. Buhari zeigt sich engagierter als sein Vorgänger im Kampf gegen die Islamisten. Er entließ die gesamte Führung der Armee sowie den nationalen Sicherheitsberater. Er hat die Streitkräfte neu organisiert, woraufhin die Armee große Gebiete in Nordnigeria von den Islamisten zurückerobern konnte.

 

Nigeria ist der achtgrößte Ölexporteur der Welt

Nigeria gehört wegen seiner Ölvorkommen zu den reichsten Ländern Afrikas. Es sind die Pfründe der Politiker und Militärs, die nicht selten zu Lasten des Wohlergehens des Staates einen geradezu grotesken Reichtum angehäuft haben. Eine kleine Mittelklasse hat sich entwickelt. Davon profitieren die Gesundheits-, Konsumgüter- und Versorgungsbranche. Aber das Land ist von politischen Risiken belastet. Wie in anderen afrikanischen Staaten auch hat die Führung des Landes es nicht geschafft, die schwerwiegenden Missstände im Land zu beseitigen – darunter die soziale Ungleichheit, die sich ständig vergrößert. Die allgegenwärtige Korruption hat jedes Vertrauen der Bürger in die Institutionen zerstört. Das Gefälle zwischen Arm und Reich steigt weiter. Diese Kluft birgt das Risiko, Stabilität und damit auch Wachstum zu gefährden. Nigeria verfügt nicht einmal über genügend Raffinerien, um den Rohstoff in Benzin zu verwandeln. Deshalb ist der größte Ölproduzent Afrikas auf Benzinimporte angewiesen.

Nigeria muss seine Wirtschaft deutlich diversifizieren und modernisieren und so die Abhängigkeit von Öl und Gas reduzieren. Die bislang verfolgten Maßnahmen reichen bei weitem nicht aus, um in Nigeria nachhaltig Wachstum zu sichern. Erforderlich sind vor allem Investitionen in das Stromnetz, den Straßenbau, die Wasserversorgung.

 

Desaster Stromversorgung

Die meisten Nigerianer leben ohne Strom und ohne fließendes Wasser. Die Stromversorgung ist in Nigeria und in großen Teilen Afrikas ein Desaster. Die meisten Unternehmen sind wegen der Unzuverlässigkeit der staatlichen Stromversorgung auf ihre eigenen Benzin- oder Dieselgeneratoren zur Stromerzeugung angewiesen. 30 Millionen Haushalte haben in Nigeria keinen Stromanschluss. Wer es sich leisten kann, wird zum Energieselbstversorger und legt sich einen Generator und einen Brunnen zu.

Zuverlässige Stromversorgung könnte Marktchancen verbessern und dazu beitragen die Armut zu mindern. Viele Familien-besonders im ländlichen Raum- haben keinen Strom. Das Bildungsniveau ist heute aber niedriger, als in den 1950er Jahren als britische Kolonie – vor allem im islamischen Norden des Landes. Nigeria das-gemessen an den Rohstoffen- eine der reichsten Nationen der Welt sein könnte, sind die meisten der jungen Nigerianer ohne ein festes Einkommen.

 

Korruption macht Fortschritte zunichte.

Korruption, Verschwendung sind die Ursachen des Hungers und der Armut. Wer in Nigeria Korruption öffentlich anprangert wie der Chef der Zentralbank von Nigeria, wird entlassen. Selbst die nationale Agentur gegen Korruption soll korrupt sein. Auf dem Korruptionsindex von Transparency International erreicht Nigeria Platz 144 von 177 aufgeführten Ländern. Wie in fast allen afrikanischen Staaten wurden Bildungs- und Gesundheitssysteme vernachlässigt, weil die reichen Nigerianer sich in Europa oder den USA behandeln lassen. Die Machthaber haben in den letzten vierzig Jahren Öl-Einnahmen von mehr als 400 Mrd. Dollar veruntreut. Das Land ist ein Synonym für Vorteilsnahme, Vetternwirtschaft, Steuerflucht, politischen Niedergang und die desolate Staatsverwaltung. Der Staats-und Sicherheitsapparat unter den früheren Präsidenten galt als korrumpiert. Der Erfolg von Präsident Buhari wird davon abhängen ob er diesen Sumpf austrocknen kann und will. Dass schon jetzt mehr als zwei Drittel aller Nigerianer in bitterster Armut leben und ein enormes Konfliktpotenzial bilden, scheint die vielen westlichen Unternehmensberatungen, die Nigeria noch immer als den großen Hoffnungsträger Afrikas verkaufen, nicht weiter zu stören.

 

Bevölkerungsexplosion führt zu mehr Armut

Jedes Jahr werden in dem wenig industrialisierten Staat sieben Millionen Kinder geboren – mehr als in ganz Europa. Das sehr hohe Bevölkerungswachstum führt zu einer steigenden Zahl von Arbeitslosen. Die Jugendarbeitslosenrate liegt schon jetzt bei 70 %. Rund drei Viertel der 170 Millionen Nigerianer sind unter 35, die Hälfte ist unter 18. Die Lebenserwartung beträgt knapp 52 Jahre, die Alphabetisierungsrate beläuft sich auf rund 61 Prozent, mehr als zwei Drittel der Menschen leben in extremer Armut, jedes zwölfte Kind stirbt vor Erreichung des fünften Lebensjahres. Die Zahl der Nigerianer, die unter der Armutsgrenze leben, ist in der Folge immer weiter gestiegen. Der UN-Index für menschliche Entwicklung listet Nigeria nur auf Platz 153 von 185 aufgeführten Staaten.

In einer Rede in Peking vor Auslandsnigerianern letzte Woche bat Buhari um Nachsicht, wenn es keine schnellen Erfolge gibt: „The many decades of damage and destruction cannot be repaired overnight.“ Aber die Menschen hoffen, dass jetzt tatsächlich gehandelt und die Bevölkerung nicht dauernd mit beschönigenden Erklärungen hingehalten wird.

Volker Seitz war 17 Jahre als Diplomat in Afrika tätig. Sein Buch „Afrika wird armregiert oder Wie man Afrika wirklich helfen kann” erschien 2014 bei dtv in 7. überarbeiteter und erweiterter Auflage.

Bleiben Sie informiert!
Mit unserem wöchentlichen Newsletter erhalten Sie alle aktuellen Analysen und Kommentare unserer Experten und Autoren sowie ein Editorial des Herausgebers.

Zeigen Sie bitte Ihre Wertschätzung. Spenden Sie jetzt mit Bank oder Kreditkarte oder direkt über Ihren PayPal Account. 

Mehr zu den Themen

Das könnte Sie auch interessieren

Wir sprechen Tachles!

Abonnieren Sie unseren Newsletter und erhalten Sie einen unabhängigen Blickzu den Geschehnissen im Nahen Osten.
Bonus: Wöchentliches Editorial unseres Herausgebers!

Nur einmal wöchentlich. Versprochen!