Von Andreas Benl
„Wäre ich Parlamentsmitglied für Qom Süd, dann hätte ich das Gefühl, dass es meine patriotische Pflicht sei, mein Land so schnell wie möglich mit der größten, glänzendsten, spitzesten und explosivsten thermonuklearen Waffe auf dem Markt auszurüsten.“ Der so bereits vor zehn Jahren von der iranischen Bombe schwärmte, ist kein Islamist oder rechtsradikaler Spinner, sondern Boris Johnson, Ex-Bürgermeister von London und der prominenteste Führer der Brexit-Kampagne, der auch einschlägige Freunde hat. Seine Bewunderung für Assad und Putin teilt er mit Nigel Farage, dem anderen talking head der Kampagne. Und natürlich mit dem Antiimperialisten George Galloway, der im Interview mit Farage im russischen Staatsfernsehen die Zuschauer enttäuschte, die nur Einigkeit, aber keinen „links-rechts-Schlagabtausch“ sahen.
Den links-rechts Schlagabtausch kann es auch mit dem Noch-Labour-Führer Jeremy Corbyn nicht geben, der eigentlich die Anti-Brexit-Opposition anführen sollte. Bezüglich des Middle East herrscht jedenfalls weitgehend Einigkeit, vielleicht mit der individuellen Note, dass Corbyn im iranischen Staatsfernsehen auch noch Bin Ladens Tod als „Tragödie“ bezeichnete, bevor sich die Islamische Republik als vermeintlicher Kämpfer gegen sunnitischen Djihadismus erfand.
Und auch das Objekt des Streits, das Europäische Parlament, lässt in Bezug auf Sympathien keine Zweifel aufkommen: Dort jubelte man kürzlich dem palästinensischen Präsidenten Abbas zu, nachdem er die antisemitische Lüge verbreitet hatte, israelische Rabbis würden zur Brunnenvergiftung aufrufen. In Deutschland sind die skandalösen Ergebnisse der Iranpolitik Alltagsereignisse.
Was auch immer im Streit um die Brexit-Kampagne ausgetragen wurde – ein Dissens über den Umgang mit Islamismus und Antisemitismus in Europa war es nicht. Diese Auseinandersetzung findet man dagegen z.B. in einem Aufruf aus Frankreich, der zum Widerstand gegen islamistische Zensur aufruft. Diesen haben nicht umsonst viele Intellektuelle unterzeichnet, die islamistischen Terror aus der Erfahrung eigener Verfolgung kennen. In einer zentralen Passage heißt es:
„Es war am 14. Februar 1989, nach der Veröffentlichung von Salman Rushdies Roman ‚Die satanischen Verse‘, als der Frontalangriff gegen die Meinungsfreiheit eine der furchteinflößendsten Wendungen annahm, indem er sich auf die europäische Szenerie verlagerte. Ayatollah Khomeini forderte alle Muslime auf, den der Gotteslästerung beschuldigten britisch-indischen Romancier zu töten. Seitdem besteht die Strategie der Islamisten darin, mit allen Mitteln ihre Gegner zu beseitigen. Es ist in diesem Zusammenhang, in dem man das Todesurteil gegen Taslima Nasreen (1993), den Mord an Theo van Gogh (2004), die Anschlagsversuche gegen den dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard (2005) und das Massaker an Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 situieren muss.“