„Wohin die türkische Regierung driftet, hat gerade die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu der ganzen Welt vor Augen geführt. Sie verbreitete eine Nachricht, deren schwerwiegende Folgen jedem, der um die aufgeheizte Stimmung zwischen Religiösen und Säkularen in der Türkei weiß, bewusst gewesen sein müssen – bei den türkischen Agenturjournalisten war das garantiert der Fall.
Die Nachricht lautete: Der türkische Modedesigner und Schwulenaktivist Barbaros Sansal werde abends mit einer Turkish-Airline-Maschine, die um 20.55 Uhr in Nordzypern startet, am Atatürk-Flughafen von Istanbul ankommen. Als das schließlich geschah, wurde Sansal, noch während er, begleitet von Polizisten, die Gangway des Flugzeugs hinabschritt, von einem wütenden Mob angegriffen. Die Meute, zu der offenbar auch Mitarbeiter des Flughafensicherheitspersonals und Flughafenmitarbeiter zählten, hätte ihn beinahe gelyncht. So ließ die türkische Nachrichtenagentur Anadolu Sansal nicht nur ins offene Messer laufen, sie stachelte zum Angriff auf ihn an. Ihre ‚Meldung‘ war eine Einladung zur Lynchjustiz, der Nationalisten und religiöse Fanatiker bereitwillig folgten. (…)
Der AKP-Bürgermeister von Ankara, Melih Gökcek, veröffentlichte im Netz ein Foto des blutigen Gesichts von Sansal. Gökceks Kommentar lautet: Gewalt sei zwar abzulehnen, aber Verräter wie Sansal müssten eben mit dem Volkszorn rechnen. Kritik daran, dass die Polizisten der Anti-Terror-Einheit, die Sansal auf dem Flug begleiteten, den Modedesigner nicht beschützt hatten, blieb aus. Genauso wenig wurde bisher bemängelt, dass die Nachrichtenagentur Anadolu die Angreifer mit den Details zu Sansals Rückkehr versorgt und zu dem Übergriff ermutigt hatte. Das bedeutet nichts anderes, als dass die türkische Regierung Gewalt für ein legitimes Mittel im Umgang mit ihren Kritikern hält.“ (Karen Krüger: „Wenn die Regierung dem Lynchmob Tipps gibt“)