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REPORTAGE AUS EINER GESELLSCHAFT DER ANGST

Bereits in der Anmoderation der gestern im ORF gesendeten Reportage „Iran – Leben unter Druck“ war zu hören, die vom Westen gegen den Iran verhängten Sanktionen träfen besonders „die nichtmuslimischen Minderheiten wie Juden und Armenier“. Im Beitrag selbst formulierte dann Christian Schüller die rhetorische Frage, ob die kleinen Stücke eines „anderen“ Iran verloren zu gehen drohten, „wenn der Druck der westlichen Welt auf den Iran weiter zunimmt?“ Allein: Die Suche nach Belegen dafür, dass der Westen (mit-)schuld sei an der schlechten Lage der Minderheiten im Iran, blieb vergeblich. Dafür wurde etwas anderes deutlich: Schüllers fehlendes Bewusstsein über die Grenzen westlicher Berichterstattung aus einer ‚Gesellschaft der Angst‘ (Natan Sharansky).

Die Erschwerung der Lebensumstände, von denen in der Dokumentation die Rede war, betrifft neben der politischen Führung, gegen die die Sanktionen hauptsächlich gerichtet sind, die iranische Gesellschaft als Ganze. Es gab keinen Hinweis darauf, dass jüdische Spitäler oder armenische Reiseführerinnen stärker an der wirtschaftlich angespannten Situation zu leiden hätten, als ihre muslimischen Pendants. Die schwierige Lage der Minderheiten im Iran, über die Christian Schüller berichtete, hat wenig mit den Sanktionen des Westens, sehr viel aber mit der Herrschaftsstruktur der ‚Islamischen Republik‘ Iran zu tun. Unter diesem Regime gelten Nichtmuslime als Menschen zweiter Klasse, die nicht als gleichberechtigte Staatsbürger gesehen werden. Schüller selbst deutete diesen Umstand ja an, als er davon sprach, dass im Strafrecht „Nicht-Muslime nach wie vor benachteiligt“ werden. (Bezeichnenderweise fanden in der Reportage die Bahai keinerlei Erwähnung, die im Iran systematisch verfolgt werden.)

Im Alltagsleben, so Schüller, dürften Juden und andere Minderheiten ihre Beziehungen eigenständig regeln, sogar Wein dürfe „ganz selbstverständlich getrunken“ werden, wenn die Tradition und der Ritus es erforderten. Dass dennoch keiner der gefilmten Synagogenbesucher mit ihm über die Bedeutung des Purimfestes sprechen wollte, stellte Schüller zwar fest; dass das mit dem Antisemitismus des iranischen Regimes zu tun haben könnte, auf diesen Gedanken kam er nicht.

Grundsätzlich drängte sich der Eindruck auf, dass den Gestaltern des Beitrags nicht wirklich klar war, was es heißt, als westlicher Journalist aus einer Diktatur wie dem Iran zu berichten, welch enge Grenzen ein derartiges Regimes objektiver und ausgewogener Berichterstattung setzt, und wie groß die Gefahr ist, für dessen Propaganda funktionalisiert zu werden. Wie der amerikanisch-iranische Journalist Karmel Melamed betonte, leben Juden im Iran unter permanenter Angst, weil sie vom Regime überwacht, bedroht und drangsaliert werden – eine Tatsache, die jedoch nicht unbedingt vor den Augen der Weltöffentlichkeit ausgebreitet werden soll. „Yet what the mainstream media does not realize are that comments made by any Jewish leaders in Iran or Jews in Iran to the Western media lack credibility since these Jews have been hand picked by the Iranian Intelligence Ministry to parrot what the regime tells them to say.“

Dessen ungeachtet gab Schüller die Aussagen jüdischer Interviewpartner einfach wieder, als gebe es den Druck und die Überwachung nicht. Selbst der Nachsatz eines Gesprächspartners, dass er sich „zumindest nach der Verfassung“ als Jude sicher fühle, schien Schüller nicht stutzig zu machen. Dieser Besorgnis erregende Mangel, die Bedingungen der Möglichkeit der eigenen Arbeit kritisch zu hinterfragen, wurde besonders deutlich, als Schüller einen jüdischen Arzt und Parlamentsabgeordneten interviewte, der von den Juden als „vollwertigen Bürgern“ des Iran sprach und fortsetzte: „(S)ollte irgendein Verrückter auf die Idee kommen, den Iran anzugreifen, werden die Juden das Land sicher verteidigen.“ Wäre das nicht der Moment gewesen, darauf hinzuweisen, dass kein Jude im Iran vor westlichen Fernsehkameras gar nichts anderes sagen kann, solange er nicht Gefahr laufen will, als ‚zionistischer Agent‘ verfolgt zu werden?

Nicht für Schüller, der anschließend ausführte, das „persische Nationalgefühl scheint alle politischen Lager zu verbinden. … Dass der Iran sein Atomprogramm braucht, steht hier außer Diskussion.“ Ähnliches hatte er schon während der letzten Parlamentswahlen aus dem Iran berichtet, als er in einem Wahllokal unter Beisein seines ‚Übersetzers‘ offenbar wirklich glaubte, als westlicher Journalist Fragen nach so sensiblen Themen wie dem iranischen Atom(waffen)programm stellen zu können und darauf ehrliche Antworten zu erhalten.

Leider scheint Schüller sich nicht darüber im Klaren zu sein, was es heißt, in einer Gesellschaft der Angst leben zu müssen; was es bedeutet wenn der Alltag von Zensur, Propaganda undEinschüchterung bis hin zu Todesdrohungen geprägt ist – aber sollte er dann ausgerechnet Reportagen über Länder wie den Iran machen?

 

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